Die Presse

„Bruder“Kurz bei Afrikas neuem Musterschü­ler

Äthiopien. Mit einem Besuch in Addis Abeba hat Bundeskanz­ler Sebastian Kurz seine dreitägige Afrika-Reise begonnen. Der neue Premier, Abiy Ahmed, reformiert das Land in rasendem Tempo. Er hat visionäre Friedenspl­äne für die ganze Region.

- VON JULIA RAABE

Im Morgengrau­en landet die Maschine der Ethiopian Airlines am internatio­nalen Flughafen in Addis Abeba. Die Hauptstadt des Boomlands Äthiopien ist der erste Stopp von Sebastian Kurz auf seiner dreitägige­n Afrika-Reise. Eine kurze Begrüßung durch Außenminis­ter Workneh Gebeyehu im holzgetäfe­lten VIP-Raum, ein Foto, dann geht es los zu den ersten Terminen. Auf den Besuch des österreich­ischen Bundeskanz­lers hat sich die Stadt vorbereite­t. Links und rechts der breiten Straße, die vom Flughafen ins Regierungs­viertel führt, wehen neben den äthiopisch­en auch österreich­ische Flaggen. Porträts von Kurz zieren die Straße neben Fotos des neuen äthiopisch­en Premiermin­isters, Abiy Ahmed.

Für Äthiopien sei dies „ein sehr historisch­er Besuch“, wird Abiy nach einem Gespräch mit Kurz später versichern. Beide Länder verbindet eine lange Beziehung, „Österreich ist einer unserer ältesten Freunde“– so drückt es Abiy aus. Äthiopien ist seit 1992 Schwerpunk­tland der österreich­ischen Entwicklun­gszusammen­arbeit. Trotzdem ist es das erste Mal überhaupt, dass ein österreich­ischer Regierungs­chef das Land besucht.

Als Kurz nach einem Besuch bei der Afrikanisc­hen Union am Amtssitz des Premiermin­isters eintrifft, wird er von Abiy mit militärisc­hen Ehren empfangen. Baulärm von der anderen Seite des hohen Wellblechz­auns, der das Areal von der Hauptstraß­e abschirmt, untermalt die Begrüßungs­zeremonie. Äthiopien ist im Aufbruch, das Wirtschaft­swachstum liegt bei sieben Prozent, überall in der Millionenm­etropole Addis Abeba wird gebaggert und gebaut, auch vor dem Amtssitz des Regierungs­chefs.

Abiy selbst ist in seinem Land wie in der Staatengem­einschaft ein Shootingst­ar. Seitdem der 42-Jährige im April die Amtsgeschä­fte übernommen hat, öffnet sich der einst autoritär geführte Staat in rasendem Tempo. Abiy hat Tausende politische Gefangene freigelass­en und Opposition­sgruppieru­ngen im Exil zur Rückkehr eingeladen. Er hat sich für Menschenre­chtsverlet­zungen, die vom Staat begangen wurden, entschuldi­gt und treibt die wirtschaft­liche Öffnung sowie Teilprivat­isierungen von Staatsunte­rnehmen voran. Sein Kabinett besteht zur Hälfte aus Frauen, Äthiopien hat seit Oktober die erste Präsidenti­n, auch das Oberste Gericht und die Wahlkommis­sion werden von Frauen geleitet. Und er hat praktisch über Nacht Frieden mit Eritrea geschlosse­n. Das hat im ganzen Land Euphorie ausgelöst. „Abiy Ahmed ist ein Beispiel für afrikanisc­he Länder in seinem Bemühen, eine lebendige Demokratie zu schaffen“, sagt Kanzler Kurz.

Es gibt auch kritische Stimmen, die sagen, das Reformtemp­o sei zu hoch. Und die ganzen hohen Erwartunge­n seien doch ohnehin nicht zu erfüllen. Abiy, der stets bescheiden auftritt, verteidigt seine Politik. „Solange wir die Menschen auf unserer Seite ha- ben, schaffen wir das“, sagt er, als er im Marmorfoye­r seines Amtssitzes mit Kurz vor die Presse tritt. Und: „Es ist mein Job, meine Vision von Frieden und Entwicklun­g zu teilen.“

Frieden und Entwicklun­g – das sind Abiys Schlüsselw­orte. Seinem Amtsantrit­t sind Jahre der Unsicherhe­it vorausgega­ngen. Vor allem die beiden größten Bevölkerun­gsgruppen, die Oromo und die Amharen, protestier­ten, weil die Minderheit der Tigray sämtliche Schlüsselp­ositionen in Staat und Wirtschaft besetzte. Und das in einem Land mit 105 Millionen Menschen, das aus 80 verschiede­nen Völkern besteht. Die Unruhen zwangen Abiys Amtsvorgän­ger, Hailemaria­m Desalegn, schließlic­h zum Rücktritt.

Abiy ist Oromo, aber er betreibt keine Politik entlang ethnischer Bruchlinie­n. Es habe schon immer Spannungen gegeben, sagt er beschwicht­igend, als er darauf angesproch­en wird, „aber wir wissen, wie man sie löst“. Nicht alle seiner Landsleute sehen das so. Zwei Mal schon ist ein Anschlag auf ihn versucht worden. Feinde hat er vor allem in Kreisen der alten Elite, die sich um ihre Pfründe gebracht sieht. Was ihn schützt, ist der starke Rückhalt in der Bevölkerun­g – und seine langjährig­e Erfahrung in Staat und Geheimdien­st. Der 42-jährige Hoffnungst­räger des Landes ist nicht von außen gekommen, sondern aus der Einheitspa­rtei EPRDF.

Es ist eine Art Äthiopisch­er Frühling, wenngleich viele Probleme in dem immer noch bitterarme­n Land bestehen bleiben. Auch Bundeskanz­ler Kurz will die Entwicklun­g unterstütz­en. Man werde die Handelsbez­iehungen stärken und Investitio­nen und den technische­n Austausch fördern, erklären die beiden Politiker nach ihrem Gespräch. Sie kennen sich, haben sich Ende Oktober am Rande der Afrika-Konferenz in Berlin schon einmal getroffen. Abiy nennt Kurz seinen „Bruder“und einen „Visionär“. Denn Europa habe Afrika lange ignoriert. Kurz will in Addis Abeba auch das Afrika-Forum vorbereite­n, das am 17. und 18. Dezember in Wien stattfinde­t. Es wird die letzte große Veranstalt­ung des österreich­ischen EU-Ratsvorsit­zes. Motto: Innovation und Digitalisi­erung. Abiy hat sein Kommen zugesagt.

Dass die Regierung in Addis Abeba den neuen Wind in die ganze Region tragen will, das macht der äthiopisch­e Außenminis­ter im Gespräch mit der „Presse“klar. Der rasche Frieden mit Eritrea? „Das ist ein Wunder“, räumt Workneh Gebeyehu ein. Der Krieg hatte von 1998 bis 2000 rund 80.000 Menschen das Leben gekostet, seitdem waren beide Staaten verfeindet. „Ein Problem für die ganze Region.“Abiy beendete den Konflikt innerhalb von drei Monaten. Und Äthiopien bekam einen Zugang zum Roten Meer.

Nun will die Regierung alle weiteren Konflikte in der Region lösen. Als Vorsitzlan­d der Regionalor­ganisation IGAD verhandelt­e Äthiopien mit den südsudanes­ischen Bürgerkrie­gsparteien ein Friedensab­kommen. „Da sind wir jetzt auf dem richtigen Weg.“Und Addis Abeba setzt sich dafür ein, dass auch der Sudan und Djibouti ihre Streitpunk­te mit Eritrea lösen. Es gebe bereits Gespräche, um die Regierunge­n der Länder zusammenzu­bringen, sagt der Außenminis­ter. „Wir sagen immer: Das Horn von Afrika wird jetzt die Hoffnung Afrikas.“

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