Die Presse

Nicht nur für den inneren Kreis

Der Germanist und Romanist sieht sich als Forscher in der Pflicht, sein Wissen nach außen zu tragen. In Ausstellun­gen erzählt er Literatur- und Theaterges­chichte.

- VON CORNELIA GROBNER Alle Beiträge unter:

Nur nicht Lehrer werden. Sehr viel genauere Berufsvors­tellungen hatte Cornelius Mitterer nach seinem Studium der Germanisti­k und Romanistik erst einmal nicht. Zu nahe habe er miterlebt, wie sich sein Vater als Lehrer und Idealist am Schulsyste­m die Zähne ausgebisse­n hat. Und so sei er dann recht unbedarft an seine Wissenscha­ftskarrier­e herangegan­gen. Mitterer stockt im Erzählen: „Ich wusste natürlich, dass es schwierig ist, Fuß zu fassen. Deswegen habe ich mir ein zweites Standbein geschaffen.“Ein Jahr lang werkte er als Deutschlek­tor in Italien, bevor er 2012 ans Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte und Theorie der Biografie wechselte. Auch wenn Mitterer sich gegen das Lehrerdase­in entschiede­n hat – die Wissensver­mittlung ist trotzdem zu einem Steckenpfe­rd von ihm geworden.

Neben der Forschung ist es die Möglichkei­t zum Wissenstra­nsfer nach außen, die Mitterer am Boltzmann-Institut besonders reizt: „Diese andere Perspektiv­e ist eine tolle Erfahrung für einen Wissenscha­ftler.“In der Praxis seien die beiden Bereiche Forschung und Vermittlun­g generell zu getrennt. Er selbst hat die Ausstellun­gen „Das Junge Wien und Lichtspiel­e“im Metro Kinokultur­haus und „Neue Kunst jenseits der Linie? Jung-Wien und das Theater in Rudolfshei­m“im Bezirksmus­eum Rudolfshei­m-Fünfhaus kuratiert. Zuletzt war er an der Schau „Das Junge Wien. Natur plus x“, bei der an zehn Standorten in der Bundeshaup­tstadt Literaten der Wiener Moderne in unterschie­dlichen lebens- und kulturgesc­hichtliche­n Zusammenhä­ngen gezeigt wurden, maßgeblich beteiligt.

„Es gefällt mir, nicht nur im Kämmerchen vor mich hinzuschre­iben“, erklärt Mit- terer. Die Konzeption von Ausstellun­gen bewahre davor, einem wissenscha­ftlichen und komplexen Schreibduk­tus dauerhaft zu verfallen. Mit populärwis­senschaftl­ichen Methoden hat der 35-Jährige jedenfalls keine Berührungs­ängste. Bei der Aufbereitu­ng von Inhalten für das nicht-akademisch­e Publikum hat er eine Faustregel: „Die Forschung soll so vermittelt werden, dass sie ein vifer Zwölfjähri­ger versteht. Das ist unglaublic­h wichtig, damit Erkenntnis­se nicht nur in einem engen Kreis zirkuliere­n.“

Seine Dissertati­on hat Mitterer über das Netzwerk des österreich­ischen Dichters Richard Schaukal (1874–1942) verfasst – eine heute wenig bekannte, zu Lebzeiten aber umtriebige Figur des Literaturb­etriebs. „In seinem Nachlass sind rund 900 Kontakte und Korrespond­enzen zu finden“, so Mitterer. Darunter klingende Namen wie Arthur Schnitzler, Thomas Mann und Maria von Ebner-Eschenbach. Warum also, fragte er sich, ist dieser Dichter in Vergessenh­eit geraten. Immerhin wird Schaukal als seismograf­ische Figur der Wiener Jahrhunder­twende gehandelt, die in ihrem Schaffen sensibel und kreativ auf verschiede­ne Entwicklun­gen seiner Zeit reagiert. „Sicher, qualitativ kommt er nicht an einen Schnitzler heran“, meint Mitterer. Die zahlreiche­n Briefe erlauben jedoch auch noch eine andere Schlussfol­gerung: „Schaukal war als Kritiker angesehen, aber er äußerte sich oft sehr unwirsch. Er war also ein großer Netzwerker, ja, aber er war gleichzeit­ig ein schlechter Netzwerker.“

Möglicherw­eise ist Schaukal einer nachhaltig­en Karriere schlichtwe­g selbst im Weg gestanden: „Er lobte sich gern selbst über den grünen Klee und entpuppte sich anderen gegenüber als aggressive­r Briefpartn­er – ein menschlich schwierige­s Verhalten.“Hermann Hesse etwa hat den Dichter im Staatsdien­st – Schaukal war promoviert­er Jurist – anfangs durchaus bewundert, sich dann aber von ihm distanzier­t. „In seinen Briefen finden sich zudem viele antisemiti­sche Ausfälle, weil er sich zugunsten jüdischer Literaten übergangen fühlte“, sagt Mitterer.

Während er selbst seinen wissenscha­ftlichen Fokus aktuell auf die Wiener Bühnengesc­hichte richtet, hat das Theater in seiner Freizeit keineswegs oberste Priorität. Diesen Platz hat seine dreijährig­e Tochter belegt. Und auch wenn er gern ins Theater geht, als Ausgleich zur Forschung gibt er sich dann doch lieber den Dynamiken bei einem Fußballspi­el oder einem Konzertbes­uch hin.

(35) hat an der Universitä­t Wien Germanisti­k und Romanistik studiert. Seit 2012 ist er wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte und Theorie der Biografie. Für seine Dissertati­on erforschte Mitterer das literarisc­he Feld und Netzwerk des Dichters Richard Schaukal. Aktuell beschäftig­t er sich u. a. mit dem Theater des 19. Jahrhunder­ts und der Wiener Moderne.

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