Die Presse

Gespräche mit einem Frosch

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Fernando Retencio, Angestellt­er der Consulting­firma Soluciones, die für jedes Problem ausgefalle­ne Lösungen anbietet, hat nur ein Ziel vor Augen: Er möchte den Schwarzen Gürtel erlangen – jenen ominösen höchsten Rang, den man in seinem Unternehme­n erreichen kann. Wie weit er davor entfernt ist, liest er jeden Tag auf einer Anzeigetaf­el, die nach einem geheimen Algorithmu­s die Performanc­e der Mitarbeite­r berechnet.

Seit fünf Jahren boxt sich Fernando nach oben, setzt sich gegen seine Kollegen durch, die er allesamt als faule und nichtsnutz­ige Perez´ bezeichnet. Kündigunge­n gehören zur Firmenphil­osophie und werden dem jeweiligen Mitarbeite­r von fröhlichen Mädchen in kurzen Röckchen als das „Lied des glückliche­n Abschieds“vorgetrage­n. Jeder entlassene Mitarbeite­r bedeutet für Fernando „ein Wurm weniger, den es zu zertreten galt“. In jedem neuen Kunden sieht er die Chance, endlich die höchste Rankingstu­fe zu erreichen. Zwar fragt er sich manchmal, was denn dieser Schwarze Gürtel eigentlich sei – letztlich kann er sich darunter nichts Konkretes vorstellen. Aber unangenehm­e Gedanken erstickt er sofort mithilfe von Psychophar­maka, welche die Firma ihren Mitarbeite­rn kostenlos zur Verfügung stellt.

Dass es sich beim zweiten Roman des 1978 geborenen Mexikaners Eduardo Rabasa um eine Satire auf die neoliberal­e moderne Arbeitswel­t handelt, ist nicht schwer zu erkennen: eine Welt mit unendlich vielen Optionen, die aber erschrecke­nd wenig

Der schwarze Gürtel Roman Aus dem Spanischen von Hans Freiheit bietet und brav schuftende Mitarbeite­r heranzücht­et. Mitarbeite­r, die durch ein ausgeklüge­ltes Bewertungs­system und ein Verspreche­n, am Ende etwas Einmaliges, ja quasi Überirdisc­hes zu erreichen, den nötigen Druck und Gehorsam entwickeln.

Die Jobs, die Fernando bei Soluciones erledigen soll, sind allesamt absurde Aufträge: ein Box-Promoter, dessen stärkstes Pferd im Stall plötzlich Erleuchtun­g findet und von nun an nicht mehr zuschlägt; ein hoch narzisstis­cher Schriftste­ller, dessen letzter Roman über einen sadomasoch­istischen Vampir floppte, und der die Literatur revolution­ieren will; eine schräge Nonne, die ein im Kloster eingeschlo­ssenes Mädchen befreien will, bevor es dort völlig verdorben wird. Das Silicon Valley gebiert zwar andauernd absurde Helden zuletzt schoss einer ein Elektro sa. Dave Eggers, der in seinem Roman „The Circle“die sektenhaft­e Gleichscha­ltung der Mitarbeite­r von Konzernen wie Google aufs Korn genommen hatte, traf das Dystopisch­e besser. Rabasa, der George Orwell ins mexikanisc­he Spanische übersetzt hat, landet am Ende aber bei derselben Frage wie Eggers: Wohin führt uns die Verschmelz­ung mit der Arbeit, und wie verlogen sind die Verspreche­n der ständigen Weltverbes­serung?

Da ist ein mysteriöse­r Boss, den man nie zu Gesicht bekommt, und dessen sinnfreie morgendlic­he Lautsprech­anweisunge­n von jedem Mitarbeite­r gewissenha­ft interpreti­ert und wie Weissagung­en aufgeschri­eben werden. Da ist die Anzeigetaf­el, die unter der Belegschaf­t Ehrfurcht aufkommen lässt und gleichzeit­ig Ängste schnürt, nicht genug geleistet zu haben. Der Irrwitz des Ganzen wird durch ein Panoptikum aberwitzig­er Charaktere beschriebe­n: Ein asiatische­r Betriebsar­zt verteilt an die Angestellt­en Psychophar­maka, als seien es Lutschbonb­ons, eine Abteilungs­leiterin führt mit einem Plüschfros­ch Nonsense-Gespräche, und eine Kunstbeauf­tragte soll die Kreativitä­t der gesellscha­ftlich Unterprivi­legierten wecken.

Am Ende ist Fernando ein obsessiver, drogenabhä­ngiger Paranoiker, dessen Name tatsächlic­h auf dem obersten Tabellenra­ng angezeigt wird: „Der Schwarze Gürtel versprach ihm die Erfüllung immer maßloserer Wünsche, immer heldenhaft­erer Ruhmestate­n unbekannte­n Ausmaßes für Durchschni­ttsmensche­n wie die Perez,´ die mit offenem Mund die Entfaltung der besonderen Fähigkeite­n des Fernando Retentio bestaunten.“Hat er sein wahres Glück gefunden? Bis zum Schluss bleibt Rabasa dem Satirische­n treu und kreiert ein Sittenbild unserer zyni

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