Ab vier Uhr gehen die Lichter an
Tschechien. Alte Gaslampen tauchen die Prager Karlsbrücke in eine eigene Stimmung. Im Advent werden sie von Hand angezündet.
Kurz vor Weihnachten herrscht reges Treiben auf der Karlsbrücke in Prag. Menschen drängen aneinander vorbei, Einheimische, Touristen, Jung und Alt. Während manche die Brücke bloß rasch überqueren wollen, um in den Stadtteil am gegenüberliegenden Moldauufer zu gelangen, genießen andere den Blick auf den Sonnenuntergang und die atemberaubende Kulisse, die sich ihnen von der Karlsbrücke aus bietet. Wie so oft in der Vorweihnachtszeit sind die meisten im Stress und auf sich und ihre Einkäufe konzentriert. Erst ein über zwei Meter großer Mann in langem, historischem Mantel und mit einem langen Bambusstab in der Hand zieht die Aufmerksamkeit der Geschäftigen auf sich.
Der Name des Mannes ist Jan Zˇa´kovec. Er ist Leiter des Prager Gasmuseums. Seit 2002 ist er dafür zuständig, die Gaslaternen auf der Karlsbrücke zum Leuchten zu bringen. Zwar ist es mittlerweile natürlich möglich, die Laternen fernzuzünden, doch in der Advents- und Weihnachtszeit übernimmt Zˇa´kovec diese Aufgabe selbst. Er möchte so die beinahe vergessene Tradition der Laternenanzünder fortführen, die früher einmal Gang und Gebe war. Die Einheimischen kennen ihn bereits und wundern sich nicht weiter über den ungewöhnlichen Anblick. Die Touristen hingegen starren gebannt zu dem großen Mann. Jan Zˇa´kovec lächelt. Er ist die Aufmerksamkeit längst gewöhnt. Freundlich und mit viel Geduld beantwortet er die Fragen der Neugierigen. Um vier Uhr nachmittags schreitet er schließlich von Laterne zu Laterne, zieht mit dem an der Spitze des Bambusstabs befestigten Haken an einer Vorrichtung im Inneren der Lampe und bewirkt so, dass Gas ausströmt und die Laterne zu leuchten beginnt.
Eine kleine Menschentraube folgt ihm. Während die Sonne bereits fast gänzlich am Horizont verschwunden ist, taucht das Licht der Laternen die Karlsbrü- cke in eine warme, romantische Atmosphäre. „Früher gab es in Prag bis zu 120 Laternenanzünder“, erzählt Zˇa´kovec. „Sie waren dafür zuständig, die rund 7500 Gaslaternen in der Stadt zum Leuchten zu bringen.“Dieser Aufgabe kamen sie von 1847 bis 1985 nach. Dann wurden die Gas- nach und nach durch elektrische Lampen ersetzt. Erst 2002 entschloss man sich, in Prag wieder Gaslaternen einzuführen.
Diese Entscheidung begründete man damit, dass diese einfach zu Prag dazugehören würden. Das ganze Jahr über geht das Licht der Laternen automatisch an. Nur um Weihnachten dreht Zˇa´kovec seine tägliche Runde und lässt die Menschen in längst vergangene Zeiten eintauchen. „Wir wenigen Laternenanzünder, die es noch gibt, wollen diese Tradition wieder aufleben lassen. Wir wollen den Menschen zeigen, wie Laternen früher angezündet wurden“, sagt der Leiter des Prager Gasmuseums.
700 Gaslaternen säumen den Weg, den tschechische Monarchen früher auf dem Weg zu ihrer Krönung entlangschritten. Sie sorgen für nostalgische Stimmung und verleihen der Stadt ihr eigenes Flair. Und die vielen Menschen, die Zˇa´kovec folgen und ihm Fragen stellen, beweisen: Es braucht nicht immer Neues, Spektakuläres, um Touristen anzulocken und Interesse zu wecken. Manchmal genügt es, Traditionen fortzuführen.