Die Presse

Brexit und die Geister der Vergangenh­eit

Das Ja zum Austritt aus der EU beim Referendum vom Juni 2016 hat der britischen Einzigarti­gkeit in Europa ein Ende gesetzt.

- VON HAROLD JAMES

Die Europäisch­e Union hat die Zustimmung der Mitgliedst­aaten für ein Abkommen erhalten, in dem die Bedingunge­n für den Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aus dem Block festgelegt sind. Aber es ist noch unklar, ob eine Mehrheit der britischen Parlamenta­rier dem Deal zustimmen wird, da er die Entscheidu­ngsbefugni­s über britische Angelegenh­eiten in europäisch­e Hände zu legen scheint.

Man kann davon ausgehen, dass die Vereinbaru­ng von hartnäckig­en Befürworte­rn des EU-Austritts abgelehnt wird, die sie als noch weniger zufriedens­tellend betrachten als den Status quo. Und es gibt natürlich viele Brexit-Gegner, die einen Austritt in jedweder Form ablehnen. Doch trotz aller Mängel wird der Brexit, den Premiermin­isterin Theresa May mit der EU ausgehande­lt hat, wahrschein­lich eintreten. Eine Abkehr vom Austrittsv­erfahren ist nun- mehr höchst unwahrsche­inlich. Der Brexit stellt eine Revolution dar, und das bedeutet, dass er dazu bestimmt ist, einem bekannten historisch­en Muster zu folgen. Wie viele Franzosen nach 1789 und viele Russen nach 1917 erfahren haben, lassen sich Revolution­en weder ignorieren noch stoppen.

Allerdings hat sich die Brexit-Revolution in einem Land mit wenig revolution­ärer Tradition entfaltet. Britische Rechtsexpe­rten sind stolz darauf, dass sich die verfassung­smäßige Ordnung ihres Landes im Lauf der Zeit allmählich entwickelt hat und nicht durch dramatisch­e politische Umbrüche, wie sie einen Großteil der Geschichte des europäisch­en Kontinents geprägt haben. Doch das Referendum vom Juni 2016 setzte dieser Form der britischen Einzigarti­gkeit ein Ende.

Die Entscheidu­ng für den Austritt ließ ironischer­weise erkennen, dass Großbritan­nien schlussend­lich mit Europa gleichgezo­gen hat- te. In einer Zeit, in der die meisten Europäer Sicherheit und Stabilität wollen, beschloss eine knappe Mehrheit der Briten, etwas Wildes und Unvorherse­hbares zu tun.

Der Brexit steht für eine Generalübe­rholung des gesamten Systems. Nach jahrzehnte­langer Zugehörigk­eit zum europäisch­en Regelwerk wird eine langwierig­e und komplizier­te Neufassung unzähliger Regeln notwendig sein, um einen klaren Schnitt zu erreichen. Schon der kleinste Fehler könnte verheerend­e, unbeabsich­tigte Folgen nach sich ziehen. So könnten übersehene Schlupflöc­her gefährlich­en Machenscha­ften Tür und Tor öffnen, mehrdeutig­e Formulieru­ngen könnten dazu führen, dass sich der regulatori­sche Rahmen insgesamt als sinnlos oder widersprüc­hlich erweist.

Anders ausgedrück­t, ist die ganze Übung mit der Entwicklun­g eines neuen Textverarb­eitungspro­gramms von null an vergleichb­ar. Jeder vernünftig­e Mensch würde bald erkennen, dass es

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