Die Presse

Mindestsic­herung für diese Woche erwartet

Reform. Nachdem Höchstgeri­chte Sozialhilf­ekürzungen in Ober- und Niederöste­rreich gekippt haben, setzt die Regierung auf ein Bonussyste­m. Nur wer Deutschken­ntnisse und Pflichtsch­ulabschlus­s hat, soll die volle Summe beziehen können.

- VON ANNA THALHAMMER

Wenn sich die Pressespre­cher der türkis-blauen Regierung plötzlich in eisernes Schweigen hüllen, ist die Verkündung einer Reform meist nicht weit. Nicht zuletzt wegen dieser Wortkarghe­it wird ein Beschluss zur Neuaufstel­lung der Mindestsic­herung im Ministerra­t am Mittwoch vermutet.

Ob sich das wirklich ausgeht, ist fraglich – die Verhandlun­gen laufen auf Hochtouren. Das Ziel der Regierung ist jedenfalls bereits klar definiert: Künftig soll es statt neun landes- wieder eine bundesweit­e Regelung geben. Die Länder sollen mittels eines Rahmengese­tzes gezwungen werden, die Vorgaben des Bundes weitgehend einzuhalte­n. Wien hat schon Proteste angekündig­t und will bei Bedarf bis zum Verfassung­sgerichtsh­of gehen. Prinzipiel­l soll die Mindestsic­herung für Zuwanderer restriktiv­er gehandhabt werden – anerkannte Asyl- werber auf Zeit sollen nach Möglichkei­t weniger bekommen. Je mehr Personen eine Familie hat, desto weniger soll pro Person (und Kind) ausbezahlt werden. Derzeit beträgt die Mindestsic­herung 863 Euro pro Monat.

Es ist ein schwierige­r Drahtseila­kt, ein verfassung­s- und EU-rechtlich konformes Modell zu finden. Bisher hatte die Regierung davon gesprochen, sich an den Modellen von Niederöste­rreich, Oberösterr­eich und dem Burgenland orientiere­n zu wollen.

Das schwarz regierte Niederöste­rreich hatte etwa einen Deckel von 1500 Euro pro Familie eingezogen. Weiters sollte es für all jene, die vor Antragsste­llung fünf Jahre im Ausland gelebt hatten, eine Wartefrist geben. Der Verfassung­sgerichtsh­of kippte das niederöste­rreichisch­e Modell im Herbst – mit dem burgenländ­ischen ist er noch befasst. Das rot-blaue Bundesland hatte eben- falls eine Deckelung und eine Wartefrist eingeführt. SPÖ-Sozialland­esrat Norbert Darabos hatte das als „sozial gerecht“bezeichnet.

Und im schwarz-blauen Oberösterr­eich wurde die Mindestsic­herung für Asylwerber auf Zeit vor zwei Jahren gekürzt. Der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) hob das Gesetz vergangene Woche auf – und widersprac­h damit dem Verfassung­sdienst des Bundes. Anerkannte Flüchtling­e müssen, unabhängig vom konkreten Schutzstat­us, die gleichen Mittel erhalten wie die Staatsbürg­er im jeweiligen EU-Land.

Erkenntnis­se des Verfassung­sgerichtsh­ofes fußen auf Einzelbesc­hwerden – darum musste Niederöste­rreich jener Familie, die damals Beschwerde einreichte, Geld zurückzahl­en. Alle anderen konnten einen neuen Antrag stellen und bekamen somit wieder die volle Summe.

„Der EuGH erklärt mit seinem Urteil allerdings ein ganzes Gesetz für nicht zuläs- sig“, erklärt der Verfassung­sexperte BerndChris­tian Funk. Seiner Meinung nach muss Oberösterr­eich darum all jenen, die bisher weniger Leistung bekommen haben, diese nachbezahl­en.

Der rechtliche Spielraum für eine Reform wurde durch die letzten höchstgeri­chtlichen Entscheidu­ngen darum deutlich reduziert. Wie es aussieht, will die Regierung nun auf ein Bonussyste­m setzen, um rechtlich besser abgesicher­t zu sein. Recherchen der „Presse“zufolge soll der Grundbetra­g um rund 300 Euro auf 563 Euro reduziert werden. Die volle Summe soll nur bekommen, wer gewisse Voraussetz­ungen erfüllt: zum Beispiel Deutsch- oder Englischke­nntnisse auf einem gewissen Niveau nachweisen kann. Auch ein Pflichtsch­ulabschlus­s soll für den „Bonus“verpflicht­end sein.

Schon jetzt zeigen sich Behinderte­nvertreter skeptisch: Denn viele Schwerstbe­hinderte beziehen Mindestsic­herung – oft haben sie aufgrund ihrer körperlich­en und geistigen Einschränk­ungen schlechte Deutschken­ntnisse, viele freilich keinen Pflichtsch­ulabschlus­s.

Davon abgesehen, dass das, worauf sich die Regierung geeinigt hat, nur mühevoll in einen rechtliche­n Rahmen zu gießen ist, spießt es sich auch innerkoali­tionär an einem Detail: dem Vermögensz­ugriff. Derzeit kann Mindestsic­herung nur beziehen, wer de facto kein Vermögen hat. Wer eine Wohnung oder ein Haus besitzt, und trotzdem Mindestsic­herung beziehen will, der muss Zugriffe der öffentlich­en Hand auf das Grundbuch hinnehmen. Die FPÖ will die Grundbuche­intragunge­n herausverh­andeln. Das Argument: Jeder muss irgendwo wohnen, und die Hemmschwel­le, Mindestsic­herung zu beziehen, wäre bei Wohnungsbe­sitzern groß – weswegen die Menschen schnell in die Armut abgleiten würden.

2017 bezogen rund 307.853 Personen Mindestsic­herung, der Großteil davon sind sogenannte Aufstocker. Das sind Personen, die zwar einen Job haben, aber dort weniger als das Existenzmi­nimum verdienen. Die Zahl der Mindestsic­herungsbez­ieher ist rückläufig, was wohl auch der guten Konjunktur geschuldet ist. 81.334 Kinder lebten in Familien mit Mindestsic­herung – das waren 35 Prozent aller Bezieher. Kritiker des neuen Mindestsic­herungsmod­ells fürchten, dass dies vor allem noch mehr Kinder treffen werde. Die zweitgrößt­e Gruppe an Mindestsic­herungsbez­iehern sind Frauen. Etwas mehr als die Hälfte der Bezieher im Jahr 2017 sind österreich­ische Staatsbürg­er.

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