Italiens Mafia zieht es nach Tirol
Kriminalität. Eine Razzia mit Dutzenden Festnahmen zeigt, wie tief die kalabresische ’Ndrangheta in Europa verwurzelt ist. Laut „Presse“-Recherche ist ein wichtiger Clan auch in Österreich präsent.
Wien. Die italienische Mafia hat ihre Tentakel tief ins Herz Europas ausgestreckt: Das beweist die europaweite Razzia gegen die kalabresische ’ Ndrangheta, Italiens mächtigste Mafiagruppe. 90 Personen wurden am Mittwoch in Deutschland, Italien, den Niederlanden, Belgien sowie im südamerikanischen Surinam wegen Drogenhandels und Geldwäsche festgenommen, 4000 Kilogramm Kokain und 140 Kilo Ecstasypillen beschlagnahmt. Österreich war diesmal nicht betroffen. Allerdings fanden im Vorfeld Ermittlungen statt, die jedoch zu keinem unmittelbaren Ergebnis führten, erfuhr „Die Presse“: Dabei ging es um verdächtige Immobilien.
Sicher ist aber: Die ’ Ndrangheta hat längst auch in Österreich Wurzeln geschlagen – und weitet ihren Einfluss zunehmend aus. Der „Presse“liegen Informationen vor, dass die italienische Mafia ehrgeizige Pläne für den Standort in den Alpen haben könnte. Erstmals gibt es Anzeichen, dass sich mächtige Clans hier niedergelassen haben. Mitglieder einer der wichtigsten ’Ndrangheta-Familien leben in einem Tiroler Wintersportort und betreiben dort ein italienisches Restaurant. Die Familie steht unter Beobachtung: Aufgefallen ist sie bisher wegen des Verdachts des Versicherungsbetrugs mit Luxusautos. Dabei ging es um vorgetäuschte Diebstähle und Verkehrsunfälle, die vom Versicherer reguliert werden sollen. Versicherungsbetrug ist seit jeher eine lukrative Geldeinnahme der Mafia. Aus Lokalen, die von Mafiagruppen kontrolliert werden, werden auffallend häufig angebliche Wasserschäden, Diebstähle oder Brandunfälle gemeldet.
Attraktive Geldwaschmaschine
Bisher diente Österreich der italienischen Mafia in erster Linie als sicherer Ort für Geldwäsche. Die kriminelle Organisation setzte vor allem befreundete Anwälte und Unternehmer ein, um in Österreich ihr schmutziges Geld reinzuwaschen, etwa über Scheinfirmen, Luxusimmobilien oder in Gastronomiebetrieben. Verhältnismäßig lasche Kontrollen, geringes Bewusstsein der Behörden für das Problem sowie die geografische Nähe zu Italien machen Österreich zur attraktiven Geldwaschmaschine.
Dass die kalabresische Mafia nun ausgerechnet Tirol als Standort wählt, ist kein Zu- fall: Schon lang wird ein intensives Kommen und Gehen italienischer Mafiosi im westösterreichischen Bundesland beobachtet. Grund ist nicht nur die Nähe zum angrenzenden Italien, sondern auch die deutsche Nachbarschaft: Dort hat die ’Ndrangheta eine ihrer wichtigsten europäischen „Außenstellen“errichtet. Laut dem deutschen Bundeskriminalamt gehören von insgesamt 585 bekannten Mafiamitgliedern in Deutschland 344 der kalabrischen Organisation an. Bereits am Bauboom nach der Wiedervereinigung sollen die Kalabresen maßgeblich beteiligt gewesen sein. Durch Internationalisierung und Modernisierung hat es die ’Ndrangheta geschafft, die anderen italienischen Mafiagruppen in den Schatten zu stellen: Sie ist auf allen Kontinenten präsent, ihr weltweiter Umsatz soll bei 100 Milliarden Euro liegen.
Zwielichtige Eissalons und Restaurants
Bezeichnenderweise lebte auch die mutmaßliche Mafiafamilie in Tirol davor in Deutschland: Sie wird einem führenden Clan aus der Ortschaft San Luca zugerechnet. Das kalabresische Bergdorf, aus dem viele Einwohner nach Deutschland ausgewandert sind, gilt als eine der symbolischen „Hauptstädte“der ’Ndrangheta. Jedes Jahr treffen sich dort die Bosse in einem Kloster, um das kommende Jahr zu planen und interne Streitigkeiten zu schlichten. Der San-Luca-Clan ist in Deutschland stark vertreten und wurde 2007 „berühmt“: Damals wurden in einer Pizzeria in Duisburg sechs Menschen erschossen, Grund war ein Streit zwischen zwei ’Ndrangheta-Familien aus San Luca.
Auch bei der gestrigen Razzia standen wieder Mitglieder der San-Luca-Clans im Visier der Ermittler. Bei den Einsätzen in Deutschland wurden 47 Personen festgenommen, viele arbeiteten in italienischen Restaurants und Eissalons. 65 Wohnungen, Restaurants und Büros wurden durchsucht, vor allem in Bayern und Nordrhein-Westfalen. Die Verdächtigen sollen unter anderem Kokain, das über Rotterdam und Antwerpen importiert wurde, weiterverkauft und das Drogengeld „reingewaschen“haben.
Mehr als 400 Ermittler waren bei der Razzia in Deutschland beteiligt, es handelte sich um einen der größten Anti-Mafia-Einsätze überhaupt. Die deutschen Behörden haben jahrelang den Einfluss und die Präsenz der italienischen Mafia unterschätzt. Die europäische Polizeibehörde Europol sprach denn auch von einem „bedeutenden Schlag“gegen eines der „mächtigsten italienischen kriminellen Netzwerke weltweit“.
Experten warnen aber vor voreiligem Optimismus. Die Festnahmen seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein: Angesichts zu unterschiedlicher nationaler Gesetze und schwieriger internationaler Zusammenarbeit hätten Mafiagruppen oft ein viel zu leichtes Spiel. Nüchtern kommentierte auch Italiens Anti-Mafia-Staatsanwalt Federico Cafiero De Raho die gestrige Razzia: „Wenn wir glauben, wir haben die ’Ndrangheta ausgehoben, dann täuschen wir uns.“