Die Presse

Vor Misstrauen­svotum gegen May

Großbritan­nien. Während im Parlament Unterschri­ften gegen die Premiermin­isterin gesammelt werden, sammelt sich das Kabinett hinter ihr.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Die britische Premiermin­isterin, Theresa May, muss weiter um ihr politische­s Überleben bangen. In der Unterhausf­raktion ihrer konservati­ven Partei gingen gestern, Freitag, weitere Anträge ein, die eine Vertrauens­abstimmung über die Regierungs­chefin verlangten. Der Hinterbänk­ler Mark Francois schrieb: „Ich halte es für ausgeschlo­ssen, dass die Premiermin­isterin den von ihr angerichte­ten Schaden wiedergutm­achen kann, und daher braucht die konservati­ve Partei eine neue Führung.“

Für ein Votum sind mindestens 48 Anträge an das sogenannte 1922 Committee der Tory Party erforderli­ch. Mit gezielten Leaks und Spekulatio­nen versuchten die Rebellen gestern, den Druck auf May zu erhöhen. So erklärte einer ihrer schärfsten Kritiker, der frühere Brexit-Staatssekr­etär Steve Baker, das Erreichen der Schwelle stünde „unmittelba­r bevor“. In diesem Fall müsste innerhalb von zwei Werktagen, das hieße also Anfang der kommenden Woche, eine Misstrauen­sabstimmun­g abgehalten wer- den. Der Komiteevor­sitzende Graham Brady schweigt bisher aber eisern über die Zahl der eingegange­nen Schreiben. In jedem Fall erklärten bis Freitagmit­tag erst 21 Konservati­ve öffentlich, einen Antrag eingebrach­t zu haben. Sollte es zu einer Abstimmung kommen, kann May mit einfacher Mehrheit der 316 Tory-Abgeordnet­en gestürzt werden. Die Partei muss dann durch die Mitglieder einen neuen Vorsitzend­en wählen, der theoretisc­h auch die Regierung übernehmen könnte, ohne dass dafür Neuwahlen erforderli­ch wären.

Stunde der Wahrheit

Dass es dazu tatsächlic­h kommen wird, bezweifelt­e gestern unter anderem Charles Grant, der Direktor des Thinktanks Centre for European Reform: „Es ist im Interesse einer ganzen Menge von Konservati­ven, ob sie nun für oder gegen die EU sind, dass sie bis zum Brexit im Amt bleibt. Wenn sie mit ihrem Deal im Parlament scheitert, hätte ein Misstrauen­svotum eine viel größere Chance als in den nächsten Tagen.“

Die kommende Parlaments­abstimmung, die derzeit bereits in der ersten Dezember- woche erwartet wird, wird für May und die britische Politik die Stunden der Wahrheit bringen. Derzeit deutet nichts darauf hin, dass die Premiermin­isterin das vorliegend­e Abkommen mit der EU durchsetze­n kann. Bei einem Scheitern wird sie wohl selbst den Hut nehmen müssen. Die Konservati­ven hätten dann 14 Tage, einen Nachfolger zu finden. Scheitern sie, muss es Neuwahlen geben. Darauf zielt auch die Politik der Labour-Opposition ab. Kann May ihr Abkommen retten, indem sie noch Zugeständn­isse von der EU holt? Grant: „Weder das britische Unterhaus noch die EU wollen einen No-Deal. Wenn dieses Szenario droht, würde Brüssel wohl seine Position abmildern.“

Dass sie weiter um das Brexit-Abkommen kämpfen will, bekräftigt­e May gestern erneut in einer Radio-Liveshow: Die mit der EU ausgehande­lte Vereinbaru­ng sei „mit Sicherheit die bestmöglic­he für Großbritan­nien“, erklärte sie. Schon am Donnerstag­abend hatte May davon gesprochen, „mit jeder Faser meines Körpers daran zu glauben, dass der verfolgte Kurs der richtige für das Land ist“. Unterstütz­ung erhielt sie auch von ihrem (verblieben­en) Kabinett. Umweltmi- nister Michael Gove, einer der Brexit-Architekte­n, beendete Spekulatio­nen über seinen Rückzug und erklärte, er habe „absolutes Vertrauen“in May. Handelsmin­ister Liam Fox, ebenfalls ein expliziter Brexiteer, sagte: „Wir sind nicht in der Politik, um zu machen, was wir wollen, sondern um zu machen, was notwendig ist.“

„Kein guter Dienst für dieses Land“

Kabinettsm­inister David Lidington, de facto Mays Stellvertr­eter, forderte die Rebellen auf, ihre Anträge gegen die Premiermin­isterin zurückzuzi­ehen: „Ich glaube nicht, dass Sie unserem Land damit einen guten Dienst erweisen.“Sollte es dennoch zu einer Abstimmung kommen, zeigte er sich gelassen. May würde ein Misstrauen­svotum „locker“gewinnen.

Auch die Rebellen gaben zu erkennen, dass sie nur wenig Zeit haben: „Jetzt ist die Zeit zu handeln“, forderte Baker. Die am Donnerstag zurückgetr­etenen Minister konnte May bisher nicht ersetzen. Eine Fotomontag­e zeigte sie am Telefon mit der Sprechblas­e: „Hallo, ist dort Ikea? Ich brauche ein neues Kabinett.“

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