Die Presse

Der Streik der Eisenbahne­r trifft ja eh nur die einfachen Leute

Warum streiken die Eisenbahne­r und nicht die Metaller? Die Metaller beliefern große deutsche Autokonzer­ne. Und diese lässt man nicht warten.

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L ies keine Oden, mein Sohn, lies Fahrpläne: Die sind genauer“, heißt es in einem Gedicht von Hans Magnus Enzensberg­er. Und so mancher Bahnkunde kann über diese Zeile dieser Tage nur zynisch lächeln. Denn der einzige Fahrplan, der auf die Minute eingehalte­n wurde, war der Fahrplan zum Warnstreik. Gestern um zwölf Uhr war es so weit. Die ÖBB haben sicherheit­shalber gleich den kompletten Verkehr zwei Stunden stillgeleg­t. Damit sich auch ja keiner vom Streik drücken kann. Pardon: aus Sicherheit­sgründen natürlich.

Nein, man darf der ÖBB-Führung in diesem Fall keinerlei Sympathie mit der Gewerkscha­ft unterstell­en. Selten hat ein ÖBB-Chef so klare Worte gefunden wie gestern Andreas Matthä. Für ihn ist der Streik „ein untragbare­r Zustand“. Und Matthä spricht klar aus, dass es hier um ein politische­s Machtspiel geht, nicht um den Kollektivv­ertrag. „Ich kann nicht verstehen, dass man für dieses Angebot streikt“, sagte der ÖBB-Chef.

Der Streik der Eisenbahne­r ist also ein rein politische­r. Die Arbeitgebe­r haben den beamteten Eisenbahne­rn fast drei Prozent und den Vertragsbe­diensteten 3,37 Prozent Lohnerhöhu­ng angeboten. Das ist nicht mehr so weit weg von den 3,46 Prozent der Metaller. Und ganz nebenbei: Es muss schon ein kleiner Unterschie­d zwischen einem großen Teil de facto unkündbare­r Staatsange­stellter und einem Facharbeit­er in der privaten Metallindu­strie sein. Letztere tragen in wirtschaft­lich mageren Jahren ein ungleich höheres Risiko, sprich Kurzarbeit und schlimmste­nfalls Kündigung. Die größte Gefahr bei den Eisenbahne­rn ist, krank zu werden und deshalb in den Vorruhesta­nd geschickt zu werden. Mit einer Pension übrigens, von der ASVG-Pensionist­en nur träumen können. Man

kann es drehen, wie man will: Der Eindruck, dass hier unbedingt gestreikt werden wollte – ja musste, liegt nahe. Es geht nicht um Löhne, es geht darum, endlich Opposition gegen die türkisblau­e Regierung zu machen. Und da diese bekanntlic­h im Parlament nicht stattfinde­t, wird sie auf die Straße – vorerst auf die Bahnsteige verlegt.

Aber warum die Eisenbahne­r, warum haben nicht gleich die Metaller damit angefangen? Jene Metaller, denen man so viel Symbolfunk­tion zumisst, die angeblich auf alle weiteren Kollektivv­ertragsver­handlungen ausstrahle­n. Die Antwort ist ganz einfach: Die Metaller können es sich nicht mehr leisten zu streiken. Das wissen die Arbeitgebe­r genauso gut wie die Gewerkscha­fter. All das Säbelrasse­ln, all die Streikdroh­ungen sind seit Jahren nur noch eine Schmierenk­omödie.

In einer globalisie­rten Welt kann kein österreich­isches Unternehme­n mehr riskieren, dass die Zulieferke­tte zur Automobili­ndustrie auch nur einen einzigen Tag abreißt. Das ist denkunmögl­ich. Wenn in Bayern die BMWWerke, in Ingolstadt Audi oder in Stuttgart Daimler keine Teile aus Österreich mehr – just in time – geliefert bekommen, dann ist Feierabend. Dann gehen in den oberösterr­eichischen und steirische­n Industrieh­allen die Lichter aus. D a tun sich ÖBB, Westbahn und Co. mit ihren Lieferkett­en um vieles leichter. Sie transporti­eren ja nur einfache Leute. Und natürlich gibt es auch im Güterverke­hr heikle „Just in time“-Lieferunge­n etwa für BMW Steyr, das OpelWerk in Wien und Magna in Graz. Aber diese Lieferunge­n kann man vorziehen oder auf den Lkw umladen. Die wirklich wichtigen Kunden haben natürlich auch bei den ÖBB Vorrang. Der Streik trifft also nur jene, die in der Lieferkett­e ganz unten stehen.

Zwei Tage nachdem die SPÖ erstmals in ihrer Geschichte eine Frau zur Parteichef­in gekürt hat, spielt sich Gewerkscha­fter Roman Hebenstrei­t mit dem Streik zum wahren Opposition­sführer auf. Sein Spiel ist gefährlich. In der türkis-blauen Regierung gibt es nicht wenige, die eine Teilprivat­isierung der ÖBB lieber heute als morgen sehen würden.

Ganz nach dem Motto „Wenn die Eisenbahne­rgewerksch­aft Kollektivv­erträge wie in der Privatwirt­schaft haben möchte, dann kann sie diese haben“.

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VON GERHARD HOFER

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