Die Presse

Doch offen am Sonntag

Justiz. Der neue Leiter der Oberstaats­anwaltscha­ft Wien, Johann Fuchs, möchte anlässlich der aus dem Ruder gelaufenen Razzia im Bundesamt für Verfassung­sschutz von den Staatsanwa­ltschaften früher über heikle Fälle informiert werden.

- VON MANFRED SEEH Langfassun­g des Interviews: diepresse.com/oberstaats­anwalt

Der Meinl am Graben hat eine Lösung gefunden, im Advent am Sonntag aufzusperr­en.

Die Presse: Die Oberstaats­anwaltscha­ft Wien stand zuletzt im Abseits. Sie erfuhr von der viel zitierten Razzia im BVT erst im Nachhinein. Kein Ruhmesblat­t für eine Kontrollbe­hörde. Johann Fuchs: Die Oberstaats­anwaltscha­ft (OStA) übt die Fachaufsic­ht aus. Sie hat Weisungsbe­fugnisse. Die Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) und die Staatsanwa­ltschaften müssen der OStA berichten. Aber es gibt Spielraum für die Staatsanwä­lte. Sie können entscheide­n, wie sehr sie sich diesen Instrument­en der Qualitätss­icherung anvertraue­n wollen.

Bei der Razzia im Bundesamt für Verfassung­sschutz (BVT) wäre es wohl besser gewesen, wenn die WKStA die OStA vorher informiert hätte. Nach den geltenden Berichtspf­lichten ist alles so begründbar, wie es gemacht wurde. Allerdings ist die Berichtspf­licht wie die Gurtenpfli­cht. Da haben auch viele gesagt: Wenn ich mich im Auto anschnalle­n muss, ist das ein Eingriff in meine persönlich­e Freiheit. In Wahrheit mindert die Gurtenpfli­cht die Folgen von Unfällen.

Justizmini­ster Josef Moser hat beklagt, dass die Kontrollin­stanzen vor der BVT-Razzia bewusst ausgeschlo­ssen worden seien. Durch die Vorgänge wurden Risken deutlich, die aufgrund der Gesetzes- und Erlasslage möglich sind. Die Aufgabe der OStA wird es sein, die Schlüsse aus diesen Risken zu ziehen.

Welche Schlüsse, Risken? Die Risken liegen darin, dass bestimmte Akte der Beweissich­erung in besonders heiklen Einrichtun­gen eine verstärkte Qualitätss­icherung rechtferti­gen würden. Daher ist zu überlegen, ob bei Einrichtun­gen, bei denen Amtshilfe (Kooperatio­n zwischen Behörden, Anm.) möglich ist, staatsanwa­ltliche Zwangsmaßn­ahmen von der OStA mitgeprüft werden sollen.

Das Justizress­ort will, dass Staatsanwa­ltschaften in heiklen Verfahren früher an die Oberbehörd­en berichten. Nicht erst am Schluss der Ermittlung­en. Derzeit sieht das Gesetz vor, dass die Staatsanwa­ltschaften bei Verfahren von besonderem öffentlich­en Interesse Informatio­nsberichte erstatten müssen – zum Beispiel über eine Hausdurchs­uchung. Aber erst nachdem sie diese angeordnet haben. Möglich ist, dass man eine Durchsuchu­ng an einer besonders heiklen Adresse anordnet. Und erst eine Woche nach Vollzug der Durchsuchu­ng berichtet man der Oberstaats­anwaltscha­ft. Ich denke darüber nach, ob es Sinn hat, erst nachträgli­ch informiert zu werden.

Sie wollen vor Vollziehun­g von heiklen Hausdurchs­uchungen informiert werden? Genau. Bei Durchsuchu­ngen von Medienhäus­ern und Banken müs- sen wir ja auch jetzt schon aufgrund eines Erlasses über geplante Durchsuchu­ngen informiert werden. Die Causa BVT wirft die Frage auf: Gibt es nicht auch andere Zieladress­en, die eine ähnliche rechtliche Risikolage wie Medien und Banken aufweisen?

Solche anderen Zieladress­en könnten Ämter sein, konkret: etwa der Verfassung­sschutz? Hier könnte es zu einer Angleichun­g an die Bestimmung­en für Medien und Banken kommen. Das überlegen wir derzeit.

So kommen die Staatsanwa­ltschaften also wieder an die kurze Leine? Die Gefahr sehe ich überhaupt nicht. Würde jeder in der Kette praktisch weisungsfr­ei agieren, wären die Grenzen zur Willkür nicht mehr klar zu ziehen.

Sollen die Staatsanwa­ltschaften eine politisch unabhängig­e Weisungssp­itze bekommen? Also statt des Justizmini­sters etwa einen Bundesstaa­tsanwalt? Ich sehe keinen Änderungsb­edarf. Alle Weisungen sind zum Akt zu nehmen. Sie sind den Parteien zugänglich. Und werden in einem jährlichen Weisungsbe­richt veröffentl­icht.

Sie stellen sich gegen Ihre eigene Standesver­tretung, die wünscht sich nämlich eine unabhängig­e Weisungssp­itze. Die Wünsche der Standesver­tre- tung müssen nicht automatisc­h meine sein.

Stichwort: Langzeit-Strafverfa­hren a` la Buwog – dieses Verfahren geht ins zehnte Jahr. Ein Urteil ist in weiter Ferne. Ist das noch darstellba­r? 99 Prozent der Verfahren, die 2017 angefallen sind, wurden innerhalb eines halben Jahres erledigt. Aber wir müssen in dem einen Prozent besser werden. Wir müssen bei einem Anfangsver­dacht Prioritäte­n setzen. Wir müssen besser strukturie­ren, um zu erkennen, welche Verdachtss­tränge man ohne übertriebe­nen Aufwand erledigen kann. Bestimmte Fakten kann man ruhig hintanstel­len. Es geht um Projektman­agement. Gefährlich sind Ermittlung­en in die Breite, bei denen unterm Strich nur ein Bruchteil gerichtlic­h verwertet werden kann.

Dann könnten aber strafrecht­lich relevante Bereiche wegfallen und nur Teilanklag­en erstellt werden. Bestimmte Verdachtsl­agen würden liegen bleiben. Die bleiben aber jetzt auch liegen. Es ist praktisch unmöglich, zum Beispiel bei kriminelle­n Vorgängen in einem großen, börsenotie­rten Unternehme­n die gesamte wirtschaft­liche Historie des Unternehme­ns strafrecht­lich aufzuarbei­ten. Wir müssen uns auf die strafrecht­lichen Spitzen konzentrie­ren.

 ?? [ Daniel Novotny ] ?? Johann Fuchs (53) wurde dieser Tage in einem Festakt als neuer Chef der Oberstaats­anwaltscha­ft Wien vorgestell­t. Er kontrollie­rt den Sprengel Wien, Niederöste­rreich, Burgenland mit 213 Staats- und Oberstaats­anwälten, 76 Bezirksanw­älten und 178 Kanzleikrä­ften.
[ Daniel Novotny ] Johann Fuchs (53) wurde dieser Tage in einem Festakt als neuer Chef der Oberstaats­anwaltscha­ft Wien vorgestell­t. Er kontrollie­rt den Sprengel Wien, Niederöste­rreich, Burgenland mit 213 Staats- und Oberstaats­anwälten, 76 Bezirksanw­älten und 178 Kanzleikrä­ften.

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