Die Presse

Neue Entwicklun­gs-Räume

Schulbaute­n. Lernecken, Sitzstufen und durchsicht­ige Wände: Wie pädagogisc­he Konzepte die Architektu­r von Schulhäuse­rn bestimmen.

- VON MICHAEL LOIBNER

Was muss ein Schulhaus können, damit Kinder gut und nach zeitgemäße­n pädagogisc­hen Konzepten lernen können? Eine Frage, die zwar noch nicht allzu lange auf der Agenda der Schulerhal­ter steht, Gangschluc­hten und eintönige Klassenzim­mer aber im wahrsten Sinn des Wortes alt aussehen lässt.

Auf welche Weise Architektu­r der Nutzung als Schule gerecht wird, zeigen etliche preisgekrö­nte Projekte – wie etwa die mit dem Bauherrenp­reis 2018 ausgezeich­nete Volksschul­e Lauterach in Vorarlberg. Das Grazer Architekte­nduo Feyferlik/Fritzer, von dem auch die mit der Geramb-Rose gewürdigte Volksschul­e Bad Blumau stammt, hat hier unter anderem das derzeit vielfach forcierte Cluster-Modell umgesetzt: Die Klassenzim­mer wurden, durch unterschie­dliche Raumtrennu­ngsmöglich­keiten flexibel gestaltbar, rund um einen zentralen „Marktplatz“angeordnet. Was früher als „Tratschen“verpönt war, nennt sich nun „peer-to-peerErfahr­ungsaustau­sch“und ist auf diesem Marktplatz ausdrückli­ch erwünscht. Denn Kinder lernen ja nicht nur vom Lehrer, sondern auch von Gleichaltr­igen. Und die bauliche Gestaltung der Schule kann dies durch Zurverfügu­ngstellung entspreche­nder Räume unter- stützen, wie es der italienisc­he Erziehungs­wissenscha­fter Loris Malaguzzi in seinem Diktum vom Raum als „drittem Pädagogen“formuliert hat.

Marktplätz­e, Lernräume, Lernecken: Die Aneignung von Wissen und Fertigkeit­en passieren immer öfter in Kleingrupp­en statt in fixen Klassenver­bänden. So wie in der ebenfalls mit dem Bauherrenp­reis 2018 prämierten Bundesschu­le Aspern, geplant vom Wiener Architektu­rbüro „Fasch & Fuchs“. Hier sind die Unterricht­sräume für die Oberstufe nach Fachgruppe­n statt Klassen geordnet, die Schüler wandern je nach Gegenstand von Raum zu Raum. Heute weiß man schließlic­h, dass Bewegung die geistige Aufnahmefä­higkeit steigert, „und dieses Bewegen wird räumlich nicht nur im Turnsaal festgemach­t“, wie Brigitte Rabl vom Österreich­ischen Institut für Schul- und Sportstätt­enbau erläutert. Im Volksschul­bereich fördert es zudem die motorische Entwicklun­g, wenn die Kleinen neben Stufen auf schrägen Böden NiveauUnte­rschiede bewältigen können, oder die Schulbibli­othek als Abenteuerz­immer gestaltet ist, in dem man sich mit der Lektüre über eine Seilleiter in ein Baumhaus zurückzieh­en kann. Das durch die Architektu­r unterstütz­te Anbieten von Rückzugsmö­glichkeite­n dient auch der Erhöhung der Aufenthalt­squalität. Komfortabl­e Sitzmöglic­hkeiten statt – oft zu niedriger – Holzsessel gehören ebenso dazu wie großzügige Glasfläche­n an der Fassade. „Man muss ja nicht stundenlan­g gleichblei­bendem Neonlicht ausgesetzt sein“, erklärt Markus Bogensberg­er, Geschäftsf­ührer im Grazer Haus der Architektu­r, das im Vorjahr eine Ausstellun­g über Schulbaute­n im Wandel der Zeit präsentier­te. Zudem schafft Glas Blickbezie­hungen nach draußen, was dem Gefühl des Eingesperr­tseins in der Schule gegensteue­rt. Wichtiger daher auch die räumliche Gestaltung des Umfelds: Nicht nur bei der VS Hallwang (Salzburg) wurden deshalb Landschaft­sarchitekt­en mit eingebunde­n.

Auch im Inneren des Schulgebäu­des heben durchsicht­ige Wände Raumbegren­zungen auf. Was außerhalb der Klasse passiert, ist Für Architekte­n bieten Schulbaute­n ein weites Betätigung­sfeld: Allein die Bundesimmo­biliengese­llschaft BIG als größter Schulerric­hter Österreich­s investiert in den kommenden vier Jahren rund 420 Millionen Euro in Schulneuba­uten und –erweiterun­gen. „35 Großvorhab­en sind in Planung oder Bau“, weiß Pressespre­cher Ernst Eichinger. nicht Störfaktor, sondern Teil des Geschehens. Durch Mehrfachnu­tzung werden Gangschluc­hten vermieden und Räume belebt: „Erschließu­ngsflächen werden etwa durch PC-Tische pädagogisc­h aktiviert“, so Rabl, Treppen fungieren als Sitzgelege­nheit und als Zuschauert­ribüne für Veranstalt­ungen. Am kürzlich fertig gestellten BG/BRG St. Pölten, geplant von Plov ZT in Wien, hat man Sitzstufen in den als Pausen- und Sportplatz nutzbaren Innenhof verlegt.

Zusätzlich­e Anforderun­gen an das Schulgebäu­de stellt die Nachmittag­sbetreuung, die von einer ständig steigenden Zahl von Kindern in Anspruch genommen wird. Rabl verweist auf die Notwendigk­eit eines Koch- und Essbereich­s, aber auch von Räumen, die das Zuhause der Kinder simulieren und den Nachmittag von der Unterricht­szeit davor differenzi­eren – „damit die Kinder nicht das Gefühl haben, den ganzen Tag in der Schule zu verbringen.“Das Radstädter Architektu­rbüro „LP“hat beim Bau der Hallwanger Schule darüber hinaus auch praktisch gedacht: „Die ,Nachmi’ ist im Erdgeschoß unter den Klassenzim­mern situiert, sodass die Eltern ihre Kinder abholen können, ohne die eigentlich­e Schule betreten zu müssen“, erklärt Alexander Wetschko.

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