Ein Maestro des italienischen Kinos ist tot
Nachruf. Filme wie „Der letzte Tango in Paris“und „Der letzte Kaiser“machten Bernardo Bertolucci zu einem der wichtigsten italienischen Regisseure des 20. Jahrhunderts. Mit 77 Jahren ist er nun in Rom gestorben.
Er war Italiener durch und durch – und doch assoziiert man Bernardo Bertolucci unweigerlich mit der Hauptstadt der Franzosen. Paris war wesentlicher Schauplatz in zwei seiner berühmtesten, Anfang der Siebziger gedrehten Filme – jenem Werk, das ihn bekannt machte („Der große Irrtum“über einen Mitläufer, der sich im Faschismus der italienischen Geheimpolizei anschließt), und vor allem „Der letzte Tango in Paris“: im Grunde ein Film über unausweichliche Einsamkeit, legendär aber in erster Linie durch unverblümte Sexszenen zwischen Marlon Brando und Maria Schneider – und durch Zensurversuche, die den Film nur noch erfolgreicher machten.
Darin trifft sich ein Amerikaner mittleren Alters in einer Wohnung mit einer jungen Französin, ausschließlich für Sex. Ihre Beziehung bleibt rätselhaft, ihr beider Leben auch, es endet tödlich. Die zwanghafte Vorstellung von einer sexuellen Begegnung mit einer Unbekannten in einer unbekannten Wohnung hatte Bertolucci zu dieser Story animiert; die Straße, in der sie hauptsächlich spielt, ist nicht umsonst nach einem Meister der literarischen Fantasien, Jules Verne, benannt.
Viele Rätsel, viele Anspielungen auf Kunst und Mythos (hier etwa auf das Werk des irischen Malers Francis Bacon oder die Figur des Orpheus), die große Bedeutung der Farben, Bildausschnitte, die langen Kamerafahrten, der opernhafte Gestus – das sind nur einige Charakteristika von Bertoluccis Filmen. Als der mitten im Krieg geborene Sohn einer Literaturlehrerin und eines bekannten Dichters 1972 mit „Der letzte Tango in Paris“in Europa wie in den USA zum öffentlichen Gesprächsthema wurde, drehte er schon seit einem Jahrzehnt Filme. Nicht zuletzt ein Monat in Paris nach seinem Schulabschluss hatte ihn dazu gebracht, diese Kunstgattung der Literatur vorzuziehen – wer weiß heute noch, dass der junge Bertolucci für einen Gedichtband einen der wichtigsten italienischen Literaturpreise, den Premio Viareggio, erhalten hat . . .
Pasolini war sein Lehrer
Aber es trieb ihn zum Film: dank Paris, dank seiner Begeisterung für das Werk von JeanLuc Godard (von dem er sich erst mit Filmen wie „Der große Irrtum“und „Der letzte Tango in Paris“distanzierte) und nicht zuletzt durch die Bekanntschaft mit dem italienischen Regisseur Pier Paolo Pasolini. Sein Vater hatte Pasolini geholfen, dessen ersten Roman und Gedichte zu veröffentlichen; bei Pasolinis erstem Film war Bertolucci 1961 Regieassistent. Mit seinem Lehrer wie mit anderen berühmten italienischen Regisseuren jener Zeit teilte Bertolucci auch die Sympathie für den Kommunismus. Seine Kinderjahre in einem Dorf mit viel Kontakt zu den Bauern trugen dazu bei. Beiden, Kommunismus und Bauerntum, wollte er dann auch ein Denkmal setzen – mit seinem monumentalen, aber künstlerisch weniger interessanten, um der Botschaft willen schlicht erzählten Film „1900“. Ein halbes Jahrhundert italienischer Geschichte wird hier gezeigt, mit Stars wie Burt Lancaster, Gerard´ Depardieu, Donald Sutherland und Robert De Niro.
Und Bertolucci blieb beim Schauplatz Italien beziehungsweise verengte ihn auf seine Heimatregion um Parma. Er drehte „La Luna“(1979) über eine inzestuöse Mutter-Sohn-Beziehung und einen politischen Film über einen Unternehmer, dessen Sohn entführt wird: „Die Tragödie eines lächerlichen Mannes“(1981).
Vom Kaiser zum Gärtner
Männer, Männer, nochmals Männer – ihre Befindlichkeit ist das große Thema von Bertoluccis Filmen. Frauen sind in seinem Werk eher Funktionen des Mannes denn eigene Charaktere. Auch die gewagte Ausgestaltung von „Der letzte Tango in Paris“ergab sich letztlich aus einem intensiven psychoanalytischen Austausch zwischen dem Regisseur und dem männlichen Hauptdarsteller Marlon Brando. Um die Entwicklung eines Mannes geht es auch in „Der letzte Kaiser“(1987) – von einer Raupe zu einem Schmetterling, von einem Drachen in einen Menschen und gewöhnlichen Bürger.
Neun Oscars brachte ihm diese Verfilmung der Biografie des Kaisers Puyi von China ein, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Zweijähriger für nur drei Jahre den Thron besteigt und 1967 als einfacher Gärtner stirbt. Spektakulär an diesem opulenten Epos war auch, dass zum ersten Mal ein westliches Filmteam in der Verbotenen Stadt drehen durfte.
Nicht erst mit „Der letzte Kaiser“, schon lang vorher wandte sich Bertolucci von seinen experimentellen Anfängen ab, hin zu einem ästhetisch konventionelleren, leichter konsumierbaren Kino. Damit enttäuschte er viele einstige Fans – und gewann neue dazu. Nun ist er im Alter von 77 Jahren in Rom an den Folgen von Krebs gestorben: Einer der Letzten des großen italienischen Kinos ist tot.