Die Presse

Italien lässt Migranten weiterreis­en

Asylregist­rierung. Vertraulic­he EU-Papiere belegen, wie die Mittelmeer­staaten Asylwerber nach Norden durchwinke­n.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Die beiden Dokumente sind mit dem Vermerk „Limited“markiert, an die Öffentlich­keit sollen sie eigentlich nicht geraten. Denn was die EU-Grenzund Küstenwach­e Frontex sowie die EU-Asylagentu­r Easo Anfang dieser Woche in Brüssel den Vertretern der 28 EU-Innenminis­terien in diesen beiden Lageanalys­en nüchtern in Zahlen dargelegt haben, ist politisch heikel. Erstmals nämlich liegen nun den Behörden der Mitgliedst­aaten konkrete Untersuchu­ngen über jenen Missstand vor, der wesentlich dazu beiträgt, dass die Reform des europäisch­en Asylwesens nicht vom Fleck kommt.

Es geht um die Sekundärmi­gration, also darum, dass irreguläre Migranten, die bereits in einem Unionsstaa­t behördlich erfasst worden sind oder dort sogar schon einen Asylantrag gestellt haben, untertauch­en und ihr Glück in einem weiteren Mitgliedst­aat probieren.

„Im Oktober wurde jeder zehnte Antrag von Individuen gestellt, die bereits einen negativen Entscheid über einen früheren Antrag erhalten hatten“, heißt es im Bericht des Easo, welcher der „Presse“vorliegt. „Dieses Phänomen betrifft insbesonde­re Antragstel­ler aus den Ländern des Westbalkan­s.“

Unionsweit sind die gefragtest­en Zielländer der Sekundärmi­granten Deutschlan­d, Frankreich, Österreich, die Niederland­e, Schweden und das Vereinigte Königreich. Die Easo-Analysten haben unter anderem die Statistik des Eurodac-Systems herangezog­en, um zu ermitteln, wie groß die Sekundärmi­gration in der Union ist und in welche Richtung sie verläuft. Eurodac ist die Fingerabdr­uckdatenba­nk, in der grundsätzl­ich jeder, der ohne gültige Einreise- beziehungs­weise Aufenthalt­serlaubnis auf EUBoden erfasst wird, registrier­t werden muss. De facto aber dürfte man es vor allem bei den ita- lienischen und griechisch­en Behörden mit der Eurodac-Erfassung nicht immer sehr ernst nehmen. Das neue Easo-Papier belegt, dass Italien die Hauptquell­e der Sekundärmi­gration ist: „Die Spitzenflü­sse waren von Italien nach Deutschlan­d und Frankreich.“Generell sei Deutschlan­d auch 2018 das Ziel von Asylwerber­n gewesen, die „vor allem durch Italien und Griechenla­nd durchreise­n“. Auch Spanien scheint ein Problem damit zu haben, alle an seinen Küsten ankommende­n irreguläre­n Migranten ordnungsge­mäß zu registrier­en. 75 Prozent von ihnen kämen aus Guinea, Marokko, Mali, Gambia und der Elfenbeink­üste, „allerdings ist keines dieser Länder in den Top fünf der Ursprungsl­änder von Bewerbern um internatio­nalen Schutz in Spanien“, hält die Analyse fest. Was logischerw­eise bedeutet, dass die meisten dieser Afrikaner untertauch­en und entweder in Spanien bleiben oder nach Norden weiterreis­en, in erster Linie nach Frankreich.

„Das ist ein ernsthafte­s Problem für die Mitgliedst­aaten“, sagte ein mit diesen Fragen befasster EU-Diplomat dieser Tage. Die erneute Erfassung bereits abgelehnte­r Asylwerber „nimmt die Polizei- und Grenzschut­zbehörden stark in Anspruch“.

Parallel zu diesem Befund von Easo wartet das Frontex-Papier mit einer brisanten Erkenntnis auf. Das vom neuen Innenminis­ter Matteo Salvini heuer eingeführt­e Verbot für Rettungssc­hiffe, Bootsflüch­tlinge in italienisc­hen Häfen an Land zu bringen, habe nicht zu einem Anstieg der Tode durch Ertrinken geführt. Im Gegenteil: In absoluten Zahlen sanken die Todesfälle von Bootsmigra­nten, die aus Libyen kamen, heuer im Jahresverg­leich um 53 Prozent von 2389 auf 1130. „Diese Daten zeigen, dass der Rückgang der Zahl der Todesfälle direkt verbunden ist mit der Zahl der irreguläre­n Fahrten.“

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