Schnitzlers Doppeltüren-Drama
Theater in der Josefstadt. Mateja Koleˇznik inszenierte eine Kurzversion von „Der einsame Weg“: Originell, kühl kalkuliert, kaum aber mitreißend.
Die erste Szene des Dramas „Der einsame Weg“spielt nach Arthur Schnitzlers Anweisungen im kleinen Gärtchen am Hause des Professor Wegrat. Dort finden sich seine zwei Kinder ein, nach und nach die anderen Akteure – eine Gruppe von Egoisten, Kranken und Todessehnsüchtigen, die in fünf Akten kunstvoll entwickeln, wie man damals im Zeitalter der Nervosität über das nicht gelebte Leben trauerte. Schnitzlers kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert vollendetes Konversationsstück führt die allgemeine Orientierungslosigkeit fesselnd vor. Man begegnet sich in Gärten und großbürgerlichen Villen, um richtig depressiv zu sein. Das braucht Zeit. Wird da gehudelt, können sich diese acht komplexen Charaktere kaum entfalten.
Die slowenische Regisseurin Mateja Koleznikˇ stört das nicht. Sie geht, wie sich bei der Premiere am Theater in der Josefstadt am Donnerstag erwies, dem Filigranen des Textes einfach aus dem Weg, kürzt das Drama auf 85 Minuten, belädt es zum Ausgleich bildhaft. Wer das Original nicht kennt, wird sich über Verhaltensauffälliges wundern. Wer weniger Wert auf stringente Handlung legt, kann sich damit bescheiden, dass die durch vielerlei elektrische Geräusche verstärkte traurige Grundstimmung nicht allzu lang in die Fadesse allgemeinen Überdrusses kippt. Originell ist die Inszenierung, kühl kalkuliert, kaum aber mitreißend.
Wie beginnt die Kinderportion Schnitzler? Nicht im Garten, sondern vor vier graugrünen Doppeltüren. Sie ragen so hoch, dass ihre Schnallen wie für Zwerge angebracht scheinen. Johanna Wegrat (Alma Hasun) öffnet einen Flügel, dann eine Doppeltür, geht dazwischen herum, als ob sie sich verirrt hätte. Sie begrüßt ihren Bruder (Alexander Absenger) – Felix hat von seinem Ulanenregiment Urlaub bekommen. Im Stenogrammstil erfährt man, dass es der Mutter schlecht geht. Johanna zu Felix: „Bist du nicht zufrieden?“Lange Pause. Jetzt wissen wir also: Nicht einmal die Jungen sind es. Felix krümmt sich und sieht dabei aus wie ein Fragezeichen. Er wird zur Karikatur gemacht. Schon ist die erste Szene vorüber, die Serie an Türen beginnt sich zu bewegen. Man sieht nun klar, dass es dahinter weitere bewegliche Doppeltüren und Fenster gibt. Alles dreht sich zu Beginn jeder neuen Szene. Das wirkt bald recht monoton.
Zweite Szene: Eine Frau liegt leblos da. Ist die Mutter schon tot? Nein, das kommt doch erst viel später (in ein paar Minuten). Johanna ruht, aber noch nicht als Wasserleiche. Schon steht sie auf, um Herrn von Sala (Bernhard Schir) zu begrüßen. Wie nebenbei beginnen sie Laszivitäten. Langsam füllt sich die Bühne mit grauen Gestalten. Sie reden beiläufig über Pläne, Wünsche, alte Schuld.
Noch sind die Familiengeheimnisse großteils verborgen, in die v. a. der Künstler Julian Fichtner (Ulrich Reinthaller) verstrickt ist. Ganz so klar werden sie hier aber nie. So viel zum Verlauf: Männer sind Egoisten oder todkrank, Frauen sterben gramvoll oder wählen den Freitod. Koleznikˇ gibt ihnen kaum Chancen zur Differenzierung. Am ehesten gelingt es Maria Köstlinger als Ex-Schauspielerin Irene Herms, die intuitiv Falschheiten erfasst.
Von den Männern nützen Schir und Reinthaller ihren knappen Freiraum am besten. Lauter kurze Wege sind es, die sich hier kreuzen. Weniger Möglichkeiten haben Marcus Bluhm als Professor Wegrat und Therese Lohner als seine Gattin, kaum eine hat Peter Scholz als Doktor. Mehr ist nicht drin in dieser kalten Einsamkeit, im Reigen der Türen des Schicksals.