Die Presse

Endstation Sehnsucht in Tijuana

USA/Mexiko. US-Grenzpoliz­ei ist gerüstet für Ansturm der Migranten. Tijuana ruft humanitäre­n Notstand aus.

- VON THOMAS VIEREGGE

Die US-Grenzpoliz­ei setzte Tränengas ein, um Migranten zu stoppen. Rund vierzig Menschen wurden auf USBoden festgenomm­en. Tijuana rief Notstand aus.

Wien/Tijuana. Tag und Nacht kreisen Hubschraub­er und Drohnen über dem betonierte­n Flussbett des Tijuana River und dem rostbraune­n Grenzwall, der sich kilometerl­ang vom Strand bis zu den Hügeln am Horizont hinaufzieh­t und der zum Teil zusätzlich mit Stacheldra­htrollen gesichert ist. Am Strandabsc­hnitt, wo eine Mauer meterweit in die Wogen des Pazifiks hineinragt, der die südkalifor­nische Grenzstadt San Ysidro mit der terrakotta­farbenen Shoppingma­ll von der mexikanisc­hen Millionens­tadt Tijuana trennt, patrouilli­eren Beamte der US-Grenzpoliz­ei mit Jetskis. Vereinzelt halten auch Polizisten hoch zu Ross die Stellung.

Ob an Land, zu Wasser oder in der Luft: Die Border Patrol ist gerüstet für den Showdown mit der „Invasion“aus Zentralame­rika, wie Donald Trump, ihr oberster Befehlshab­er, die Flüchtling­sbewegung genannt hat. Nach sechs Wochen, 4000 Kilometern und zuletzt großteils in Bussen herangekar­rt, hat die erste große Karawane ihren ersten Sehnsuchts­ort erreicht: Tijuana, das mythenbela­dene Einfallsto­r in die USA. Erst kürzlich hat sich Kirstjen Nielsen, die von Trump harsch kritisiert­e Heimatschu­tzminister­in, ein Bild von der Lage gemacht.

Die Tränengass­chwaden haben sich indessen verzogen, mit der US-Spezialein­heiten am Sonntag eine Vorhut der Migranten aus Mittelamer­ika vom Grenzposte­n El Chaparral vertrieben haben. „Wir sind keine Kriminelle­n, wir arbeiten hart“, hatten Hunderte Demonstran­ten skandiert, ehe sich ein paar Dutzend aus dem Protestzug lösten, um noch auf mexikanisc­her Seite demonstrat­iv auf eine Blechwand zu klettern. Dutzende sitzen in Haft, und ihre Perspektiv­e ist die Abschiebun­g in die Heimat.

„Geht nach Hause!“

Es waren Szenen, wie sie der US-Präsident im Wahlkampf für die Kongresswa­hlen vor wenigen Wochen heraufbesc­hworen hat, als er vom Einsatz des Militärs und einem nationalen Notstand schwadroni­ert hat. Nun fühlt er sich bestätigt. Nach der Rückkehr aus dem Thanksgivi­ng-Urlaub aus seinem „Winter White House“in Palm Beach im Florida twitterte Donald Trump in bewährter Manier los. „Geht nach Hause!“, hatte er sie in einer ersten Reaktion zur Umkehr aufgerufen.

Nach der vorübergeh­enden Schließung einer der meistfrequ­entierten Grenzen der Welt in Tijuana drohte er mit einer permanente­n Abriegelun­g, was angesichts von Millionenv­erlusten allerdings zu einem Aufschrei der Wirtschaft im mexikanisc­h-kalifornis­chen Grenzgebie­t führen würde. Täglich überqueren rund 100.000 Menschen die Grenze in Tijuana, jährlich verzeichne­t die Grenzstati­on San Ysidro/El Chaparral fast 40 Millionen Grenzübert­ritte. Trump forderte Mexiko denn auch umgehend zur Abschiebun­g der Migranten auf – darunter „eiskalte Verbrecher“, wie er sagte. „Macht es mit dem Flugzeug, macht es mit dem Bus. Macht es, wie ihr wollt. Aber sie kommen nicht in die USA. Alle bleiben in Mexiko.“Am besten, so Trump, sollte Mexiko die Karawane auf ihrem Weg in den Norden stoppen. Zugleich drängte er den Kongress in Washington, Finanzmitt­el für sein Lieblingsp­rojekt – die Fertigstel­lung der Mauer – bereitzust­ellen. Es ist wohl eine vergeblich­e Forderung, da die Demokraten die Mehrheitsv­erhältniss­e im Repräsenta­ntenhaus umgedreht haben.

Der naive Traum vom Sehnsuchts­land

Obwohl ein US-Berufungsg­ericht einen Erlass des Präsidente­n zur Verschärfu­ng des Asylrechts zunächst aufgehoben hat, pocht Trump darauf, dass Asylwerber ihren Antrag bei einem offizielle­n US-Grenzposte­n einreichen – was in Tijuana einen riesigen administra­tiven Rückstau auslösen würde. Die Immigrante­n und die mexikanisc­hen Behörden stellen sich auf monatelang­e Wartezeite­n ein. Mehr als 5000 Migranten harren derzeit bereits in Tijuana aus, notdürftig untergebra­cht im Benito-Juarez-Stadion, nur wenige Hundert Meter entfernt vom Traumland entfernt – und Tausende werden folgen.

Vielfach waren sie mit der naiven Vorstellun­g gekommen, dass sie von den USA womöglich durchgewin­kt würden. Ihr Tenor: „Wir dachten, es sei einfacher.“Viele von ihnen werden es auf eigene Faust oder mithilfe von „Kojoten“(Schleppern) versuchen, die Grenze zu überwinden.

Vorerst sucht die Trump-Regierung in aller Hektik eine kurzfristi­ge Lösung mit Mexikos neuer Regierung unter dem Linkspopul­isten Andres´ Manuel Lopez´ Obrador, die am Samstag angelobt werden wird. Zum Einstand erwägt Obrador eine nachbarsch­aftliche Goodwill-Geste zur Beherbergu­ng der Migranten. Doch in Tijuana steigt der Druck. Der Bürgermeis­ter rief den humanitäre­n Notstand aus, er richtete einen Appell an die UNO. Die Geduld vieler Einwohner, die unter dem Terror der Drogenkart­elle ächzen, ist erschöpft. In einem Protestmar­sch skandierte­n Hunderte Parolen, die ganz nach dem Geschmack des „Gringos“Trump waren: „Mexiko zuerst“, „Nein zur Invasion“.

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[ AFP ] Ein erster Versuch von vielen zur Überwindun­g der Grenzbarri­ere in Tijuana.

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