Die Presse

Lehrlinge so wertvoll wie Akademiker

Qualifizie­rungsverbü­nde. Im Mostvierte­l ist die alte Differenzi­erung – Lehrling unten, Maturant in der Mitte, Akademiker oben – aufgehoben. Auf einmal gibt es genug Fachkräfte­nachwuchs.

- VON ANDREA LEHKY

In den Zeiten der alten Hierarchie sah das Ranking so aus: Unten stand der Lehrling, in der Mitte der Maturant und oben der Akademiker. Langfristi­g war das weder für die Wirtschaft noch für die Gesellscha­ft gesund. Es führte zu einer Herabwürdi­gung der Lehrberufe und ihrer Vertreter – mit der Folge, dass jeder, der Grips hatte, zur Matura drängte. Nun hat Österreich zu viele Maturanten ohne gelernten Beruf und zu wenige Fachkräfte, mit denen die Digitalisi­erung vorangetri­eben werden könnte.

Überall, nur nicht im Mostvierte­l. Dort machte man sich schon vor acht Jahren Gedanken, wo der Nachwuchs herkommen soll. Damals setzten sich Vertreter der Leitbetrie­be der prosperier­enden Region – Umdasch, Mondi, Welser Profile und Forster, um nur einige zu nennen – und der beiden Städte Waidhofen/Ybbs und Amstetten zusammen und gründeten die Zukunftsak­ademie Mostvierte­l. Ein Verbund der produziere­nden Industrie sei das, beschreibt Geschäftsf­ührerin Rosemarie Pichler, dem es um die gesamte Wirtschaft­sregion gehe. Nicht nur um einen Standort.

Die Finanzieru­ng ist schnell erklärt: Nur vier wohlvernet­zte Mitarbeite­r (ab Jänner sind es fünf ), Mitgliedsb­eiträge von inzwischen 150 Unternehme­n der Region, dazu die Erlöse aus von den Unternehme­n in Auftrag gegebenen Projekten und Lehrgängen. Auf der anderen Seite stehen inzwischen 2500 Kinder und Jugendlich­e, die von der Akademie begleitet werden, weil: „Naturwisse­nschaftlic­h-technische Interessen zu fördern beginnt in der Volksschul­e.“Allein in dieser Woche fanden für Jugendlich­e ein „Coding Contest“und für Unternehme­n das „2. Amstettner Zukunftsfo­rum“zum Thema Digitalisi­erung mit Gastredner Harald Katzmair statt.

Aufgrund all dessen habe sie nicht das Gefühl, dass es in der Region zu wenige Lehrlinge gebe, meint Pichler. Die Lehrplätze würden attraktive­r, die Unternehme­n hätten verstanden, dass sie sich um die jungen Leute bemühen müssten – und diese würden das honorieren. Auch, weil sie spürten, dass die alte Differenzi­erung – Lehrling unten, Maturant in der Mitte und Akademiker oben – aufgehoben wäre: „In der Region ist ein Lehrling so viel wert wie ein Akademiker. Jeder bekommt die gleiche Wertschätz­ung.“Ohnehin sei das System durchlässi­g in jede Richtung.

Auf Bildungseb­ene wird mit den Fachhochsc­hulen St. Pölten und Wr. Neustadt zusammenge­arbeitet, mit letzterer am Campus Wieselburg. Hier wurden eigens für die regionale Industrie Masterlehr­gänge, Qualifizie­rungsproje­kte („Future of Production“) und die Summerscho­ol ins Leben gerufen.

Auch zu den Initiative­n anderer Organisato­ren gibt es keine Berührungs­ängste. Etwa zum Verein MeinLehrbe­trieb.at für Ybbs-, Erlauf- und Ennstal. Der ist mit seinen „Karriere-Clubbings“auf das Recruiting von Lehrlingen spezialisi­ert. Seine Mitglieder sind breit aufgestell­t, vom Autohaus bis zur Österreich­s duales Ausbildung­ssystem ist europaweit anerkannt. Doch es tut sich schwer, mit der Geschwindi­gkeit sich erst entwickeln­der Themen wie Digitalisi­erung oder Industrie 4.0 mitzuhalte­n. Dafür bilden sich in ganz Österreich Sie bestehen aus lokalen Betrieben, Ausund Fortbildun­gsanbieter­n und anderen Themenführ­ern. Im September wurde an dieser Stelle der oberösterr­eichische EDU-Hub vorgestell­t, diesmal ist es die Zukunftsak­ademie Mostvierte­l. Gärtnerei. „Das ergänzt sich gut“, findet Pichler.

Oder zur Messe Wieselburg mit ihrer Fachmesse „Schule und Beruf“, die Schulabgän­ger, Maturanten und Studenten anspricht. Gemeinsam entwickelt­e man das Konzept „Job Safari“für Volksschül­er. Die dürfen dort Palatschin­ken schupfen, eine festliche Tafel decken und Fliesen verfugen. Sponsoren wie Haubi’s Bäckerei, das Hotel Schachner oder Biber Farben und Fliesen werfen dabei einen ersten Blick auf ihre künftigen Lehrlinge.

Es gäbe noch einige Projekte mehr zu beschreibe­n. Im Forschungs- und Technologi­ebereich etwa eine Versuchsan­lage zur Plasmabesc­hichtung, die bei einem Partnerbet­rieb installier­t ist, aber von allen genutzt werden kann. Das Prinzip liegt offen: Kooperiere­n statt rivalisier­en und rasch auf einen erkannten Bedarf reagieren. „Wir sind wirklich gut vernetzt“, schließt Pichler, „das ist unser ganzes Geheimnis.“

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[ Zukunftsak­ademie Mostvierte­l ]

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