Es fährt kein Zug nach irgendwo
Bahnverkehr. Wegen des zweistündigen Warnstreiks standen 670 Züge still. Die Fahrgäste nahmen die Ausfälle gelassen. Der Verkehrsminister und der ÖBB-Chef weniger.
Zwei Stunden lang stoppten die ÖBB gestern, Montag, den gesamten Bahnverkehr in Österreich. Grund dafür seien fehlende Informationen der Gewerkschaft über den geplanten flächendeckenden Warnstreik gewesen. 670 Züge standen still, davon 70 im Fernverkehr. Laut ÖBB waren rund 100.000 Fahrgäste betroffen. Die neunte Verhandlungsrunde zum Bahn-Kollektivvertrag wurde währenddessen ergebnislos abgebrochen.
Die Kaffeehäuser auf dem Hauptbahnhof haben gestern sicher gute Geschäfte gemacht: Der Ausstand, zu dem die Gewerkschaft Vida die 40.000 Eisenbahnbeschäftigten in Österreich aufgerufen hatte, bescherte Passagieren Wartezeiten von mehreren Stunden. Dabei war bis zum letzten Moment offen, ob tatsächlich gestreikt würde. Bis kurz vor zwölf Uhr war nicht klar, wie sich der Warnstreik genau auf den Zugverkehr auswirken würde. Dann zogen die ÖBB die Notbremse und stellten den gesamten Zugverkehr ein. „Aus Sicherheitsgründen.“
Gestreikt wurde dann tatsächlich. Lokführer, Schaffner, Bürobeschäftigte – wie viele die Arbeit niederlegten, konnte die Gewerkschaft gestern nicht sagen. Aber jedenfalls genug, um 670 Züge von Wien bis Bregenz aufs sprichwörtliche Wartegleis zu befördern. Auf dem Hauptbahnhof ging es trotzdem recht kommod zu. Großen Aufruhr gab es um die Mittagszeit keinen, von zahlreichen Kamerateams einmal abgesehen. Ruhig war es APA-Berichten zufolge auch auf anderen großen Bahnhöfen. Viele Reisende hatten wohl ihre Pläne an die der Gewerkschaft angepasst. Die ÖBB informieren schon seit Tagen über die voraussichtlichen Ausfälle.
Alle hat das nicht erreicht. Zwei Tirolerinnen, die nach einem verlängerten Wien-Wochenende zurück nach Imst wollen, schauen durch die Finger. Von ihrer Sitzplatzreservierung haben sie nichts. Die Ankündigungen am Freitag haben sie nicht mitbekommen. „Und es hätte uns ja auch nichts genützt, wir müssen ja sowieso nach Hause.“Sie wirken sichtlich genervt – aber irgendwie auch nicht so richtig sauer. Die Rechnung der Gewerkschaft ging also auf: Um Chaos zu erzeugen, hätte man am Freitag oder zu Spitzenzeiten in der Früh oder abends streiken müssen. Aber die Pendler wurden bewusst ausgespart. Man will es sich mit der öffentlichen Meinung verständlicherweise nicht verscherzen.
Ab 14 Uhr fuhren die ÖBB den Betrieb wieder hoch. Und dabei wird es fürs Erste auch bleiben. Die Verhandler gingen zwar auch nach der neunten Verhandlungsrunde uneins auseinander. Aber für einen unbefristeten Streik, wie es ihn bei der Bahn zuletzt 2003 gegeben hat, fehlt die Grundlage. Die nächste Stufe nach dem Warnstreik sei der Streik, sagte VidaChef Roman Hebenstreit zwar nach dem Abbruch der Gespräche. „Aber so weit sind wir noch nicht.“
Mehr Geld und „Gesamtpaket“
Die Arbeitgeber boten zuletzt für die ÖBB-Beamten knapp drei und für die restlichen Bahnbeschäftigten 3,37 Prozent mehr Lohn. „Unsere Intention wäre gewesen, den Streik abzuwenden“, sagt Arbeitgeberverhandler Thomas Scheiber. Zum Vergleich: Die Metaller schlugen mit ihren Warnstreiks knapp 3,5 Prozent heraus. Für Vida-Chef Roman Hebenstreit ist das Angebot trotzdem eine „Frechheit“und nicht ernst zu nehmen. Wobei er nicht dazu sagt, wie hoch ein ernst zu nehmendes Angebot sein müsste. „Wir wollen ein faires Angebot.“ Das müsse die Inflation und einen gerechten Anteil an Wirtschaftswachstum und Produktivitätszuwachs abdecken. Zahlen nennt er keine. Und so wurden die Verhandlungen gestern um kurz vor 13 Uhr erneut abgebrochen.
Während die Arbeitgeber sagen, es habe sich vor allem an der Höhe der Kollektivvertragsabgeltung gespießt, pocht die Gewerkschaft auf ein „Gesamtpaket“. So würden die Arbeitgeber verlangen, das Alter für Triebfahrzeugführer von 21 auf 19 Jahre herabzusetzen, was verantwortungslos sei. Scheiber gibt sich verwundert: Das sei ein gut gemeinter Vorschlag gewesen, um in Zeiten des Fachkräftemangels Mitarbeiter zu gewinnen. „Wir wollten gemeinsam mit der Gewerkschaft einen Standpunkt gegenüber der Regierung einnehmen. Um Sozialpartnerschaft zu demonstrieren.“Aber von gemeinsam ist man weit entfernt. Dass die Verhandlungen um den Eisenbahner-KV hochpolitisch sind, zeigt eine Wortspende von Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ), mit der er sich klar auf die Seite der Arbeitgeber schlug: Das Angebot sei „mehr als fair“, sagte Hofer und forderte eine Einigung. Allein die ÖBB würde die Erhöhung 80 Mio. Euro kosten. Voriges Jahr erhielten die Eisenbahner 2,1 Prozent mehr, 2016 waren es 1,6 Prozent. Einen Abschluss über drei Prozent gab es zuletzt vor mehr als zehn Jahren.
Deutliche Kritik des ÖBB-Chefs
Ziemlich deutlich wurde auch ÖBB-Chef Andreas Matthä: „Ich kann nicht verstehen, dass man für dieses Angebot streikt.“Er deutete eine politische Agenda der Gewerkschaft an. „Wenn man sich die ganze Geschichte dieser Verhandlungen ansieht, kann man sehr gut erkennen, worum es geht“, sagte Matthä, der SPÖ-Mitglied ist, mit der türkis-blauen Regierung aber offensichtlich gut auskommt. Bleibt die Frage, wie es weitergeht. Die Verhandler beraten nun in ihren Gremien. Spätestens am Donnerstag wollen die Arbeitgeber ihrem Gegenüber einen neuen Termin vorschlagen. Wenn die Gewerkschaft ihre Kampfeslust beibehält, dürfte es auch da wieder heiß hergehen.