ORF-Schönsprech – wozu eigentlich?
Österreichische Medien passen sich auch in der Aussprache immer mehr den deutschen Nachbarmedien an.
Seit einigen Monaten fällt mir auf, dass die meisten Sprecherinnen und Sprecher im ORF nicht mehr wie Österreicher klingen. Ein norddeutscher Akzent hat sich breitgemacht, begleitet vom Versuch, ein „neutrales Hochdeutsch“zu intonieren. Das gilt zwar nicht für die meisten Moderatoren, sondern für jene, die aus dem Off etwas vorlesen. Diese sind geschult und klingen wie Schauspieler, die versuchen, ein gehobenes schönes Deutsch quasi von der Bühne herab zu sprechen.
Es heißt dann „Würtschaft“statt Wirtschaft, man geht über „Bergö“und „Jorrnalüsten“„berüchten“über eine „politschö“„Krisö“beim „Könich“.
Dennoch können sie ihren Ursprung nicht ganz verleugnen, gelegentlich man hört ein österreichisch ausgesprochenes Wort durch. Und das alles in einer sonoren, getragenen Stimme. Man hat das Gefühl, hier sprechen keine echten Menschen, sie wirken künstlich und sind geografisch nicht ortbar – also weder Deutsche noch Österreicher.
Wer sich in Germanistenkreisen umhört, lernt, dass es seit den frühen 1980er-Jahren offiziell drei Hauptvarietäten der deutschen Sprache gibt: das deutschländische, das österreichische und das schweizerische Deutsch (jeweils als DD, ÖD und SD bezeichnet). Diese sind sogenannte Standardsprache und nicht mit Dialekten zu verwechseln.
Hier geht es um die im geschäftlichen und amtlichen Verkehr und in staatlichen Medien verwendete Sprache. Die Varietäten unterscheiden sich in Vokabular, Sprechweise und Aussprache voneinander und sind untereinander gleichrangig. Deutschländisches Deutsch ist nicht der Lehrmeister des österreichischen Deutsch, genauso wenig wie das britische Englisch nicht Vormund des amerikanischen ist.
Ein NDR-Sprecher klingt natürlich mit gutem Recht anders als die Moderatorin des SRG – und beide wären beim ORF fehl am Platz. Ebenso würde Armin Wolf als Präsentator bei „Heute“als „ ulkich“empfunden werden.
Warum hat sich diese merkwürdige Kaste der neutralen Schönsprecher in den ORF eingeschlichen, die in der Sprache nicht Farbe bekennen? Ich kann mir das nur so erklären: Diese Menschen kommen von der Schauspielschule oder von Sprechkursen, in denen ihnen das heutige Bühnendeutsch nach deutschen Regeln und von deutschen Regisseuren eintrainiert wird und Dialektreste abgeschliffen werden.
Das heutige Bühnendeutsch ist ein sehr norddeutsch geprägtes DD, es klingt eher wie Ben Becker und nicht mehr wie Peter Matic´ oder Elisabeth Orth. Das hat wahrscheinlich wirtschaftliche Gründe. ORF-Sprecherinnen und -Sprecher wiederum müssen anscheinend abgehoben und neutral wirken. Man scheint sich seines Österreichertums zu schämen und bewegt sich akustisch irgendwo in der Luft zwischen St. Pölten und Hannover.
Ich schlage daher vor, im ORF etwas ehrlicher zu sein und unseren österreichischen Sprecherinnen und Sprechern mehr Spielraum zu gönnen: Ermuntert sie, wie normale Menschen zu reden. Berichtet über Kollektivvertragsverhandlungen in unserer Sprache, das klingt vertrauter.
Den Sprech- und Schauspielschulen ist zu empfehlen: Lasst beide Varietäten zu und erlaubt auch Österreichern und Österreicherinnen, die Aussprache zu unterrichten. Dann bekommen wir vielleicht einmal Sprecherinnen und Sprecher, die beides können – österreichisches und deutschländisches Deutsch. Auch den österreichischen Bühnen würde das guttun.