Der kühle Konservative
Deutschland. Er war der erste Vorsitzende der CDU, als Kanzler wurde er zur Legende: Konrad Adenauer, ein katholischer Puritaner, der das Land in den Westen führte.
Klischeehaft ist der Katholik, der rheinländische erst recht, eine Frohnatur, der Protestant hingegen von puritanischem Arbeitsethos durchdrungen. Konrad Adenauer war beides: rheinländischer Katholik mit puritanischem Arbeitsethos. So gesehen war er eine Idealfigur für eine Partei, die das Christliche im Namen trägt.
1945 wurde die CDU, die Christlich Demokratische Union, gegründet. Als konfessionell übergreifende Partei. Sie war aus der Zentrumspartei der Katholiken hervorgegangen, die es schon im Kaiserreich der Hohenzollern gegeben hatte. Nun aber sollte sie mehr sein. Ihr erster Vorsitzender war Konrad Adenauer, zuerst in der britischen Zone, dann in Gesamt-Westdeutschland.
Begonnen hatte Adenauer 1917 als Oberbürgermeister in Köln. Er machte eine moderne Kommunalpolitik – mit Grünanlagen, Betriebsansiedelungen und Kulturstätten. Bis 1933 sollte er dieses Amt innehaben – länger als dann jenes als Bundeskanzler. Aber auch das sollte er immerhin 14 Jahre lang, von 1949 bis 1963, sein.
Die Nationalsozialisten hatten ihn aus dem Amt des Oberbürgermeisters entfernt. In den Jahren der NS-Herrschaft lebte er zurückgezogen, mitunter sogar in einem Benediktinerkloster, nach dem 20. Juli 1944 wurde er allerdings für einige Wochen inhaftiert. Ein Dasein als Pensionist schien vorgezeichnet, die politische Karriere zu Ende. Als der Zweite Weltkrieg 1945 endete, war Konrad Adenauer 69 Jahre alt. Die Amerikaner setzten ihn jedoch erneut als Bürgermeister in Köln ein. Die Briten setzten ihn wenig später wegen „Unfähigkeit“wieder ab.
Danach ging es mit der politischen Karriere erst so richtig los. Wie in anderen Ländern Europas auch war nach der Zeit von Krieg, Nationalsozialismus und Faschismus ein biederer, christlich geprägter Konservatismus gefragt. Nur keine Experimente mehr. Ruhe, ein beschauliches Leben, Aufstieg durch Fleiß, staatlich garantierte Sicherheit. Und die Angst vor dem Kommunismus tat ein Übriges, dessen Abwehr galt nun als politischer Common sense in den Ländern des Westens. Die Mehrheit der Wähler versammelte sich hinter bürgerlichen Vaterfiguren – in Frankreich (Charles de Gaulle), in Italien (Alcide De Gasperi), in Österreich (Leopold Figl) und eben auch in Deutschland mit Konrad Adenauer.
Die Sozialdemokraten waren von der Mitte noch ein Stück weit entfernt. Nur in England gelang der Labour Party das Kunststück, den siegreichen Winston Churchill zu stürzen. Und in Schweden setzte sich die sozialdemokratische Tradition fort. Deren Protagonisten waren aber schon zuvor in die pragmatische Mitte gerückt.
Die gesellschaftspolitischen Umwälzungen sollten dann später von den Sozialdemokraten getätigt werden. In der Zeit von Konrad Adenauer tat sich hier nicht viel. Der Fokus lag auf der Wirtschaftspolitik. Bald sollte daraus das „Wirtschaftswunder“werden, mit sich langsam ausbreitendem Wohlstand für die Massen. Im Wesentlichen getragen von seinem internen Widersacher und späteren Nachfolger Ludwig Erhard.
Wirtschaftsminister Erhard war die Galionsfigur des „Wirtschaftswunders“, Adenauer jedoch die Symbolfigur des neuen Deutschland. Die Anbindung an den Westen, an die USA, die Aussöhnung mit Frankreich, die ihm als Rheinländer ein besonders Anliegen war, dafür stand Konrad Adenauer. „Staatsmann der Sorge“nannte ihn der Historiker Golo Mann.
Adenauer war kein Intellektueller, vielmehr ein Oberbürgermeister der Bundesrepublik: realistisch, pragmatisch, ausgleichend, auf die Finanzen achtend, Abenteuern abhold. Das Glamouröseste an Konrad Adenauer waren die Bilder aus seinen Italien-Urlauben. Er verbrachte sie in einer Villa am Comer See, dort spielte er Boccia, ließ sich von seiner Sekretärin Krimis vorlesen und von Oskar Kokoschka malen.
Adenauer war ein Patriarch, ein Kind seiner Zeit, aufgewachsen noch unter Reichskanzler Otto von Bismarck. Aber ganz so reaktionär, wie ihm von den Gegnern bisweilen unterstellt wurde, war er dann auch wieder nicht. Widerspruch regte ihn zwar auf, aber er ließ ihn zu. Er schickte selbst verfasste Leserbriefe an Tageszeitungen, wenn er mit einem Artikel nicht einverstanden war. Und er lud Journalisten regelmäßig zum Tee. Der Gedankenaustausch endete nicht selten in heftigen Debatten. Adenauer war aber auch – eine Eigenschaft, die viele Politiker mit lang anhaltendem Erfolg auszeichnet – ein guter Zuhörer. Eine Anmerkung Konrad Adenauers ist gewissermaßen zeitlos: „Sie wissen, dass es der Beruf des Journalisten ist, in der Regel negativ zu schreiben. Aber ich glaube, dann und wann kann er auch einmal positiv schreiben.“
„Das Geheimnis seiner Aura war kühles Selbstbewusstsein“, schrieb „Die Welt“aus Anlass seines 100. Geburtstags. „Es war Kühle um ihn, er hielt auf Distanz“, notierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Wenn er leidenschaftlich wurde, dann vorzugsweise beim Thema Europa, der Annäherung Deutschlands an Frankreich, die mit einer persönlichen Freundschaft zu Charles de Gaulle einherging. Der theatralische Franzose und der nüchterne Deutsche verstanden sich wider Erwarten bestens.
Unter Adenauer wurde Deutschland Mitglied der Montanunion und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, aus der die EU hervorgehen sollte. Er setzte die Wiederbewaffnung der deutschen Armee und den Nato-Beitritt durch. Mit der Sowjetunion nahm er diplomatische Beziehungen auf. Das Angebot Stalins, der eine deutsche Wiedervereinigung in Aussicht stellte, wenn Deutschland neutral würde, schlug er aus.
1963 hatten sie in der CDU dann genug vom „Alten“, auch der Koalitionspartner FDP wollte nicht mehr so recht mit ihm. Adenauer versuchte noch, Ludwig Erhard als Nachfolger zu verhindern – aber es gelang ihm nicht. Die „Spiegel-Affäre“hat Adenauers Abgang beschleunigt: Auf Betreiben von CSU-Verteidigungsminister Franz Josef Strauß waren leitende Redakteure des Nachrichtenmagazins wegen „Landesverrats“verhaftet worden. In einem Artikel war die Verteidigungsbereitschaft Deutschlands in Zweifel gezogen worden.
„Erst im folgenden Jahrzehnt, als die Achtundsechziger lärmend die Bühne füllten und die alte Sozialdemokratie die Jugendpartei darzustellen versuchte, begann Adenauers CDU, begann die Öffentlichkeit zu begreifen, dass der kämpferische Patriarch ein Glücksfall gewesen war für eine tief verstörte traumatisierte, physisch und seelisch zerrissene Nation“, schrieb der Historiker Michael Stürmer. „Nach dem mörderischen Jugendwahn, der Deutschland zerstört hatte, war der erste Bundeskanzler eine Vaterfigur aus besseren Zeiten, geprägt vom liberalen rheinischen Katholizismus, dem Aufstiegswillen der Familie.“Den Nationalsozialismus habe er im inneren Exil erlebt und erlitten, die „Zürcher Zeitung“lesend, die ihm der Schweizer Generalkonsul in Köln zukommen ließ.
Konrad Adenauer starb 1967 im Alter von 91 Jahren. Seine erste Frau war schon 1916 gestorben, seine zweite 1948. Er hatte acht Kinder, eines war gleich nach der Geburt verstorben, und 24 Enkelkinder. „Es war ein schweres Leben, aber auch ein schönes Leben. In der Politik finde ich den Kampf, namentlich, wenn er erfolgreich ist, wunderbar und schön. Ohne Kampf ist es langweilig. Wenn man den Kampf verliert, ist es bitter; aber wenn man kämpft und dabei siegt, ist es schön“, meinte Konrad Adenauer selbst.