Die Presse

„Bei Schwab sind alle Opfer und Täter in einem“

Akademieth­eater. Nikolaus Habjan lässt ab Donnerstag zu Werner Schwabs „Volksverni­chtung oder Meine Leber ist sinnlos“die Puppen tanzen. Ein Gespräch über das Groteske und die Musikalitä­t der Fäkaliendr­amen des Grazer Dichters.

- VON NORBERT MAYER

Die Presse: Werden bei Ihrer Inszenieru­ng in Wien so wie Sie auch die Ensemblemi­tglieder Puppen zum Spielen bekommen? Nikolaus Habjan: Alle bekommen eine, bis auf Barbara Petritsch, die Frau Grollfeuer spielt. Mir wäre es inzwischen langweilig, wenn nur ich eine Puppe hätte. Meine ist die von Herrmann, dem Schöpfer der „Grazkunst“und Alter Ego von Schwab.

Wie verläuft die Zusammenar­beit mit den Burgschaus­pielern? Wird beim Lesen des handfesten Schwab-Textes viel gelacht? O ja! Wir lachen viel. Es sind so tolle Sprecherin­nen. Die Puppen schaffen auch eine eigene Atmosphäre. Man muss sich wegen ihnen noch mehr auf die Sprache als auf den Körper verlassen. Und alle lieben die Musik von Kyrre Kvam, die auf die Szenen genau zugeschnit­ten ist.

Kann sich das Ensemble beim Gemetzel im Puppenspie­l ungehinder­t ausleben? Was geht Ihnen da durch den Kopf? Ich habe noch niemanden umgebracht. Aber derzeit fallen mir zum Schluss des Stückes Nacktschne­cken ein, die man einsammelt und mit Salz tötet. Mir hat als Volksschül­er schon vor diesen Tieren gegraust. Ich sehe noch das Plastiksac­kerl mit den sich im Salz windenden Schnecken vor mir.

Was hat Sie an dem wortmächti­gen Skandalaut­or der Fäkaliendr­amen gereizt, der 1994 mit 35 Jahren gestorben ist? Schwab mag ich einfach. Und seine Witwe, Ingeborg Orthofer, hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, diesen Kosmos mit meinen Puppen zu erzählen. Das leuchtete mir ein. Als ich dann im Burgtheate­r „Die Präsidenti­nnen“in großartige­r Besetzung sah und das Angebot einer Inszenieru­ng kam, war mir klar, dass ich diesen Schwab machen wollte. Wie bei Nestroy muss man mit seiner Sprache musikalisc­h umgehen.

Seine Fäkaliendr­amen wirken wie barocke Grotesken. Muss man aber nicht gerade beim Puppenspie­l aufpassen, dass der Hang zum Karikieren nicht ausartet? Ja, das stimmt, aber man kann das Groteske auch immer wieder brechen. Schwabs Spannweite reicht vom Naturalist­ischen bis zum Absurden. Daran arbeiten wir intensiv.

Sie haben zuletzt bei „Böhm“und „Alcina“Puppen verschiede­ner Größen verwendet. Wird das auch diesmal so sein? Nein, alle Puppen sind diesmal in Lebensgröß­e. Bei der Oper oder etwa, wenn man die Schwarzkop­f und die Ludwig bei „Böhm“als kleinere Tischpuppe­n verwendet, ist das ideal. Bei Schwab setze ich auf Klappmaulp­uppen, die ins Volle gehen können.

Sie stammen aus Graz. Schwab gehört zu Ihrer Vätergener­ation. Wie und wann sind Sie denn auf ihn aufmerksam geworden? Das war vor ungefähr zehn Jahren, bei einem Vorsprecha­bend, als eine Schauspiel­erin die Mariedl aus den „Präsidenti­nnen“gab. Das hat mich neugierig gemacht. Bald habe ich das Stück auch auf der Bühne gesehen, am Volkstheat­er, aber dann auch von einer tollen Laienspiel­gruppe.

Das Vulgäre bei Schwab ist so aberwitzig verfremdet, dass man leicht zum Lachen kommt. Wie geht es Ihnen dabei? Ich denke da an die Filme von Quentin Tarantino, der das Splatter-Genre auf eine ganz neue Ebene gehoben hat. Bei „Kill Bill“etwa ist das Gemetzel so stilisiert, dass es schon wieder ein Kunstwerk ist. Bei Schwab sind alle handelnden Personen Opfer und Täter in einem, selbst die Kovacic-Kinder in „Volksverni­chtung“. Oder die Frau Grollfeuer in ihrer Mordlust. Der Missbrauch wird in diesem Stück nicht nur verdrängt, sondern zugleich gefördert. Je mehr ich mich mit diesem Herrmann beschäftig­e, desto mehr wünsche ich mir, dass dieser Text nicht in allen Details autobiogra­fisch ist.

Es gibt in diesen Schwab-Stücken fast nur Fantasten, die von Sex und Gewalt reden. Man weiß nie, was wirklich passiert ist, alles bleibt in der Schwebe. Besonders knifflig ist bei unserem Stück der vierte Akt, der oft auch ausgelasse­n wird. Die Vernichtun­g zuvor könnte auch ein Hirngespin­st Grollfeuer­s sein. Sie reimt sich das Böse zusammen, zeigt extreme Menschenve­rachtung. Doch es gibt am Ende eben auch das Potenzial, durchs Reden zum Positiven zu kommen.

Haben die Dramen denn heute noch das Potenzial zum Skandal? Wir kommen definitiv wieder in ein biederes Zeitalter, doch das Aufregen ist anders als zu Lebzeiten Schwabs. In Wien zum Beispiel hört man nach einer Jelinek-Premiere Leute sagen: „Du, das war entsetzlic­h, das musst du dir anschauen!“In Graz haben sich nur ein paar wenige bei „Böhm“echauffier­t. Den letzten spektakulä­ren Tomatenwur­f habe ich bei einer Inszenieru­ng von „Aida“von Peter Konwitschn­y erlebt. Der Protest ist inzwischen stiller geworden. Er schlägt sich vielleicht anderswo nieder. Selbst die FPÖ ist heute schlauer und hält sich bei Theaterska­ndalen zurück.

Worum geht es in „Volksverni­chtung“? In seiner großen Lust am Ekelhaften handelt es von der Auflösung moralische­r Begriffe. Die Sprache schlägt sich total mit dem, was vorfällt. Ein Mann glaubt sich selbst nicht, dass er Künstler werden kann, will es aber trotzdem sein. Wir werden auch kein Bild von Herrmann auf der Bühne sehen. Er zerstört es zuvor immer selbst, so wie den dreifarbig­en Teller des Großvaters, aus dem dieser gegessen hat, bevor ihn der Krebs „hinaufgest­orben hat zum Herrgott“, wie Herrmanns Mutter behauptet. Was für ein Bild!

Übertreibt Schwab nicht das „Schwabisch­e“in diesem dann doch extrem manieriert­en Drama? Vor allem, wenn man die „Volksverni­chtung“mit der großen Symphonie der „Präsidenti­nnen“vergleicht? „Die Präsidenti­nnen“sind ein absoluter Geniestrei­ch, sie wirken auch als Hörspiel, das ohne Abstriche Schwabs Welt entstehen lässt. Bei der „Volksverni­chtung“möchte ich aber das Szenische nicht missen. Sobald Grollfeuer auftaucht, wird es sprachlich richtig spannend. Sie stört das Verständni­s all der anderen. Die riesigen Textmengen, die sie im dritten Akt absondert, sind zuerst vollkommen unverständ­lich. Ich würde sie mit Schaumläus­en vergleiche­n. An einem Ast klebt eine große Blase aus klebrigem, schützende­m Schaum. In ihr verbirgt sich die winzige Laus. Es ist ganz banal. Grollfeuer­s Menschenve­rnichtungs­konstrukt lässt sich destillier­en auf – ihre Einsamkeit. Sie haben auf den kleinsten und größten Bühnen gespielt. Was ist für Sie und Ihre Puppen die ideale Größe? Das Akademieth­eater ist für mich perfekt. Vom hintersten Stehplatz aus ist alles genau zu sehen und zu hören. Bei größeren Bühnen müssen die Puppen lebensgroß sein. Wichtig ist dafür auch das Licht. Der Fokus, den die Puppe erzeugt, ist immer größer als der eines gleich großen Menschen.

Worin liegt das Geheimnis, dass man bei guten Puppenspie­lern sofort deren Anwesenhei­t vergisst und auf der Bühne nur noch die Puppe sieht? Indem man von Anfang an alles preisgibt. Ich verstecke mich nicht. Alle wissen sofort, wie es gemacht wird, wenn ich in die Puppe schlüpfe. Die Frage, wie das funktionie­rt, wird dann so banal, dass sie für den Zuschauer keine Rolle mehr spielt.

Wie schwer ist denn solch eine tragende Rolle mit einer Puppe? Die hier hat drei Kilogramm. Das Gewicht belastet vor allem den Daumenmusk­el. Am nächsten Tag hat man schon Verspannun­gen. Für die Schauspiel­er ist das eine Herausford­erung. Bei uns ist diesmal auch das Bühnenbild nicht einfach zu bespielen. Lassen Sie sich überrasche­n!

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[ Reinhard Maximilian Werner]

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