Vor Misstrauensvotum gegen May
Großbritannien. Während im Parlament Unterschriften gegen die Premierministerin gesammelt werden, sammelt sich das Kabinett hinter ihr.
Die britische Premierministerin, Theresa May, muss weiter um ihr politisches Überleben bangen. In der Unterhausfraktion ihrer konservativen Partei gingen gestern, Freitag, weitere Anträge ein, die eine Vertrauensabstimmung über die Regierungschefin verlangten. Der Hinterbänkler Mark Francois schrieb: „Ich halte es für ausgeschlossen, dass die Premierministerin den von ihr angerichteten Schaden wiedergutmachen kann, und daher braucht die konservative Partei eine neue Führung.“
Für ein Votum sind mindestens 48 Anträge an das sogenannte 1922 Committee der Tory Party erforderlich. Mit gezielten Leaks und Spekulationen versuchten die Rebellen gestern, den Druck auf May zu erhöhen. So erklärte einer ihrer schärfsten Kritiker, der frühere Brexit-Staatssekretär Steve Baker, das Erreichen der Schwelle stünde „unmittelbar bevor“. In diesem Fall müsste innerhalb von zwei Werktagen, das hieße also Anfang der kommenden Woche, eine Misstrauensabstimmung abgehalten wer- den. Der Komiteevorsitzende Graham Brady schweigt bisher aber eisern über die Zahl der eingegangenen Schreiben. In jedem Fall erklärten bis Freitagmittag erst 21 Konservative öffentlich, einen Antrag eingebracht zu haben. Sollte es zu einer Abstimmung kommen, kann May mit einfacher Mehrheit der 316 Tory-Abgeordneten gestürzt werden. Die Partei muss dann durch die Mitglieder einen neuen Vorsitzenden wählen, der theoretisch auch die Regierung übernehmen könnte, ohne dass dafür Neuwahlen erforderlich wären.
Stunde der Wahrheit
Dass es dazu tatsächlich kommen wird, bezweifelte gestern unter anderem Charles Grant, der Direktor des Thinktanks Centre for European Reform: „Es ist im Interesse einer ganzen Menge von Konservativen, ob sie nun für oder gegen die EU sind, dass sie bis zum Brexit im Amt bleibt. Wenn sie mit ihrem Deal im Parlament scheitert, hätte ein Misstrauensvotum eine viel größere Chance als in den nächsten Tagen.“
Die kommende Parlamentsabstimmung, die derzeit bereits in der ersten Dezember- woche erwartet wird, wird für May und die britische Politik die Stunden der Wahrheit bringen. Derzeit deutet nichts darauf hin, dass die Premierministerin das vorliegende Abkommen mit der EU durchsetzen kann. Bei einem Scheitern wird sie wohl selbst den Hut nehmen müssen. Die Konservativen hätten dann 14 Tage, einen Nachfolger zu finden. Scheitern sie, muss es Neuwahlen geben. Darauf zielt auch die Politik der Labour-Opposition ab. Kann May ihr Abkommen retten, indem sie noch Zugeständnisse von der EU holt? Grant: „Weder das britische Unterhaus noch die EU wollen einen No-Deal. Wenn dieses Szenario droht, würde Brüssel wohl seine Position abmildern.“
Dass sie weiter um das Brexit-Abkommen kämpfen will, bekräftigte May gestern erneut in einer Radio-Liveshow: Die mit der EU ausgehandelte Vereinbarung sei „mit Sicherheit die bestmögliche für Großbritannien“, erklärte sie. Schon am Donnerstagabend hatte May davon gesprochen, „mit jeder Faser meines Körpers daran zu glauben, dass der verfolgte Kurs der richtige für das Land ist“. Unterstützung erhielt sie auch von ihrem (verbliebenen) Kabinett. Umweltmi- nister Michael Gove, einer der Brexit-Architekten, beendete Spekulationen über seinen Rückzug und erklärte, er habe „absolutes Vertrauen“in May. Handelsminister Liam Fox, ebenfalls ein expliziter Brexiteer, sagte: „Wir sind nicht in der Politik, um zu machen, was wir wollen, sondern um zu machen, was notwendig ist.“
„Kein guter Dienst für dieses Land“
Kabinettsminister David Lidington, de facto Mays Stellvertreter, forderte die Rebellen auf, ihre Anträge gegen die Premierministerin zurückzuziehen: „Ich glaube nicht, dass Sie unserem Land damit einen guten Dienst erweisen.“Sollte es dennoch zu einer Abstimmung kommen, zeigte er sich gelassen. May würde ein Misstrauensvotum „locker“gewinnen.
Auch die Rebellen gaben zu erkennen, dass sie nur wenig Zeit haben: „Jetzt ist die Zeit zu handeln“, forderte Baker. Die am Donnerstag zurückgetretenen Minister konnte May bisher nicht ersetzen. Eine Fotomontage zeigte sie am Telefon mit der Sprechblase: „Hallo, ist dort Ikea? Ich brauche ein neues Kabinett.“