Doch offen am Sonntag
Justiz. Der neue Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Johann Fuchs, möchte anlässlich der aus dem Ruder gelaufenen Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz von den Staatsanwaltschaften früher über heikle Fälle informiert werden.
Der Meinl am Graben hat eine Lösung gefunden, im Advent am Sonntag aufzusperren.
Die Presse: Die Oberstaatsanwaltschaft Wien stand zuletzt im Abseits. Sie erfuhr von der viel zitierten Razzia im BVT erst im Nachhinein. Kein Ruhmesblatt für eine Kontrollbehörde. Johann Fuchs: Die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) übt die Fachaufsicht aus. Sie hat Weisungsbefugnisse. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und die Staatsanwaltschaften müssen der OStA berichten. Aber es gibt Spielraum für die Staatsanwälte. Sie können entscheiden, wie sehr sie sich diesen Instrumenten der Qualitätssicherung anvertrauen wollen.
Bei der Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) wäre es wohl besser gewesen, wenn die WKStA die OStA vorher informiert hätte. Nach den geltenden Berichtspflichten ist alles so begründbar, wie es gemacht wurde. Allerdings ist die Berichtspflicht wie die Gurtenpflicht. Da haben auch viele gesagt: Wenn ich mich im Auto anschnallen muss, ist das ein Eingriff in meine persönliche Freiheit. In Wahrheit mindert die Gurtenpflicht die Folgen von Unfällen.
Justizminister Josef Moser hat beklagt, dass die Kontrollinstanzen vor der BVT-Razzia bewusst ausgeschlossen worden seien. Durch die Vorgänge wurden Risken deutlich, die aufgrund der Gesetzes- und Erlasslage möglich sind. Die Aufgabe der OStA wird es sein, die Schlüsse aus diesen Risken zu ziehen.
Welche Schlüsse, Risken? Die Risken liegen darin, dass bestimmte Akte der Beweissicherung in besonders heiklen Einrichtungen eine verstärkte Qualitätssicherung rechtfertigen würden. Daher ist zu überlegen, ob bei Einrichtungen, bei denen Amtshilfe (Kooperation zwischen Behörden, Anm.) möglich ist, staatsanwaltliche Zwangsmaßnahmen von der OStA mitgeprüft werden sollen.
Das Justizressort will, dass Staatsanwaltschaften in heiklen Verfahren früher an die Oberbehörden berichten. Nicht erst am Schluss der Ermittlungen. Derzeit sieht das Gesetz vor, dass die Staatsanwaltschaften bei Verfahren von besonderem öffentlichen Interesse Informationsberichte erstatten müssen – zum Beispiel über eine Hausdurchsuchung. Aber erst nachdem sie diese angeordnet haben. Möglich ist, dass man eine Durchsuchung an einer besonders heiklen Adresse anordnet. Und erst eine Woche nach Vollzug der Durchsuchung berichtet man der Oberstaatsanwaltschaft. Ich denke darüber nach, ob es Sinn hat, erst nachträglich informiert zu werden.
Sie wollen vor Vollziehung von heiklen Hausdurchsuchungen informiert werden? Genau. Bei Durchsuchungen von Medienhäusern und Banken müs- sen wir ja auch jetzt schon aufgrund eines Erlasses über geplante Durchsuchungen informiert werden. Die Causa BVT wirft die Frage auf: Gibt es nicht auch andere Zieladressen, die eine ähnliche rechtliche Risikolage wie Medien und Banken aufweisen?
Solche anderen Zieladressen könnten Ämter sein, konkret: etwa der Verfassungsschutz? Hier könnte es zu einer Angleichung an die Bestimmungen für Medien und Banken kommen. Das überlegen wir derzeit.
So kommen die Staatsanwaltschaften also wieder an die kurze Leine? Die Gefahr sehe ich überhaupt nicht. Würde jeder in der Kette praktisch weisungsfrei agieren, wären die Grenzen zur Willkür nicht mehr klar zu ziehen.
Sollen die Staatsanwaltschaften eine politisch unabhängige Weisungsspitze bekommen? Also statt des Justizministers etwa einen Bundesstaatsanwalt? Ich sehe keinen Änderungsbedarf. Alle Weisungen sind zum Akt zu nehmen. Sie sind den Parteien zugänglich. Und werden in einem jährlichen Weisungsbericht veröffentlicht.
Sie stellen sich gegen Ihre eigene Standesvertretung, die wünscht sich nämlich eine unabhängige Weisungsspitze. Die Wünsche der Standesvertre- tung müssen nicht automatisch meine sein.
Stichwort: Langzeit-Strafverfahren a` la Buwog – dieses Verfahren geht ins zehnte Jahr. Ein Urteil ist in weiter Ferne. Ist das noch darstellbar? 99 Prozent der Verfahren, die 2017 angefallen sind, wurden innerhalb eines halben Jahres erledigt. Aber wir müssen in dem einen Prozent besser werden. Wir müssen bei einem Anfangsverdacht Prioritäten setzen. Wir müssen besser strukturieren, um zu erkennen, welche Verdachtsstränge man ohne übertriebenen Aufwand erledigen kann. Bestimmte Fakten kann man ruhig hintanstellen. Es geht um Projektmanagement. Gefährlich sind Ermittlungen in die Breite, bei denen unterm Strich nur ein Bruchteil gerichtlich verwertet werden kann.
Dann könnten aber strafrechtlich relevante Bereiche wegfallen und nur Teilanklagen erstellt werden. Bestimmte Verdachtslagen würden liegen bleiben. Die bleiben aber jetzt auch liegen. Es ist praktisch unmöglich, zum Beispiel bei kriminellen Vorgängen in einem großen, börsenotierten Unternehmen die gesamte wirtschaftliche Historie des Unternehmens strafrechtlich aufzuarbeiten. Wir müssen uns auf die strafrechtlichen Spitzen konzentrieren.