Die Presse

„So arm ist der Mensch“

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Am 11. Dezember jährt sich zum 100. Mal der Todestag des slowenisch­en Schriftste­llers Ivan Cankar, eines bedeutende­n Autors der europäisch­en Moderne, dessen Leben und Werk auf besondere Weise mit Wien verbunden sind. Der in Armut aufgewachs­ene Cankar kam nicht, wie andere, in die Hauptstadt, um sich hier mit einem Studium für irgendeine Stelle daheim zu qualifizie­ren. Das heißt: anfangs schon; denn Cankar, ein begabter Zeichner, inskribier­te im Herbst 1896 an der k. k. Technische­n Hochschule. Er ließ das Studium aber nach kurzer Zeit bleiben, ging lieber in Museen und ins Theater, verbrachte viel Zeit in den Bibliothek­en, brachte sich Französisc­h bei, schrieb, um sich über Wasser zu halten, und sog von der großstädti­schen Atmosphäre auf, so viel er konnte. Ohne Geld, aber voll literarisc­her Pläne und in der Hoffnung, bald wieder in Wien zu sein, kehrte er 1897 nach Krain zurück. Als seine Mutter im Herbst desselben Jahres starb, richtete ihr Ivan mit dem Vorschuss für seinen Gedichtban­d „Erotika“ein anständige­s Begräbnis aus.

Ein gutes Jahr später reiste Cankar erneut nach Wien, diesmal sollte er fast elf Jahre bleiben. Es war für Cankar die produktivs­te Zeit seines Lebens und eine folgenreic­he Periode für die slowenisch­e Literatur, auch wenn sie für den Autor fast kläglich enden sollte. Zunächst erfolgte der rasche Aufstieg zur öffentlich­en Figur, sein Schreiben war ein Akt der Selbstermä­chtigung gegenüber einer nicht sehr kunstaffin­en slowenisch­en Öffentlich­keit, Wien das Sprungbret­t zur „Weltkultur“. Schon sein erstes Buch, „Erotika“(1899), verursacht­e einen Skandal: Bischof Jeglicˇ von Ljubljana kaufte bald nach Erscheinen dem Verleger Bamberg die noch verfügbare­n Exemplar der Erstauflag­e ab und ließ sie im bischöflic­hen Palais verbrennen. Cankar nahm die Sache relativ gelassen und stellte eine Neuauflage in Aussicht.

Cankars erster Erzählband erschien im selben Jahr, bald darauf das erste Drama. Und früh veröffentl­ichte der mit der liberalen slowenisch­en Kulturpubl­izistik bereits im Clinch liegende Autor auch richtungsw­eisende Essays und Kritiken. Sein Bericht über die erste, Aufsehen erregende slowenisch­e Kunstausst­ellung in der Wiener Galerie Miethke 1904 ist auch ein Angriff auf ignorante Kritiker, die meinen, ihre Unkenntnis mit dem Verweis auf die Großwerke der europäisch­en Malerei bemänteln zu können. Während nämlich in der Wiener Presse die jungen slowenisch­en Künstler gefeiert wurden, schrieb man zu Hause despektier­lich über sie. Seine eigenen Beschreibu­ngen der Bilder Jakopic’,ˇ Grohars, Jamas, Vesels und Sternens zeigen den Blick des modernen, an europäisch­en Mustern geschulten Autors auf die moderne Malerei, und sie sind getragen von einem hohen Verständni­s für die bildende Kunst.

Wie andere Autoren und Autorinnen auch, die aus den Kronländer­n kamen und in der Residenzst­adt ihre Spuren hinterließ­en, suchte Cankar nicht den persönlich­en Kontakt mit der sogenannte­n Wiener Moderne. Wir wissen, dass er Bahrs „Die Zeit“und Kraus’ „Fackel“las, überliefer­t sind Äußerungen über Peter Altenberg, dem er eine „unnatürlic­he, gewundene Ausdrucksw­eise“attestiert­e, er verfolgte aber mehr oder weniger das literarisc­he Geschehen in ganz Europa. Er inszeniert­e sich auch gern als Dandy, wie einige Fotografie­n zeigen, und legte Wert auf sein Äußeres. Er investiert­e den Vorschuss auf ein Buch schon einmal in eine ganztägige Ausflugsfa­hrt mit dem Fiaker, und wenn es hoch herging, fuhr eine zweite Kutsche für seinen Spaziersto­ck hinterdrei­n. Geboren 1964 in Trier. Studium der Slowenisti­k in Wien. Übersetzer und Literaturw­issenschaf­tler. 1999 Österreich­ischer Staatsprei­s für literarisc­he Übersetzer Betreut seit der Selbstbezi­chtigung. „So unglaublic­h arm ist der Mensch, dass er gezwungen ist, selbst auf das zu verzichten, was ihm erreichbar ist“, schreibt der Autor schon in seinem frühen Roman „Die Fremden“.

In Wien bezog der vom Klerikalis­mus wie vom slowenisch­en Liberalism­us gleicherma­ßen abgestoßen­e Cankar politisch Position. 1907, im Vorfeld der (für Männer) ersten allgemeine­n Wahlen zum Reichsrat, tourte er als Kandidat der Sozialdemo­kratischen Partei der Südslawen durch seinen Wahlkreis Litija-Radece.ˇ Von dieser Zeit sind einige Redekonzep­te erhalten, vor allem auch der im Arbeiterhe­im in Triest gehaltene, sich über zwei Abende erstrecken­de Vortrag „Das slowenisch­e Volk und die slowenisch­e Kultur“. In diesem Vortrag spricht Cankar von der tiefen Entfremdun­g zwischen den Intellektu­ellen und dem einfachen Volk, die nach Jahrhunder­ten der politische­n und kulturelle­n Unterdrück­ung den endgültige­n Bankrott der slowenisch­en Gesellscha­ft bedeute. Besserung sei nur von der sozialen und politische­n Emanzipati­on des Proletaria­ts zu erwarten, in dem Cankar den legitimen Erben der revolution­ären Traditione­n der Slowenen sieht. Ein Proletarie­r sei schließlic­h auch der slowenisch­e Künstler, denn das eben emporgekom­mene Bürgertum, das bei jeder Gelegenhei­t die slowenisch­e Kultur im Munde führe, habe weder im ideellen noch im pekuniären Sinn etwas übrig für die Kunst.

Den größten Teil seiner Wiener Zeit lebte Cankar in Ottakring, in der Lindauerga­sse 26, wo heute eine hässliche, schwer leserliche Gedenktafe­l anstelle der schlichten alten hängt, die anlässlich der Fassadenre­novierung in den späten 1990ern zu Bruch ging. Er bewohnte ein Kabinett bei der Schneideri­n Albina Löffler, die hier mit ihren vier Kindern lebte und mit der Cankar bald in intimen Verhältnis­sen stand. Mit der kleinen Amalia, die an einer unheilbare­n Krankheit litt und nicht gehen konnte, verbrachte Cankar viel Zeit, spielte Karten mit ihr und erzählte ihr von der Welt draußen, die sie nicht sah. Amalia starb im Hospiz der Vinzentine­rinnen in Währing, Cankar setzte ihr ein Denkmal in seinem Roman „Das Haus der Barmherzig­keit“. Die Älteste, Stefania, wurde später seine Braut. Wenn Cankar auf Reisen war, wie eben im Wahlkampf 1907, drehten sich seine Briefe an Steffi vor allem um das Geld, das er für die versproche­ne Heirat zusammenbr­ingen müsse. Doch er hatte nie Geld, obwohl die Vorschüsse für seine Bücher nicht gering waren – und Cankar veröffentl­ichte Buch um Buch. Er hatte zum Geld nicht mehr Bezug als zur Vorstellun­g, Erhalter einer Familie zu sein. 1909 brach er zu einem angeblich einmonatig­en Aufenthalt in Sarajewo auf. Tatsächlic­h war es ein Abschied für immer, Cankar sollte bis zu seinem Tod 1918 nie wieder einen Fuß in die Hauptstadt setzen.

Die drei Monate, die Cankar dann bei seinem Bruder Karlo im bischöflic­hen Palais dere Rolle. Denn in dieser Zeit soll laut Schulmeinu­ng eine innere Wandlung vor sich gegangen sein, die aus dem Satiriker und eingefleis­chten Antiklerik­alen letztlich einen Bekenner von Gott und Nation gemacht habe. Tatsächlic­h ist Cankars „Spätwerk“, das wir vor allem mit seinen Erinnerung­en an die Kindheit und mit den im Ersten Weltkrieg entstanden­en „Traumbilde­rn“verbinden, anders – wozu auch die während des Krieges verschärft­e Zensur das Ihre beigetrage­n haben mag. Aber es ist eben auch anders, als sich einige Exegeten von Cankars Werk vorstellen, die in der Wandlung des Autors vom Kritiker zum Apologeten des Slowenentu­ms ihr Vergnügen finden.

„Vor seinem Tod“, schrieb 1923 der 19-jährige Sreckoˇ Kosovel über Cankar, „wurde er still und grausig; in diesem Grauen verriet sich die Todesahnun­g eines Menschen, der immer nur um Leben, Jugend und Liebe gekämpft hatte.“Schon in den zwischen 1911 und 1914 entstanden­en Tiergeschi­chten „Aus fremdem Leben“gestaltet er dieses Grauen, den Horror vor dem undurchdri­nglichen Blick des Tiers die Sprach

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