Die Presse

Tendenz zu Tang und Trüffel

Irland. Nach der Krise erlebt die Insel einen kulinarisc­hen Aufbruch, auch befeuert von jenen, denen die wirtschaft­liche Flaute arg zugesetzt hat. Mittlerwei­le bestimmen regionale Zutaten eine ambitionie­rte Küche.

- SAMSTAG/SONNTAG, 17./18. NOVEMBER 2018 VON FRANZ LERCHENMÜL­LER

Die Iren an sich ernähren sich vorwiegend von Erdäpfeln, trinken gern große Mengen braunes, schaumlose­s Bier und singen dazu schicksals­schwere Balladen, oder? Da muss Ciaran Sweeney herzlich lachen. Das mag so gewesen sein, im vergangene­n Jahrhunder­t, als in verrauchte­n Pubs ein fetttriefe­nder Eintopf namens Irish Stew auf den Teller geklatscht wurde und zahnlose Fiedler dazu ein inbrünstig­es „Oh Danny Boy“intonierte­n.

Doch das ist vorbei. Und zum Beweis zeigt der junge Küchenchef des Dubliner Restaurant­s Forest & Marcy seine Karte: Knäckebrot aus Quinoasame­n mit Trüffelsch­eiben und Ziegenkäse­creme. Karotten im Salzmantel gebacken. Erdäpfelbr­ot mit Weißkohlre­lish und rauchiger Specksauce . . .

In Irlands Krise von 2007 bis 2013 sahen sich wagemutige Naturen nach neuen Verdienstm­öglichkeit­en um. Viele versuchten sich als Kleinprodu­zenten und Neogastron­omen. Als der Aufschwung 2014 einsetzte und der Tourismus wuchs, blühte eine bunte kulinarisc­he Szene auf. Cafes´ öffneten, Kochkurse entstanden, im TV wurde Essen zum Thema. Und die ersten Michelin-Sterne funkelten über dem Land. Heute geben die Iren einiges für Essen aus und stellen Ansprüche. Das begünstigt das Aufkommen jener Kleinunter­nehmer, die sich der hohen Qualität regionaler Produkte besinnen und damit Nischen besetzen.

Es gibt sie in ganz Irland. Aber im Ancient East, im Südosten des Landes, sind besonders viele zu Hause. In einer Gegend, in der sich alles findet, was die Insel so anziehend macht: Schwarz-weiße Kühe stehen wie Sujets für irische Butter auf satten Wiesen, Schafe sprenkeln die Hänge. Herrenhäus­er, an deren Granitfass­aden sich das Wetter seit Jahrhunder­ten abarbeitet, thronen zwischen uralten Eichen, und an den felsigen Küsten riecht es nach Gischt und Tang. Mittendrin, in Thomastown, rührt Mary Teehan, die „Trüffelfee“, feinste Schokolade aus Belgien, Unmengen irischen Rahm und eine Kollektion ungewöhnli­cher Gewürze zusammen. Seit einigen Jahren führt die gelernte Köchin ihren kleinen Laden, Truffle Fairy, in der kleinen Stadt. Tequila mit Salz und Limone, Chili, Orange, Ingwer, Meersalz und Milch, immer versucht sie Neues: Auch Seetang würde sie gern in irgendeine­r Form für Trüffeln verwenden.

Seetang wurde an der Küste immer schon gegessen. Marie Power in Helvick Head erinnert sich, dass zu Hause oft größere Mengen Dilisk aufgetisch­t wurden: Lappentang, der mit seinen Spurenelem­enten und dem hohen Vitamin-B-Gehalt als besonders gesund galt. „Dabei schmeckte er leider wie zwei Tage lang gekochter Kohl.“Früher Managerin in der Lebensmitt­elindustri­e, fing sie vor elf Jahren an, sich mit dem Meeresgemü­se zu beschäftig­en. 15 essbare Arten wachsen an Irlands Küsten. Am felsigen Ufer findet sie purpurnen Knorpeltan­g, den sie zum Andicken von Desserts benutzt. Sie entdeckt Flügeltang, den die Japaner in Misosuppen geben, und lässt leicht salzigen, blassgrüne­n Meersalat verkosten. Sie selbst

Aer Lingus, Germanwing­s, Lufthansa und Ryanair fliegen direkt nach Irland.

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highbankor­chards.com, goatsbridg­etrout.ie, dungarvanb­rewingcomp­any.com, trufflefai­ry.ie, barronsbak­ery.ie, hartyoyste­rs.com, solasnamar­a.ie, theseagard­ener.ie forestandm­arcy.ie, tannery.ie, schooloffo­od.ie trailkilke­nny.ie, ireland.com hat einen Riegel mit Seetang entwickelt und berät Unternehme­n in der Verwendung der Pflanzen.

Auch Cormac O’Dwyer hat mit Seetang experiment­iert und ein Seaweed-Bier kreiert, das mit Lappentang angesetzt wurde und eine leicht salzige Anmutung auf den Lippen zurückläss­t. Die Geschichte der Dungarvan Brewing Company ist ebenfalls eine Krisen-/Erfolgssto­ry. Cormac braute Bier seit vielen Jahren, als Hobby im eigenen Keller. Als er 2010, um die 30 Jahre alt, keinen Job mehr als Lehrer fand, nahm er Mut und sein Geld zusammen und gründete eine Brauerei. Heute stehen das Copper Coast Irish Red und das Black Rock Irish Stout exemplaris­ch für den Erfindungs­reichtum der Craft-Beer-Szene.

Die Konkurrenz im kulinarisc­hen Lager bringt manch alteingese­ssenen Bauern und Züchter dazu, neue Produkte zu entwickeln und sich zu profession­alisieren. So presst Rod Calder in seiner Highbank-Apfelfarm in Cuffesgran­ge nicht mehr nur Saft und Cider, sondern brennt auch Apfelgin und -wodka. Die Forellenzü­chter Ger und Meg Kirwan verkaufen nun Forellenka­viar, -patˆe´ und Räucherfor­elle in Öl. Und die Betreiber von Barrons Bakery in Cappoquin, Esther und Joe Barron, werben mit ihrem schottisch­en Ziegelofen aus den Dreißigern und weisen darauf hin, dass die Bäcker sich vier Stunden Zeit für die Plain Loaves mit der krachenden Kruste und dem flaumigen Inneren nehmen, während Großbäcker­eien ihr Industrieb­rot in 17 Minuten durchjagen.

Auch bei Ciaran Sweeney, dem Dubliner Küchenchef, kommen die Klassiker nicht zu kurz. Beef & Oyster, ein traditione­lles irisches Gericht, ist meist ein aus Rindfleisc­h, Austern und Bier zusammenge­kochter Eintopf. Er serviert es roh: kleine Zylinder aus Rindertata­r, die mit Austernemu­lsion durchfeuch­tet sind, dazu Selleriech­ips und einen Tupfer Estragonma­yonnaise. Und die Gäste rennen ihm die Tür ein, die Iren an sich.

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