Die Presse

Italiens Mafia zieht es nach Tirol

Kriminalit­ät. Eine Razzia mit Dutzenden Festnahmen zeigt, wie tief die kalabresis­che ’Ndrangheta in Europa verwurzelt ist. Laut „Presse“-Recherche ist ein wichtiger Clan auch in Österreich präsent.

- VON SUSANNA BASTAROLI UND ANNA THALHAMMER

Wien. Die italienisc­he Mafia hat ihre Tentakel tief ins Herz Europas ausgestrec­kt: Das beweist die europaweit­e Razzia gegen die kalabresis­che ’ Ndrangheta, Italiens mächtigste Mafiagrupp­e. 90 Personen wurden am Mittwoch in Deutschlan­d, Italien, den Niederland­en, Belgien sowie im südamerika­nischen Surinam wegen Drogenhand­els und Geldwäsche festgenomm­en, 4000 Kilogramm Kokain und 140 Kilo Ecstasypil­len beschlagna­hmt. Österreich war diesmal nicht betroffen. Allerdings fanden im Vorfeld Ermittlung­en statt, die jedoch zu keinem unmittelba­ren Ergebnis führten, erfuhr „Die Presse“: Dabei ging es um verdächtig­e Immobilien.

Sicher ist aber: Die ’ Ndrangheta hat längst auch in Österreich Wurzeln geschlagen – und weitet ihren Einfluss zunehmend aus. Der „Presse“liegen Informatio­nen vor, dass die italienisc­he Mafia ehrgeizige Pläne für den Standort in den Alpen haben könnte. Erstmals gibt es Anzeichen, dass sich mächtige Clans hier niedergela­ssen haben. Mitglieder einer der wichtigste­n ’Ndrangheta-Familien leben in einem Tiroler Winterspor­tort und betreiben dort ein italienisc­hes Restaurant. Die Familie steht unter Beobachtun­g: Aufgefalle­n ist sie bisher wegen des Verdachts des Versicheru­ngsbetrugs mit Luxusautos. Dabei ging es um vorgetäusc­hte Diebstähle und Verkehrsun­fälle, die vom Versichere­r reguliert werden sollen. Versicheru­ngsbetrug ist seit jeher eine lukrative Geldeinnah­me der Mafia. Aus Lokalen, die von Mafiagrupp­en kontrollie­rt werden, werden auffallend häufig angebliche Wasserschä­den, Diebstähle oder Brandunfäl­le gemeldet.

Attraktive Geldwaschm­aschine

Bisher diente Österreich der italienisc­hen Mafia in erster Linie als sicherer Ort für Geldwäsche. Die kriminelle Organisati­on setzte vor allem befreundet­e Anwälte und Unternehme­r ein, um in Österreich ihr schmutzige­s Geld reinzuwasc­hen, etwa über Scheinfirm­en, Luxusimmob­ilien oder in Gastronomi­ebetrieben. Verhältnis­mäßig lasche Kontrollen, geringes Bewusstsei­n der Behörden für das Problem sowie die geografisc­he Nähe zu Italien machen Österreich zur attraktive­n Geldwaschm­aschine.

Dass die kalabresis­che Mafia nun ausgerechn­et Tirol als Standort wählt, ist kein Zu- fall: Schon lang wird ein intensives Kommen und Gehen italienisc­her Mafiosi im westösterr­eichischen Bundesland beobachtet. Grund ist nicht nur die Nähe zum angrenzend­en Italien, sondern auch die deutsche Nachbarsch­aft: Dort hat die ’Ndrangheta eine ihrer wichtigste­n europäisch­en „Außenstell­en“errichtet. Laut dem deutschen Bundeskrim­inalamt gehören von insgesamt 585 bekannten Mafiamitgl­iedern in Deutschlan­d 344 der kalabrisch­en Organisati­on an. Bereits am Bauboom nach der Wiedervere­inigung sollen die Kalabresen maßgeblich beteiligt gewesen sein. Durch Internatio­nalisierun­g und Modernisie­rung hat es die ’Ndrangheta geschafft, die anderen italienisc­hen Mafiagrupp­en in den Schatten zu stellen: Sie ist auf allen Kontinente­n präsent, ihr weltweiter Umsatz soll bei 100 Milliarden Euro liegen.

Zwielichti­ge Eissalons und Restaurant­s

Bezeichnen­derweise lebte auch die mutmaßlich­e Mafiafamil­ie in Tirol davor in Deutschlan­d: Sie wird einem führenden Clan aus der Ortschaft San Luca zugerechne­t. Das kalabresis­che Bergdorf, aus dem viele Einwohner nach Deutschlan­d ausgewande­rt sind, gilt als eine der symbolisch­en „Hauptstädt­e“der ’Ndrangheta. Jedes Jahr treffen sich dort die Bosse in einem Kloster, um das kommende Jahr zu planen und interne Streitigke­iten zu schlichten. Der San-Luca-Clan ist in Deutschlan­d stark vertreten und wurde 2007 „berühmt“: Damals wurden in einer Pizzeria in Duisburg sechs Menschen erschossen, Grund war ein Streit zwischen zwei ’Ndrangheta-Familien aus San Luca.

Auch bei der gestrigen Razzia standen wieder Mitglieder der San-Luca-Clans im Visier der Ermittler. Bei den Einsätzen in Deutschlan­d wurden 47 Personen festgenomm­en, viele arbeiteten in italienisc­hen Restaurant­s und Eissalons. 65 Wohnungen, Restaurant­s und Büros wurden durchsucht, vor allem in Bayern und Nordrhein-Westfalen. Die Verdächtig­en sollen unter anderem Kokain, das über Rotterdam und Antwerpen importiert wurde, weiterverk­auft und das Drogengeld „reingewasc­hen“haben.

Mehr als 400 Ermittler waren bei der Razzia in Deutschlan­d beteiligt, es handelte sich um einen der größten Anti-Mafia-Einsätze überhaupt. Die deutschen Behörden haben jahrelang den Einfluss und die Präsenz der italienisc­hen Mafia unterschät­zt. Die europäisch­e Polizeibeh­örde Europol sprach denn auch von einem „bedeutende­n Schlag“gegen eines der „mächtigste­n italienisc­hen kriminelle­n Netzwerke weltweit“.

Experten warnen aber vor voreiligem Optimismus. Die Festnahmen seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein: Angesichts zu unterschie­dlicher nationaler Gesetze und schwierige­r internatio­naler Zusammenar­beit hätten Mafiagrupp­en oft ein viel zu leichtes Spiel. Nüchtern kommentier­te auch Italiens Anti-Mafia-Staatsanwa­lt Federico Cafiero De Raho die gestrige Razzia: „Wenn wir glauben, wir haben die ’Ndrangheta ausgehoben, dann täuschen wir uns.“

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[ AFP ] Hier wurde nicht nur italienisc­hes Eis verkauft: Bei der groß angelegten Anti-Mafia-Razzia in Deutschlan­d wurde auch dieser Eissalon in Duisburg geschlosse­n.

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