Eurokrise: Ökonomin Isabel Schnabel im Interview
Eurozone. Isabel Schnabel ist Deutschlands einflussreichste Ökonomin. Die Wirtschaftsweise schmiedet Waffen gegen neue Krisen. Ihr Credo: Marktdisziplin funktioniert nur mit Risikoteilung.
Die Presse: Europa driftet politisch auseinander. Dabei geht es uns wirtschaftlich gut. Was, wenn es zu einer neuen Krise kommt? Isabel Schnabel: Schon die letzte Krise führte zu politischen Verwerfungen. Das könnte jetzt noch viel problematischer werden, weil uns nicht mehr das gleiche Instrumentarium zur Verfügung steht. Die öffentlichen Schuldenstände sind sehr hoch, die Geldpolitik ist schon sehr weit gegangen.
In der Eurokrise hat am Ende die EZB die Kastanien aus dem Feuer geholt. Geht das wieder? Die Politik hat sich sehr stark auf die Zentralbank verlassen und sie damit überfordert. Die Zinsen sind negativ, da gibt es kaum mehr Spielraum nach unten, wie auch bei den Anleihekäufen. Man kann sich immer noch etwas Neues ausdenken. Etwa, dass man Anleihen gezielt von schwächeren Ländern kauft. Aber das stellt dann wieder politischen Sprengstoff dar. Deshalb fordern Sie neue Regeln und Instrumente. Eine Reform der Eurozone ist aber kein Thema, das die Menschen bewegt und sie auf die Straße treibt. Wir haben in der Eurokrise gesehen, dass diese Themen dramatische Auswirkungen haben. Da haben in einigen Ländern ganze junge Generationen keinen Arbeitsplatz gefunden. Eine neue Krise hätte verheerende Folgen. Im Extremfall würde der Währungsraum auseinanderbrechen.
Italien pfeift auf die Fiskalregeln. Ist damit nicht jede Diskussion über neue Regeln obsolet? Gerade jetzt ist es wichtig, die Mängel zu beheben. Es gibt auch schon eine ganze Menge von Dingen, die jetzt viel besser funktionieren, wie die gemeinsame Bankenaufsicht. Und zu den viel gescholtenen Fiskalregeln: Auch wenn sie nicht immer ganz eingehalten wurden, haben sie doch eine Bindungswirkung entfaltet. Ohne sie würde die Situation noch ganz anders aussehen. Aber in welche Richtung soll eine Reform gehen? In Frankreich und Südeuropa fordert man mehr Risikoteilung, in Deutschland mehr Disziplinierung durch Marktkräfte. Nur Ihre deutschfranzösische Forschergruppe hat einen gemeinsamen Vorschlag. Ist das ein fauler Kompromiss? Dem widerspreche ich ganz vehement! Wir wollten auf Basis ökonomischer Analyse eine sinnvolle Lösung finden. Und da haben wir uns erstaunlich leicht einigen können, obwohl die Gruppe so heterogen war. Diese Gruppe – alles hochkarätige Wissenschaftler – hat verstanden, dass das eine ohne das andere nicht funktionieren kann. Eine Risikoteilung allein führt zu Fehlanreizen.
Klar. Aber warum genügt nicht mehr Marktdisziplin? Man braucht im Krisenfall eine Stabilisierung, um die Marktdisziplin überhaupt durchsetzen zu können. Nach der Lehman-Pleite hatte man die Idee: Die das verursacht haben, sollen dafür zahlen. Also Eigentümer und Gläubiger, nicht die Steuerzahler. Aber das war nicht durchzuhalten, weil sonst das gesamte Bankensystem an die Wand gefahren wäre. Das System muss stabil bleiben, sonst ist die Forderung nach Marktdisziplin nicht glaubwürdig. Und dazu muss man Risken teilen.
Zum Beispiel mit einer europäischen Einlagensicherung. Da müssten dann Deutsche und Österreicher für italienische Bankkunden haften. Warum genügt keine nationale Sicherung? Die nationalen Fonds sind sehr klein. Deshalb ist immer eine staatliche Garantie als Absicherung nötig. Aber nicht alle Staaten sind gleich solvent. Und die Krise eines Landes überträgt sich leicht auf den gesamten Währungsraum.
Aber wie Fehlanreize vermeiden? Jedes Instrument darf nur bei einer schweren Krise greifen. Zunächst muss der Heimatstaat die Kosten tragen. Wenn ein Land schlechte Institutionen hat, müssen auch die Prämien für seine Banken höher sein. Und man versichert natürlich keine Risken, die schon eingetreten sind. Deshalb sind zuerst notleidende Kredite abzubauen. Da ist, etwa in Italien, noch zu wenig passiert.
Die Krise hat gezeigt: Wenn Banken zu viele Anleihen ihres eigenen Staates halten, schafft das einen Teufelskreis der Abhängigkeit. Was schlagen Sie da vor? Die Banken müssen ihre Staatsanleihen stärker streuen. Dazu braucht man negative Anreize, indem man eine hohe Konzentration bestraft. Die Bank muss dann mehr Eigenkapital unterlegen.
Und die Fiskalregeln? Wir müssen sie vereinfachen. Sie sind so kompliziert, dass nicht einmal Spezialisten sie im Detail verstehen. Damit kann auch die Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit nicht funktionieren. Außerdem sind die Regeln in schlechten Zeiten zu streng und in guten Zeiten zu locker.
Es hat aber noch kein einziger Staat Strafe zahlen müssen. Wir empfehlen statt Strafen einen Marktmechanismus: Wenn Regierungen die Regeln verletzen, dürfen sie nur noch nachrangige Anleihen ausgeben, die für die Käufer weniger sicher sind. Die Zinsen, die der Staat dafür zahlen muss, sind entsprechend hoch.
Das wäre eine Verschärfung. Damit die schwächeren Staaten zustimmen, müsste man ihnen im Gegenzug etwas anbieten. Was? Ein neues Stabilisierungsinstrument, also Mittel aus einem gemeinsamen Topf für ein Land, das in eine schwere Krise gerät, kleine Krisen muss es selbst bewältigen. Wir denken an eine europäische Arbeitslosenrückversicherung, die zahlt, wenn die Arbeitslosigkeit ansteigt. Damit kann man verhindern, dass in der Krise wichtige Investitionen zurückgefahren werden, etwa bei der Bildung.
Warum ist das nicht die Transferunion durch die Hintertür? Es dürfen nur Staaten Zugriff auf ein solches Instrument haben, die sich vorher an die Regeln gehalten haben. Wer das nicht tut, muss im Krisenfall zum Rettungsfonds ESM gehen – und das ist weniger attraktiv, weil es mit strengen Bedingungen einhergeht.
In Italien könnte es bald zu einer Finanzkrise kommen. Das wäre für Ihren Reformplan zu früh. Das stimmt. Dann müsste man improvisieren, das würde nicht einfach. Die von uns vorgeschlagenen Instrumente darf man nicht zu schnell einführen, sie brauchen Übergangsfristen. Aber sobald sie beschlossen sind, stabilisiert sich die Erwartung, dass der Euroraum bestehen kann, weil man den Laden in Ordnung gebracht hat. Das sollte man nicht unterschätzen.
Ist die Umsetzung realistisch? Wir wissen alle: Nach Krisen werden Reformen schneller umgesetzt. Übrig bleibt, was besonders kontrovers sind. Das in guten Zeiten durchzusetzen dauert sehr lang. Natürlich wünsche ich mir deshalb keine Krise herbei. Aber es gibt ein schönes Zitat von Milton Friedman: Ökonomen müssen Konzepte in der Schublade haben – bis das politisch Unmögliche politisch unvermeidlich wird.