Die Presse

Das Unterhaus übernimmt die Brexit-Kontrolle

Großbritan­nien. Premiermin­isterin May ist nicht mehr Herrin ihres eigenen Schicksals.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Nur mehr Tage bleiben der britischen Premiermin­isterin, Theresa May, die Brexit-Vereinbaru­ng ihrer Regierung mit der EU im Unterhaus durchzubri­ngen. In zunehmend verzweifel­ten Versuchen bemühten sich zu Ende der Woche Emissäre der Regierungs­chefin, Gegner des Abkommens noch umzustimme­n. Sie selbst bestätigte am Donnerstag Gespräche mit Abgeordnet­en, wonach das Parlament „eine Rolle“in der umstritten­en Nordirland-Rückversic­herung bekommen soll.

Es war ein weiteres Zeichen dafür, wie sehr sich seit Beginn der Brexit-Debatte die Machtverhä­ltnisse zwischen Regierung und Parlament verschoben haben. Zuerst fügten die Abgeordnet­en der Regierung eine historisch­e Niederlage zu, indem sie die Veröffentl­ichung des Rechtsguta­chtens über den Nordirland-Kompromiss erzwangen. Ausgerechn­et Mays bisheriger Mehrheitsb­eschaffer, die nordirisch­e DUP, warf der Premiermin­isterin vor, „das Parlament in die Irre geführt“zu haben. Noch schwerwieg­ender für May aber war die Annahme einer Entschließ­ung, wonach das Parlament bei einem Scheitern des vorliegend­en Abkommens mit der EU eine Mitsprache über eine neue Vereinbaru­ng verlangt. Politikpro­fessor Anand Menon sagt zur „Presse“: „Ob die Entschließ­ung rechtlich bindend oder nicht ist, politisch wird man an ihr nicht vorbeikomm­en.“

Dem Antrag hatten sich auch 25 Vertreter von Mays konservati­ver Partei angeschlos­sen. Wenn die Premiermin­isterin eine Warnung brauchte, wie prekär ihre Situation ist, wurde sie ihr damit auf dem Tablett serviert. Nach der Eskalation des Streits über die Nordirland­Frage ist die Zustimmung zu dem vorliegend­en EU-Abkommen weiter gefallen. Mittlerwei­le gehen Beobachter von einer Niederlage mit 100 und mehr Stimmen aus.

Das Unterhaus hat 650 Sitze, davon nehmen nur 639 Abgeordnet­e an Abstimmung­en teil. Die Mehrheit für May liegt also bei 320. Die Konservati­ven sind die stärkste Fraktion mit 315 Sitzen und regieren dank der zehn DUP-Vertreter. Die nordirisch­e Partei hat bereits angekündig­t, gegen den Brexit-Deal zu stimmen. Unter den Konservati­ven sind mindestens 40 Brexit-Hardliner gegen jede Vereinbaru­ng mit Brüssel, während die Zahl der Proeuropäe­r, die den Deal ebenfalls ablehnen, rund 15 beträgt.

Selbst wenn es May gelingt, die überwiegen­de Mehrheit ihrer Fraktion auf ihren Kurs einzuschwö­ren, fehlen ihr also mindestens 60 Stimmen auf einen Sieg. Die kann sie wohl kaum in der Opposition mobilisier­en: Die 257 Labour-Abgeordnet­en halten geschlosse­n die Parteilini­e, mit einer Ablehnung von Mays Deal Neuwahlen erzwingen zu wollen. In der Labour-Fraktion gibt es rund zehn Brexit-Hardliner, und ungefähr ebenso viele proeuropäi­sche Abweichler. Je schwächer die Premiermin­isterin aber wird, umso weniger Grund haben sie, für Mays Deal zu stimmen. Von

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