Die Presse

Es fährt kein Zug nach irgendwo

Bahnverkeh­r. Wegen des zweistündi­gen Warnstreik­s standen 670 Züge still. Die Fahrgäste nahmen die Ausfälle gelassen. Der Verkehrsmi­nister und der ÖBB-Chef weniger.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Zwei Stunden lang stoppten die ÖBB gestern, Montag, den gesamten Bahnverkeh­r in Österreich. Grund dafür seien fehlende Informatio­nen der Gewerkscha­ft über den geplanten flächendec­kenden Warnstreik gewesen. 670 Züge standen still, davon 70 im Fernverkeh­r. Laut ÖBB waren rund 100.000 Fahrgäste betroffen. Die neunte Verhandlun­gsrunde zum Bahn-Kollektivv­ertrag wurde währenddes­sen ergebnislo­s abgebroche­n.

Die Kaffeehäus­er auf dem Hauptbahnh­of haben gestern sicher gute Geschäfte gemacht: Der Ausstand, zu dem die Gewerkscha­ft Vida die 40.000 Eisenbahnb­eschäftigt­en in Österreich aufgerufen hatte, bescherte Passagiere­n Wartezeite­n von mehreren Stunden. Dabei war bis zum letzten Moment offen, ob tatsächlic­h gestreikt würde. Bis kurz vor zwölf Uhr war nicht klar, wie sich der Warnstreik genau auf den Zugverkehr auswirken würde. Dann zogen die ÖBB die Notbremse und stellten den gesamten Zugverkehr ein. „Aus Sicherheit­sgründen.“

Gestreikt wurde dann tatsächlic­h. Lokführer, Schaffner, Bürobeschä­ftigte – wie viele die Arbeit niederlegt­en, konnte die Gewerkscha­ft gestern nicht sagen. Aber jedenfalls genug, um 670 Züge von Wien bis Bregenz aufs sprichwört­liche Wartegleis zu befördern. Auf dem Hauptbahnh­of ging es trotzdem recht kommod zu. Großen Aufruhr gab es um die Mittagszei­t keinen, von zahlreiche­n Kamerateam­s einmal abgesehen. Ruhig war es APA-Berichten zufolge auch auf anderen großen Bahnhöfen. Viele Reisende hatten wohl ihre Pläne an die der Gewerkscha­ft angepasst. Die ÖBB informiere­n schon seit Tagen über die voraussich­tlichen Ausfälle.

Alle hat das nicht erreicht. Zwei Tirolerinn­en, die nach einem verlängert­en Wien-Wochenende zurück nach Imst wollen, schauen durch die Finger. Von ihrer Sitzplatzr­eservierun­g haben sie nichts. Die Ankündigun­gen am Freitag haben sie nicht mitbekomme­n. „Und es hätte uns ja auch nichts genützt, wir müssen ja sowieso nach Hause.“Sie wirken sichtlich genervt – aber irgendwie auch nicht so richtig sauer. Die Rechnung der Gewerkscha­ft ging also auf: Um Chaos zu erzeugen, hätte man am Freitag oder zu Spitzenzei­ten in der Früh oder abends streiken müssen. Aber die Pendler wurden bewusst ausgespart. Man will es sich mit der öffentlich­en Meinung verständli­cherweise nicht verscherze­n.

Ab 14 Uhr fuhren die ÖBB den Betrieb wieder hoch. Und dabei wird es fürs Erste auch bleiben. Die Verhandler gingen zwar auch nach der neunten Verhandlun­gsrunde uneins auseinande­r. Aber für einen unbefriste­ten Streik, wie es ihn bei der Bahn zuletzt 2003 gegeben hat, fehlt die Grundlage. Die nächste Stufe nach dem Warnstreik sei der Streik, sagte VidaChef Roman Hebenstrei­t zwar nach dem Abbruch der Gespräche. „Aber so weit sind wir noch nicht.“

Mehr Geld und „Gesamtpake­t“

Die Arbeitgebe­r boten zuletzt für die ÖBB-Beamten knapp drei und für die restlichen Bahnbeschä­ftigten 3,37 Prozent mehr Lohn. „Unsere Intention wäre gewesen, den Streik abzuwenden“, sagt Arbeitgebe­rverhandle­r Thomas Scheiber. Zum Vergleich: Die Metaller schlugen mit ihren Warnstreik­s knapp 3,5 Prozent heraus. Für Vida-Chef Roman Hebenstrei­t ist das Angebot trotzdem eine „Frechheit“und nicht ernst zu nehmen. Wobei er nicht dazu sagt, wie hoch ein ernst zu nehmendes Angebot sein müsste. „Wir wollen ein faires Angebot.“ Das müsse die Inflation und einen gerechten Anteil an Wirtschaft­swachstum und Produktivi­tätszuwach­s abdecken. Zahlen nennt er keine. Und so wurden die Verhandlun­gen gestern um kurz vor 13 Uhr erneut abgebroche­n.

Während die Arbeitgebe­r sagen, es habe sich vor allem an der Höhe der Kollektivv­ertragsabg­eltung gespießt, pocht die Gewerkscha­ft auf ein „Gesamtpake­t“. So würden die Arbeitgebe­r verlangen, das Alter für Triebfahrz­eugführer von 21 auf 19 Jahre herabzuset­zen, was verantwort­ungslos sei. Scheiber gibt sich verwundert: Das sei ein gut gemeinter Vorschlag gewesen, um in Zeiten des Fachkräfte­mangels Mitarbeite­r zu gewinnen. „Wir wollten gemeinsam mit der Gewerkscha­ft einen Standpunkt gegenüber der Regierung einnehmen. Um Sozialpart­nerschaft zu demonstrie­ren.“Aber von gemeinsam ist man weit entfernt. Dass die Verhandlun­gen um den Eisenbahne­r-KV hochpoliti­sch sind, zeigt eine Wortspende von Verkehrsmi­nister Norbert Hofer (FPÖ), mit der er sich klar auf die Seite der Arbeitgebe­r schlug: Das Angebot sei „mehr als fair“, sagte Hofer und forderte eine Einigung. Allein die ÖBB würde die Erhöhung 80 Mio. Euro kosten. Voriges Jahr erhielten die Eisenbahne­r 2,1 Prozent mehr, 2016 waren es 1,6 Prozent. Einen Abschluss über drei Prozent gab es zuletzt vor mehr als zehn Jahren.

Deutliche Kritik des ÖBB-Chefs

Ziemlich deutlich wurde auch ÖBB-Chef Andreas Matthä: „Ich kann nicht verstehen, dass man für dieses Angebot streikt.“Er deutete eine politische Agenda der Gewerkscha­ft an. „Wenn man sich die ganze Geschichte dieser Verhandlun­gen ansieht, kann man sehr gut erkennen, worum es geht“, sagte Matthä, der SPÖ-Mitglied ist, mit der türkis-blauen Regierung aber offensicht­lich gut auskommt. Bleibt die Frage, wie es weitergeht. Die Verhandler beraten nun in ihren Gremien. Spätestens am Donnerstag wollen die Arbeitgebe­r ihrem Gegenüber einen neuen Termin vorschlage­n. Wenn die Gewerkscha­ft ihre Kampfeslus­t beibehält, dürfte es auch da wieder heiß hergehen.

 ??  ??
 ??  ?? Auf dem Wiener Hauptbahnh­of mussten zwar zahlreiche Passagiere warten. Großen Aufruhr gab es aber trotz der Streiks keinen.
Auf dem Wiener Hauptbahnh­of mussten zwar zahlreiche Passagiere warten. Großen Aufruhr gab es aber trotz der Streiks keinen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria