Die gefährdete Demokratie und ihre vielen Retter
Endzeitstimmung. Der Austro-Trumpismus und andere Phantome – ein Nachtrag zu den diversen Jubiläumsveranstaltungen 1918/1938/2018.
Gerade in Zeiten des „Turbokapitalismus“müsse man alles tun, um die Demokratie zu retten, wurde bei der Pressekonferenz zur Eröffnung des Hauses der Geschichte zwei Tage vor dem Republikjubiläum sinngemäß gesagt. „Rettung der Demokratie“; „Gefahr von rechts“; „Europa vor dem Absturz in den Nationalismus bewahren“– das war auch die beherrschende Tonlage der Reden beim Staatsakt und der unzähligen Artikel und Zeitungsserien, die rund um die Republikjubiläen erschienen sind.
In intellektuellen Kreisen wird eine Endzeitstimmung kultiviert, die angesichts der realen Umstände im Land einigermaßen grotesk wirkt. Aber das ist natürlich Absicht. Seit der Regierungsbildung im Spätherbst 2017 ist das Land angeblich auf einem schnellen Abstieg in ein autoritäres System.
Anton Pelinka sieht in einem großen Jubiläumsbeitrag für die „Kleine Zeitung“Österreich gar „auf dem Weg zum Austro-Trum- pismus“. Das hat zwar mit der Wirklichkeit nichts zu tun, es widerspiegelt aber das Trauma der österreichischen Linken.
Zum zweiten Mal in zwei Jahrzehnten widerfährt der Linken das Schicksal, nicht mehr an der Regierung zu sein, und sie ist auch noch zusätzlich durch das Ausscheiden der Grünen im Parlament geschwächt. Das ist zwar eine normale Folge genau jener Demokratie, um die man sich jetzt so besorgt gibt, wird aber als ein Unrecht der Geschichte empfunden. Wenn der Sozialismus als die vollendete Demokratie gilt, hat die dazugehörige Partei quasi den geschichtsnotwendigen Anspruch zu regieren. Noch immer ist der Schock aus dem Jahr 2000 nicht verwunden, und Sebastian Kurz gilt als Wiedergänger von Wolfgang Schüssel.
Die FPÖ ist daher nur vordergründig das Objekt des Zorns und der Kritik. Die eigentliche Erbitterung ergießt sich über die ÖVP, die der SPÖ ihr Schicksal bereitet hat. Vergessen wird dabei geflissentlich, dass die Große Koalition schon 1999 und seit 2007 erst recht allgemein als eine bleierne Zeit der Stagnation und des schlechten Regierens empfunden und eine „andere Regierung“herbeigesehnt wurde. Nach der Lage der Dinge kann das aber nur die jetzige sein.
Im In- und Ausland wird Österreich jetzt wie schon nach 2000 als ein Land im permanent präfaschistischen Zustand dargestellt. Es ist überhaupt Mode geworden, bei der Verleihung von Kunstpreisen oder der Eröffnung von Festivals über den „Faschismus“zu klagen, den man allenthalben daherkommen sieht. Fällt niemandem die Frivolität einer solchen
Rede auf? Die Intendantin des Steirischen Herbsts redet von den „Würmern des Faschismus“, die durch „Ungleichheit und vorenthaltene Lebenschancen ausgebrütet“würden. Sie möchte dagegen eine „Volksfront“bilden und erhält dafür „sehr freundlichen Applaus“von mehreren anwesenden ÖVPPolitikern, wie berichtet wird.
Verrohung der Sprache
Das ist wenigstens eine klare und deutlich formulierte linke Weltsicht: Alle „Gegensätze und Kämpfe um Kulturen, Religionen oder Rassen“, alle Fragen von „geschniegelten und gebügelten Identitäten“und deren „angeblicher Unvereinbarkeit mit den geringfügig anders geschneiderten Identitäten gewisser anderer“werden irrelevant vor der sozialen Frage. Man kann sich vorstellen, welches Agitprop-Theater unter diesen ideologischen Vorzeichen das Grazer Publikum erwartet.
Faschismus beginnt mit der Verrohung der Sprache, heißt es. Über die völlige Zügellosigkeit in den Internetforen wird ständig geklagt. Wenn Peter Turrini über den Bundeskanzler in einer öffentlichen Rede sagt: „Nichts Unmenschliches ist ihm fremd“, ist er kein Faschist, sondern ein „wortgewaltiger Poet“. Wenn er über die Regierung herzieht – „wer die Schwächeren besser verhöhnen kann“, „Arschlochecke“, „Arschlochturm“, „frei von Moral“, „politischer Umsturz“, „Staatsstreich in Zeitlupe“– dann darf er das, denn gegen die „Rechten“ist eben alles erlaubt.
Maja Haderlap sprach in ihrer Rede beim Staatsakt in der Staatsoper über die Unruhe, die mit unserem Beitritt zur Europäischen Union begonnen habe. Das ist weit zurückgegriffen, aber damit habe der Abbau des Wohlfahrtsstaates begonnen. Die „um sich greifende Verunsicherung“komme von der „Befürchtung, als alter, kranker und für die Ökonomie unbrauchbarer Mensch aus der öffentlichen Obsorge entfernt zu werden“.
Untergründige Unruhe
Hat sie noch nie davon gehört, dass in Österreich ein für die „Ökonomie unbrauchbarer Mensch“– welch herzlose Diktion übrigens – in Frühpension geschickt wird? Aber wenn es um den „aufrüttelnden“Zweck geht, ist das wohl erlaubt. Die Teilnehmer an der Veranstaltung hörten das vermutlich mit wohligem Schauer.
Die untergründige Unruhe in den westlichen Gesellschaften gibt es offenkundig, sie kommt aber nicht von der Globalisierung, wie die gängige Erklärung lautet. Wer eine Reise ans andere Ende der Welt billig im Supermarkt kaufen kann, weiß die Globalisierung zu schätzen. Jeder Arbeiter oder Angestellte in einem Exportbetrieb, der ein paarmal im Jahr dienstlich ins Ausland reisen muss, weiß, dass seine Firma ihr Geld und damit sein eigenes Gehalt von weltweitem Geschäft verdient, also von der Globalisierung profitiert.
Zu den beliebten Floskeln der Zeitanalyse gehört auch die von den „Ängsten, die von den Rechten und Nationalisten geschürt werden“. Dazu stellt Anton Pelinka nüchtern und zutreffend fest: Die „oft glatt wirkende Souveränität von Sebastian Kurz“habe „kaum Ängste provoziert“, aber „Ängste gab es im Land, und sie kulminierten 2015, als die Katastrophen im Nahen Osten Zehntausende Menschen veranlassten, nach Europa zu wandern. Das Thema Flucht und Migration wurde zum zentralen Thema der zweiten Hälfte des (dieses) Jahrzehnts.“
Im Chor der Kritiker
Ein Kulturpreisträger jammert in seiner Dankesrede vor großem Publikum, welche Scham für das Land ihn ergriffen habe, weil abgelehnte Asylwerber abgeschoben werden und Österreich den UNMigrationspakt nicht unterschreibt. Dafür bekommt er auch noch Applaus – hoffentlich eher aus Höflichkeit und Feigheit, als weil man ihm zustimmte.
Auch der Bischof von Innsbruck stimmt in den Chor der Kritiker der Regierung ein und schämt sich ebenfalls für „diesen Staat“wegen einer Abschiebung in Osttirol. Dazu hat er ein Video verbreitet, was von kirchlichen Medien als Zeichen für die Modernität der Kirche gelobt wird. „Wie kann es sein“, fragt Bischof Hermann Glettler, „dass wir plötzlich in einem Staat leben, in dem das soziale Klima systematisch vergiftet wird?“Das Problem dabei ist weniger die peinlich überzogene Rhetorik (die allerdings auch), sondern dass die Kirche ausgerechnet in diesen Fällen eine Heldenhaftigkeit zeigen möchte, die sie sonst oft vermissen lässt.
Aber seien wir froh, es wird alles gut: Der Bundespräsident warnt vor der Schaffung von Feindbildern (was natürlich nicht für die Rechten gilt, die sind ganz zu Recht eines) und versichert uns begütigend, dass die Lösung fast immer in der Mitte liege.