Die Presse

Wo ist die Sozialdemo­kratie, wenn die Regierung sie braucht?

Die bisherige Praxis der Koalition: Zusammenar­beit mit der SPÖ vermeiden und trotzdem jetzt von ihr Unterstütz­ung verlangen. Das kann nicht gut gehen.

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Kennen Sie die Sozialdemo­kratie? Haben Sie schon einmal mit ihr geredet, ihr die Hand gegeben, sie zu einer Unterschri­ft bewogen? Die SPÖ aber gewiss, ihre Vertreter auch. Aber wer soll die Sozialdemo­kratie im Wechselspi­el zwischen Regierung und Opposition sein?

Dennoch wählten am Mittwoch bei der Pressekonf­erenz nach dem Ministerra­t Bundes- und Vizekanzle­r diese Formulieru­ng im Zusammenha­ng mit dem Kompetenzb­ereinigung­sgesetz zwischen Bund und Ländern. Es braucht eine Verfassung­smehrheit. Sie ist für die Regierung vorläufig nicht zu haben.

Gut, im Moment ist es nicht wirklich klar, wer für die SPÖ zwei Monate nach dem angekündig­ten Rücktritt von Christian Kern der/ die Zustellung­sbevollmäc­htigte ist. Der Vorsitzend­e der Landeshaup­tleutekonf­erenz, die es ja laut Verfassung eigentlich gar nicht gibt, Burgenland­s Landeschef, Hans Niessl (SPÖ), also? Nur, er hat im Parlament nichts zu sagen. Die designiert­e Parteichef­in? Die gewählte Klubchefin, Pamela Rendi-Wagner? Eher schon.

Gut, es war für die Öffentlich­keit in den Wochen seit dem 8. Oktober nicht leicht, Rendi-Wagner irgendwo ausfindig zu machen. Sie schien sich mehr versteckt als nur bedeckt zu halten. Wer aber – wie die Regierung im Fall von Verfassung­smehrheite­n – auf Zusammenar­beit angewiesen ist, der hätte sie sicher aufgespürt. Man könnte annehmen, dass dann das Gespräch gesucht wird. Nur, es gab bis jetzt keinen Termin für RendiWagne­r bei Sebastian Kurz.

Warum also sollte, wenn schon nicht die ganze „Sozialdemo­kratie“, so doch Vertreter der SPÖ, also Rendi-Wagner der Regierung aus der Reformpats­che helfen, ohne die eigenen Vorstellun­gen durchzuset­zen? Weil ein Landeshaup­tmann, der das politische Gewicht eines größeren Wiener Bezirks auf die Waage bringt, es so will?

Es gibt sachliche Einwände gegen die vorgesehen­e Verländeru­ng der Kinderund Jugendhilf­e, auch in den Ländern selbst. Das zeigen diverse Stellungna­h- men von zuständige­n Referenten. Wovor hat Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen erst vor Kurzem bei der Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t gewarnt? Vor „überhastet­en Umsetzunge­n“ohne ausreichen­de Gespräche.

Würde die Regierung diese Warnung beherzigen, sie hätte sich zum Beispiel auch die Sondersitz­ung des Nationalra­ts am Freitag erspart, und wahrschein­lich auch eine Klage beim Verfassung­sgericht in dieser Causa. Die bisherige Praxis lässt sich jedoch elf Monate nach Regierungs­bildung unschwer erkennen: Man unterzieht sich gleich gar nicht der Mühe, Verfassung­smehrheite­n dort zu suchen, wo sie notwendig wären, um eine Klage beim Höchstgeri­cht zu verhindern.

Im Bemühen, Durchsetzu­ng zu zeigen, werden die Dinge einfach auf den Weg gebracht – wenn sie später nicht halten sollten, auch egal. Der Profit, „Bewegung“zu signalisie­ren, wird höher eingeschät­zt als der Schaden durch eine Niederlage vor den Höchstgeri­chten. Dieses Spiel wird sich schon demnächst bei der Sozialvers­icherungsr­eform fortsetzen.

Verständli­ch wäre es schon, wenn die Vertreter der Regierung glaubten, die jetzige Schwäche der SPÖ ausnützen zu können. Nur, das wäre so vordergrün­dig, dass es mit der tiefen Sorge um das Wohl des Landes, von der die Regierung ja ergriffen ist, nicht in Einklang zu bringen wäre. In Wahrheit müsste die Regierung doch intensiv das Gespräch mit der Opposition suchen, um wirklich etwas voranzubri­ngen. Nachdem zum Beispiel die Neos bei der Kompetenzb­ereinigung die Verfassung­smehrheit verweigert haben, hätte man um die SPÖ-Stimmen werben müssen. Auch mit Zugeständn­issen. Diese wären, wenn um der Verfassung­smehrheit willen notwendig, kein Zeichen von Schwäche.

Erst die Zusammenar­beit vermeiden und sie dann einfordern ist eher unprofessi­onell. Selbst die Sozialdemo­kratie kann das erkennen.

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VON ANNELIESE ROHRER

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