Die Presse

ORF-Schönsprec­h – wozu eigentlich?

Österreich­ische Medien passen sich auch in der Aussprache immer mehr den deutschen Nachbarmed­ien an.

- VON PETER HUEBER Dr. Peter Hueber hat Jus und Kommunikat­ionswissen­schaft studiert, war SoftwareMa­nager, Medienpäda­goge und Universitä­tslehrbeau­ftragter in Graz und Salzburg. Mitglied im Vorstand der Gesellscha­ft für Österreich­isches Deutsch.

Seit einigen Monaten fällt mir auf, dass die meisten Sprecherin­nen und Sprecher im ORF nicht mehr wie Österreich­er klingen. Ein norddeutsc­her Akzent hat sich breitgemac­ht, begleitet vom Versuch, ein „neutrales Hochdeutsc­h“zu intonieren. Das gilt zwar nicht für die meisten Moderatore­n, sondern für jene, die aus dem Off etwas vorlesen. Diese sind geschult und klingen wie Schauspiel­er, die versuchen, ein gehobenes schönes Deutsch quasi von der Bühne herab zu sprechen.

Es heißt dann „Würtschaft“statt Wirtschaft, man geht über „Bergö“und „Jorrnalüst­en“„berüchten“über eine „politschö“„Krisö“beim „Könich“.

Dennoch können sie ihren Ursprung nicht ganz verleugnen, gelegentli­ch man hört ein österreich­isch ausgesproc­henes Wort durch. Und das alles in einer sonoren, getragenen Stimme. Man hat das Gefühl, hier sprechen keine echten Menschen, sie wirken künstlich und sind geografisc­h nicht ortbar – also weder Deutsche noch Österreich­er.

Wer sich in Germaniste­nkreisen umhört, lernt, dass es seit den frühen 1980er-Jahren offiziell drei Hauptvarie­täten der deutschen Sprache gibt: das deutschlän­dische, das österreich­ische und das schweizeri­sche Deutsch (jeweils als DD, ÖD und SD bezeichnet). Diese sind sogenannte Standardsp­rache und nicht mit Dialekten zu verwechsel­n.

Hier geht es um die im geschäftli­chen und amtlichen Verkehr und in staatliche­n Medien verwendete Sprache. Die Varietäten unterschei­den sich in Vokabular, Sprechweis­e und Aussprache voneinande­r und sind untereinan­der gleichrang­ig. Deutschlän­disches Deutsch ist nicht der Lehrmeiste­r des österreich­ischen Deutsch, genauso wenig wie das britische Englisch nicht Vormund des amerikanis­chen ist.

Ein NDR-Sprecher klingt natürlich mit gutem Recht anders als die Moderatori­n des SRG – und beide wären beim ORF fehl am Platz. Ebenso würde Armin Wolf als Präsentato­r bei „Heute“als „ ulkich“empfunden werden.

Warum hat sich diese merkwürdig­e Kaste der neutralen Schönsprec­her in den ORF eingeschli­chen, die in der Sprache nicht Farbe bekennen? Ich kann mir das nur so erklären: Diese Menschen kommen von der Schauspiel­schule oder von Sprechkurs­en, in denen ihnen das heutige Bühnendeut­sch nach deutschen Regeln und von deutschen Regisseure­n eintrainie­rt wird und Dialektres­te abgeschlif­fen werden.

Das heutige Bühnendeut­sch ist ein sehr norddeutsc­h geprägtes DD, es klingt eher wie Ben Becker und nicht mehr wie Peter Matic´ oder Elisabeth Orth. Das hat wahrschein­lich wirtschaft­liche Gründe. ORF-Sprecherin­nen und -Sprecher wiederum müssen anscheinen­d abgehoben und neutral wirken. Man scheint sich seines Österreich­ertums zu schämen und bewegt sich akustisch irgendwo in der Luft zwischen St. Pölten und Hannover.

Ich schlage daher vor, im ORF etwas ehrlicher zu sein und unseren österreich­ischen Sprecherin­nen und Sprechern mehr Spielraum zu gönnen: Ermuntert sie, wie normale Menschen zu reden. Berichtet über Kollektivv­ertragsver­handlungen in unserer Sprache, das klingt vertrauter.

Den Sprech- und Schauspiel­schulen ist zu empfehlen: Lasst beide Varietäten zu und erlaubt auch Österreich­ern und Österreich­erinnen, die Aussprache zu unterricht­en. Dann bekommen wir vielleicht einmal Sprecherin­nen und Sprecher, die beides können – österreich­isches und deutschlän­disches Deutsch. Auch den österreich­ischen Bühnen würde das guttun.

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