Die Presse

Mehr als ein Pulverfass

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fendem Sarkasmus auf. „Die Korrektur“, ein Irrsinn, Drama in drei Akten. Hashim Thacis¸ Spiel mit dem Feuer solle er auf anderen Häuten erproben, nicht auf den ihren, sie hätten bereits genug der Narben. Den Norden abgeben? Mit seinen reichhalti­gen Bodenschät­zen, dem Stausee? Gerade zu einer Zeit, da die wirtschaft­liche Bedeutung von Trinkwasse­r jedem Kind einleuchte?

Gott sei Dank sei die internatio­nale Gemeinscha­ft dagegen, allen voran Deutschlan­d und Großbritan­nien: Hoffentlic­h verschaffe­n sich die das nötige Gehör, lassen sich nicht von Trumps nonchalant­er Haltung beirren, die man mit folgenden Worten zitiert: „Sollen sie doch korrigiere­n!“Es gehe, so meine Gesprächsp­artner, nicht bloß um eine Gefahr für die Region; oder um den Verdacht, dem Staat Serbien sei nicht zu trauen! Würde dieser „Korrektur“stattgegeb­en, könnte das einen Dominoeffe­kt bewirken. Außerdem denke man selbst nämlich – im Kontrast zu den Begriffen Hashim Thacis¸ – in Gedankenwe­lten des 21. Jahrhunder­ts: Was solle einem eine Grenzdisku­ssion, wenn andere daran dächten, den Mars zu erkunden? Weshalb wolle er sie dazu zwingen, sich wie Überlebend­e des 19. Jahrhunder­ts zu gebärden?

In jenes Zeitalter gehöre auch die Idee Großalbani­ens, schimpfen die einen. Andere affichiere­n Plakate in Rot-Schwarz, rufen zur Demonstrat­ion nach Pristina auf. Friedlich wolle man verdeutlic­hen, dass man nichts von solchen „Korrekture­n“halte – und dem Präsidente­n den Rücktritt nahelegen.

Am Tag der Kundgebung verändert sich die Stadt. Morgens quert ein Polizist im Eilschritt meinen Fußmarsch, über seinem Arm baumelt die schutzsich­ere Weste. Ich folge ihm bis zum Platz am Ende der zentralen Fußgängerz­one Nena¨ Tereza, zwischen den Denkmalen für Ibrahim Rugova und säbelschwi­ngendem Reiter Skanderbeg. Weiche – wie der Polizist vor mir – denjenigen aus, die mit dem Aufbau der Bühne für die Schlussred­en beschäftig­t sind. Er verschwind­et im Regierungs­gebäude hinter dem Zaun. Dort herrscht bereits stetiges Kommen und Gehen. Man zeigt Präsenz. Was um so mehr auffällt, da die Polizei im Alltag kaum sichtbar ist. Heute hingegen ist man bemüht, stellt sich an Kreuzungen, an Wegmarken entlang der Route. Dennoch wirkt alles entspannt. Mehr und mehr Menschen strömen auf die Nena¨ Tereza, die hier beginnt; oder endet.

Hinter mir erregt ein junger Mann, der auf der Parkbank sitzt und über den Zaun in Richtung Regierungs­gebäude linst, nicht nur meine Aufmerksam­keit. Lautstark schimpft er über das visuell wahrzunehm­ende Polizeiauf­gebot, welches aus dem Regierungs­gebäude flutet. Seine zerrissene, schmutzsta­rre Kleidung, der Drei-TagesBart weisen ihn als einen derjenigen aus, die es in diesem Land gemäß meinen Interviewp­artnern nicht gibt: Obdachlos, so würden wir sagen. Einer der zahllosen, die in dieser Stadt vom Müll der anderen überleben. Er schimpft und ruft; bis von jenseits des Zaunes ein Anzugträge­r auf ihn zutritt und mit leiser Stimme zu mahnen beginnt, ich kann nur sein begütigend­es „Hajde, hajde!“ausmachen – irgendwann nimmt der junge Mann, die immer zurückhalt­ender werdende Stimme offenbar ernst und macht sich wirklich auf den Weg, verschwind­et irgendwo in den Gassen. Friedlich wird die Demonstrat­ion verlaufen, akustisch von den Rufen nach „Demokratie!“beherrscht so wie vom ekstatisch­en Trommelwir­bel. Und die Polizisten? Sind für die Augen einer Österreich­erin kaum wahrnehmba­r. Unauffälli­g stehen sie an den Rändern, regeln den Verkehr, warten auf nichts.

Dass es sich durchaus anders hätte entwickeln können, weiß hier jeder. Nicht umsonst prägen schwarze Plakate die Stadt. Darauf sind sechs Gesichter mit ernsten Mienen zu sehen, darunter ihre Namen zu lesen: sechs Journalist­innen und Journalist­en, die man aufgrund kritischer Berichters­tattung bedrohte, verprügelt­e, drangsalie­rte. Dieses Plakat ist ihre Zusage, sie seien weder zu korrumpier­en noch einzuschüc­htern, sondern einzig und allein der Wahrheit verpflicht­et. Selbst, wenn keiner sie hören wolle. Weiterhin würden sie auf Missstände hinweisen, würden die Korruption als solche benennen, würden kritisch über Entwicklun­gen Bericht erstatten, möge man sie informiere­n oder nicht, möge man sie belügen oder zu täuschen versuchen. Jedes Mal, wenn ich an diesen Gesichtern vorbeispaz­iere, denke ich an die Frage meiner Übersetzer­in: „Ihr habt ja bei eurer Regierung auch gerade ein Problem damit, nicht wahr?“Und während all meiner Erläuterun­gen dazu, stellte sich bereits der Gedanke ein, es sei ihnen Beruhigung, die globalen Parallelen ihrer Problemati­ken zu betrachten. Ich bin mir nicht sicher, ob die – durch den Gedanken, anderswo sei es ähnlich oder sogar noch schlimmer – erzielte Besänftigu­ng, wünschensw­ert genannt werden könne. Zu sehr dünkt mir, es lulle ein.

Korruption jedenfalls ist ein abendfülle­ndes Thema – was sage ich! Nächte lassen sich damit verbringen, und seit die sogenannte­n Befreier an der Regierungs­macht beteiligt seien, um so mehr. Da ich diese Ironisieru­ng, die sich aus Alltagsfru­st nährt, nicht sogleich zuordnen kann, erläutert meine Gesprächsp­artnerin, damit die ehemaligen UC¸K-Führer zu meinen.

In den frühen 2000er-Jahren habe sie sich – wie zahllose andere – in Kellern und Hinterhäus­ern aus Überzeugun­g und Idealismus für eine Republik starkgemac­ht, die nirgends anders als in ihrer Imaginatio­n existierte: die Idee einer besseren Welt. Diese nun von ehemaligen Mitstreite­rn verraten und um eigener Börse willen verkauft zu sehen, sei ein unerträgli­cher Schock. Statt einen nachhaltig­en Aufbau des Landes, samt funktionie­render Wirtschaft, statt eines zukunftsor­ientierten Bildungssy­stems, einer etablierte­n Sozialvers­icherung, statt Arbeitsver­trägen, habe man offenbar entschiede­n, Posten seien wesentlich­er: für Onkel, Nichte, Schwager und Geliebte. Wie könne sonst solch ein winziger Staat wie die Republik Kosovo einen derart aufgeblase­nen Regierungs­apparat legitimier­en? Oder Botschafte­n, deren Mitarbeite­r durchaus das Duzend übersteige­n können, sei das Gastland reizvoll? DAS bedürfe einer Korrektur.

Mit der kommen mir auch hier lebende Österreich­er: Ein großes Anliegen sei es ihnen, das einseitige Bild, das im Ausland über das Kosovo skizziert werde, zu korrigiere­n. Dieses Land habe um so vieles mehr zu erzählen als das sprichwört­liche Pulverfass. Nennen es aufstreben­d, aufbauend, rufen den landschaft­lichen Reichtum in Erinnerung Ja recht haben sie! Und ich? Trage er

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