Italien lässt Migranten weiterreisen
Asylregistrierung. Vertrauliche EU-Papiere belegen, wie die Mittelmeerstaaten Asylwerber nach Norden durchwinken.
Die beiden Dokumente sind mit dem Vermerk „Limited“markiert, an die Öffentlichkeit sollen sie eigentlich nicht geraten. Denn was die EU-Grenzund Küstenwache Frontex sowie die EU-Asylagentur Easo Anfang dieser Woche in Brüssel den Vertretern der 28 EU-Innenministerien in diesen beiden Lageanalysen nüchtern in Zahlen dargelegt haben, ist politisch heikel. Erstmals nämlich liegen nun den Behörden der Mitgliedstaaten konkrete Untersuchungen über jenen Missstand vor, der wesentlich dazu beiträgt, dass die Reform des europäischen Asylwesens nicht vom Fleck kommt.
Es geht um die Sekundärmigration, also darum, dass irreguläre Migranten, die bereits in einem Unionsstaat behördlich erfasst worden sind oder dort sogar schon einen Asylantrag gestellt haben, untertauchen und ihr Glück in einem weiteren Mitgliedstaat probieren.
„Im Oktober wurde jeder zehnte Antrag von Individuen gestellt, die bereits einen negativen Entscheid über einen früheren Antrag erhalten hatten“, heißt es im Bericht des Easo, welcher der „Presse“vorliegt. „Dieses Phänomen betrifft insbesondere Antragsteller aus den Ländern des Westbalkans.“
Unionsweit sind die gefragtesten Zielländer der Sekundärmigranten Deutschland, Frankreich, Österreich, die Niederlande, Schweden und das Vereinigte Königreich. Die Easo-Analysten haben unter anderem die Statistik des Eurodac-Systems herangezogen, um zu ermitteln, wie groß die Sekundärmigration in der Union ist und in welche Richtung sie verläuft. Eurodac ist die Fingerabdruckdatenbank, in der grundsätzlich jeder, der ohne gültige Einreise- beziehungsweise Aufenthaltserlaubnis auf EUBoden erfasst wird, registriert werden muss. De facto aber dürfte man es vor allem bei den ita- lienischen und griechischen Behörden mit der Eurodac-Erfassung nicht immer sehr ernst nehmen. Das neue Easo-Papier belegt, dass Italien die Hauptquelle der Sekundärmigration ist: „Die Spitzenflüsse waren von Italien nach Deutschland und Frankreich.“Generell sei Deutschland auch 2018 das Ziel von Asylwerbern gewesen, die „vor allem durch Italien und Griechenland durchreisen“. Auch Spanien scheint ein Problem damit zu haben, alle an seinen Küsten ankommenden irregulären Migranten ordnungsgemäß zu registrieren. 75 Prozent von ihnen kämen aus Guinea, Marokko, Mali, Gambia und der Elfenbeinküste, „allerdings ist keines dieser Länder in den Top fünf der Ursprungsländer von Bewerbern um internationalen Schutz in Spanien“, hält die Analyse fest. Was logischerweise bedeutet, dass die meisten dieser Afrikaner untertauchen und entweder in Spanien bleiben oder nach Norden weiterreisen, in erster Linie nach Frankreich.
„Das ist ein ernsthaftes Problem für die Mitgliedstaaten“, sagte ein mit diesen Fragen befasster EU-Diplomat dieser Tage. Die erneute Erfassung bereits abgelehnter Asylwerber „nimmt die Polizei- und Grenzschutzbehörden stark in Anspruch“.
Parallel zu diesem Befund von Easo wartet das Frontex-Papier mit einer brisanten Erkenntnis auf. Das vom neuen Innenminister Matteo Salvini heuer eingeführte Verbot für Rettungsschiffe, Bootsflüchtlinge in italienischen Häfen an Land zu bringen, habe nicht zu einem Anstieg der Tode durch Ertrinken geführt. Im Gegenteil: In absoluten Zahlen sanken die Todesfälle von Bootsmigranten, die aus Libyen kamen, heuer im Jahresvergleich um 53 Prozent von 2389 auf 1130. „Diese Daten zeigen, dass der Rückgang der Zahl der Todesfälle direkt verbunden ist mit der Zahl der irregulären Fahrten.“