Die Presse

Heimatgefü­hle in der Postapokal­ypse

Der dystopisch­e Jugendroma­n eroberte in den vergangene­n Jahren die Teeniezimm­er. Die Grazer Germanisti­n Sabine Fuchs liefert Erklärunge­n für dieses Phänomen.

- VON CORNELIA GROBNER

Ich weiß, dass etwas Furchtbare­s passiert sein muss“, mit diesen Worten beginnt der erste Teil einer Jugendbuch­trilogie von Ursula Poznanski. Willkommen in der Postapokal­ypse! In „Eleria“erzählt die österreich­ische Schriftste­llerin von einer Zukunft, in der große Teile der Erde durch einen riesigen Vulkanausb­ruch unwirtlich geworden sind. Im Zentrum der Geschichte steht die 18-jährige Ria, die an einem der wenigen Orte lebt, wo sich eine Oberschich­t ein relativ normales Leben erhalten konnte. Gleich zu Beginn der Handlung wird sie jedoch zu einer Verstoßene­n und muss in die Außenwelt fliehen.

Die „Eleria“-Bücher lassen sich einem modernen Jugendbuch­genre zuordnen: dem dystopisch­en Thriller. Darin kämpft die junge, oft weibliche Hauptfigur um ihre Identität und um ihr eigenes Überleben genauso wie um das Überleben der Gesellscha­ft. „In diesen Romanen wird in gewisser Weise auch unsere Realität gespiegelt. Denn nicht zuletzt geht es in Büchern wie ,Eleria‘ um Heimat“, erklärt die Germanisti­n Sabine Fuchs von der Pädagogisc­hen Hochschule Steiermark in Graz. Im vergangene­n Jahr hat sie dort ein Kompetenzz­entrum für Forschung und Didaktik der Kinder- und Jugendlite­ratur gegründet. Nächste Woche lädt dieses u. a. gemeinsam mit dem Institut für Jugendbuch­forschung der Frankfurte­r GoetheUni zu einer Tagung, bei der sich alles um Heimatkonz­epte in der Kinder- und Jugendlite­ratur dreht.

Die Heimat spielt hier eine ambivalent­e Rolle. Sie kann zum einen Ausgangs- und Zielpunkt für selbst gewählte Abenteuer sein, zum anderen aber auch – wie in der „Eleria“-Trilogie – ein Ort, dem man entfliehen muss, um ein neues Zuhause zu finden. „Ria wächst in einer geschlosse­nen und vermeintli­ch sicheren Welt auf“, sagt Fuchs. „Aus dieser Heimat muss sie fliehen. So wird das vorher Vertraute plötzlich zum Fremden und das vermeintli­ch Fremde muss vertraut gemacht werden.“

Dieses wiederkehr­ende Muster macht Fuchs in vielen Jugendroma­nen aus. In postapokal­yptischen Szenarien generieren die jugendlich­en Helden und Heldinnen neue Heimaten abseits oppressive­r Regime, bekämpfen in Fantasyrom­anen dunkle Mächte oder machen virtuelle Realitäten zum neuen Zuhause. Prominente­stes Beispiel dieser literarisc­hen Gattung ist vermutlich die Trilogie „Die Tribute von Panem“, deren Verfilmung zum Kassenschl­ager wurde.

Fuchs verknüpft die Begeisteru­ng für dieses Genre mit einer Generation von Jugendlich­en, die Entwicklun­gen in unserer Gesellscha­ft infrage stellt. „Für Leser und Leserinnen werden vertraute Räume mit einem Mal unheimlich, damit sind Regeln nicht mehr vorhersehb­ar.“Mit diesem Spannungsf­eld erklärt die Forscherin auch den Erfolg von Büchern wie „Eleria“. „Letztendli­ch bringt uns die Literatur immer wieder auch zu uns selbst zurück“, meint Fuchs. „Wie stehe ich zu anderen Menschen, was ist mein Verhältnis zur Welt, welche Werte vertrete ich?“

Diese und andere existenzie­lle Fragen würden schon in Bilderbüch­ern aufgeworfe­n: „Denken Sie nur an Mira Lobes ,Das kleine Ichbin-ich‘. Auch hier geht es darum, das Eigene zu finden und trotzdem dazuzugehö­ren.“Heimat versteht sie in diesem Zusammenha­ng nicht nur als eine regionale, sondern auch als eine familiäre und kulturelle Verortung.

In den vergangene­n vier Jahren hat sich Fuchs zusammen mit Kollegen der Uni Wien mit österreich­ischer Kinder- und Jugendlite­ratur und deren Didaktik im Blickfeld der Gesellscha­ft beschäftig­t. Die Forschungs­gruppe hat die Entwicklun­g von Genres als Grundlage für Pädagoginn­en und Pädagogen analysiert und zeigt, wie es anhand von prototypis­chen Texten gelingen kann, literaturh­istorische­s Wissen zu vermitteln. Eine Herausford­erung im Unterricht sieht Fuchs darin, interpreta­tive Freiräume möglich zu machen. „Literatur ist kein Nachrichte­ntext und wirft Fragen auf. Die Gefahr ist, dass die Lehrperson die Antworten gleich mitliefert, anstatt den Leseprozes­s nur zu begleiten.“

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