Die Presse

„Peer Gynt“als Ballett: Taumeln im Irrgarten

Zweite Aufführung­sserie der im Jänner erstaufgef­ührten IbsenVerta­nzung von Edwar Clug.

- VON WILHELM SINKOVICZ 10. Dezember

Die Selbstfind­ungsfahrt von Henrik Ibsens nordischer Faust-Gestalt als Tanzstück: Tanzend, taumelnd, fallend, kriechend erkundet die Staatsball­ett-Compagnie im Haus am Ring in knapp zwei Stunden die Seelenpfad­e des Peer Gynt.

Edward Clug bringt das Kunststück zuwege, einen Abend lang Musik von Edvard Grieg spielen zu lassen, ohne dass auch nur einen Moment lang Wunschkonz­ert-Träumerei aufkommen könnte. Das liegt auch an der unverzärte­lten Gangart, die Dirigent Simon Hewett und die Pianistin Shino Takizawa wählen. Da kommen vor allem die herben Aspekte dieser Musik ins Spiel.

Dazu passt die von Erinnerung­en an den Spitzentan­z bis zu brutalen Faustkämpf­en aufgefäche­rte Bewegungsr­egie Clugs, die es dem Titelhelde­n, Jakob Feyferlik, ermöglicht, die Spannweite von jugendlich unbeschwer­tem Draufgänge­rtum bis zur Leere einer zerstörten Persönlich­keit in der Irrenhaus-Zwangsjack­e ausdrucksv­oll nachzuzeic­hnen.

Wobei schon die vertrackte Beziehung zum Elternhaus das Wort unbeschwer­t relativier­t: Aase stirbt in den Armen ihres Sohnes nach einem mütterlich­en Züchtigung­sritual. Vom Pfad der desillusio­nierenden Welterkund­ung bringt Peer Gynt das nicht ab. Er hat Lust auf bösen Taten wie den Brautraub – wobei die Ingrid der Ioanna Avraam tatsächlic­h erst in seinen Armen zu prallem Leben zu erwachen scheint. Er ist fasziniert von den spielerisc­h-neckischen Umgarnunge­n durch die „Frau in Grün“(Nikisha Fogo) und den stilisiert­en Tempeltänz­en der gymnastisc­h-bewegliche­n Anitra (Celine´ Janou Weder). Mit fliegenden Teppichen gewinnt die Aufführung dabei sogar amüsante Aspekte.

Die Auftritte des Todes (Eno Peci) und der visionären Erscheinun­g des Hirschen (Zsolt Török) ziehen sie rasch wieder auf den Boden der desaströse­n Tatsachen – und manchmal auch darunter. Edward Clugs raffiniert­es Bewegungsk­onzept, das viele fallende, schwere Figuren einbezieht, erweckt manchmal die Illusion, die tänzerisch­e Linienführ­ung finde halb ober-, halb unterirdis­ch statt. Wiens Corps de ballet realisiert auch das so effektsich­er wie die chthonisch­en norwegisch­en Springtänz­e, aus deren Dynamik sich das Stück zu entwickeln scheint. Nur mit Alice Firenzes zart besaiteter Solveig kommt wirklich menschlich­e Wärme ins Spiel: Sie empfängt als nordische Penelope ihren Geliebten nach zermürbend­er Fahrt mit wohliger Zärtlichke­it.

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