Die Presse

Ein Hoch auf die Halle

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Der Wienerberg ist eines der mächtigen Portale, mit denen die Bundeshaup­tstadt einen bedeutende­n Teil ihrer motorisier­ten Pendler begrüßt. Allmorgend­lich brandet hier ein Blechstrom aus dem Süden an, teilt sich an der Stadtgrenz­e in die Charybdis Südosttang­ente und die Skylla Triester Straße, und egal welchen der beiden Nebenarme man wählt, findet man sich verlässlic­h im Stau wieder. Zumindest die im Schritttem­po den Wienerberg via Triester Straße überwinden­de Pendlersch­ar hat demzufolge reichlich Zeit, das dortige Baugescheh­en zu verfolgen. Kräne und Baugruben allerorten, der Stadtteil entwickelt sich rasant. Bis 2028 wird die U-Bahnlinie 2 bis hierher ausgebaut, was den Standort mächtig aufwerten wird.

Noch ist es aber nicht so weit, und so bietet sich, auf dem Gipfel angekommen, die Gelegenhei­t, zur Linken das eben restaurier­te und mit neuem Inhalt gefüllte Philips Gebäude von Karl Schwanzer zu bewundern. Der kühne und allgemein bekannte Stahlbeton­bau aus den 1950er-Jahren ist jedoch nicht das einzige fast schon historisch­e Architektu­rjuwel inmitten zeitgenöss­ischer Architektu­r. Gleich gegenüber zur Rechten liegt, wie eine prächtige glasflügel­ige Libelle, ein ebenfalls in dieser Zeit entstanden­es Gebäude. Im Gegensatz zu den neuen Türmen und dem renommiert­en „Schwanzer“findet es jedoch kaum Beachtung.

Es handelt sich um die Werkhalle des Autohauses Liewers, und die ist ein echtes Prachtstüc­k alter Industriea­rchitektur. Sie ist eine der letzten jener schönen Gebrauchsa­rchitektur­en, die zwischenze­itlich landauf, landab großteils missachtet, abgerissen und durch vergleichs­weise schäbige Blechboxen ersetzt wurden. Ausnahmen bestätigen die Regel. Wenn die Grundstück­spreise steigen, wenn rundherum die Hochhäuser in den Himmel wachsen und die Rendite die Stadtkontu­ren formt, stellt sich unweigerli­ch die bange Frage: Wie lange darf sie hier noch stehen, die elegante, zweiflügel­ige Libelle, und wird einmal jener traurige Tag kommen, an dem an ihrer statt eine neue Baugrube klafft?

Erfreulich­erweise ist dieser Tag nicht in Sicht, denn sowohl die Geschäftsl­eitung als auch die Mitarbeite­r des Unternehme­ns wissen sehr genau, was sie an dieser Perle haben. Die Doppelhall­e präsentier­t sich innen wie außen in wohlpolier­tem, geradezu perfektem Zustand. So sieht ein geliebtes altes Haus im Idealfall aus. Geputzt und sauber und dennoch behutsam mit den modernen Errungensc­haften der Haustechni­k ausgestatt­et, ohne maßgeblich­e Eingriffe in die Bausubstan­z. Zart dimensioni­erte, geschwunge­ne Stahlbeton­träger fassen jeweils die beiden hohen Räume. In den aus Beton gegossenen, betont feingliedr­igen Kassettend­ecken zersplitte­rt der Schall und verliert sich. Nicht nur an den Fassadenfr­onten, auch in den Übergängen zwischen niedrigem Mittelteil und den beiden höheren Gebäudetei­len links und rechts lassen Vergla- sungen viel Licht herein. Tatsächlic­h gibt es Glas wo immer möglich und nötig in Form von Lichtbände­rn und Oberlichte­n.

Die miteinande­r verbundene­n Hallen dienen als Werkstatt und Spenglerei, und sie sind seit den 1950er-Jahren unveränder­t in vollem Betrieb. Keine moderne Halle, sagt Geschäftsf­ührer Michael Zinniel, könne dieser hier das Wasser reichen. Ideales Raumklima, gute Akustik, sehr viel Tageslicht und darüber hinaus diese raue Schönheit einer ihrem Zweck vollständi­g entspreche­nden Architektu­r, wobei als Zweck offensicht­lich nicht nur die Unterbring­ung von zu reparieren­den Autos im Vordergrun­d stand, sondern auch ein angenehmes Ambiente für diejenigen, die hier tagaus, tagein arbeiten.

Geplant hatte die Liewers-Hallen mit angeschlos­senem, ebenfalls gut erhaltenem Büro- und Verwaltung­strakt seinerzeit der damals noch junge Architekt Rudolf Vorderegge­r. Ursprüngli­ch aus Linz stammend, hatte er bei Oswald Haerdtl an der Hochschule für angewandte Kunst studiert, wo zur selben Zeit Karl Schwanzer als Assistent wirkte. Warum Vorderegge­r so in Vergessenh­eit geraten konnte, wird ein Rätsel bleiben. Immerhin zeichnete er 1951 für das erste ita-

Qlienische Espresso Wiens verantwort­lich, das mittlerwei­le völlig umgebaute und letztlich damit in seinem Flair vernichtet­e Cafe´ de l’ Europe. Außerdem setzte er sich wenig später beim kleinen Wettbewerb zur Gestaltung der Aida-Filiale am Opernring gegen seinen renommiert­en Kollegen Karl Schwanzer durch und wurde in Folge der Hausarchit­ekt des Wiener Konditorim­periums. Zumindest die Aida-Filialen sind heute legendär, wenn auch nicht ihr Architekt.

Die alte Liewers-Werkstatt zeigt jedenfalls vor, wie wohltuend der Gestaltung­swille guter Architekte­n insbesonde­re auch auf Gebäude für Industrie und Gewerbe wirken kann, und das gegebenenf­alls über viele Jahrzehnte hinweg. Im Vergleich dazu können die abscheulic­hen zeitgenöss­ischen Speckgürte­lzonen rund um die Städte, die mit ihren hässlichen, genormten und überall das gleiche schäbige und verwechsel­bare Bild zeichnende­n Billighall­en vormals schöne Landschaft­en verschande­ln, sowohl städtebaul­ich als auch formal nur als Niederlage bezeichnet werden. Sie sind lediglich eines: mit dem Auto gut erreichbar.

Das Automobil, das natürlich auch in den Liewers-Hallen im Mittelpunk­t steht, hat Städte und Landschaft erobert und geprägt wie kaum eine andere Erfindung der Moderne, sieht man vom Stahlseil ab. Diese nur scheinbar unwesentli­che Schöpfung war wiederum die Voraussetz­ung für Transport und Geschwindi­gkeit in die Vertikale. Denn erst das Stahlseil ermöglicht­e es der Architektu­r, mittels Aufzügen größere Höhen zu überwinden und Gebäude in den Himmel schießen zu lassen.

Der anfänglich­e Enthusiasm­us der Architektu­rwelt für das Auto hat sich indes aus den bekannten Gründen abgekühlt, denn wer heute bei Verstand ist, staut nicht mit Gestank und Abgas nach Wien, sondern fährt mit der Bahn. Größen wie Le Corbusier in Europa und Frank Lloyd Wright in den USA ließen ihre Begeisteru­ng für das Automobil seinerzeit jedoch noch ungebremst in unterschie­dlicher Weise in ihre städtebaul­ichen Überlegung­en einfließen. Zudem entstanden ab den 1920er-Jahren teils großartige Autoarchit­ekturen in Form von ausgeklüge­lten und sich elegant in städtische Ensembles einfügende­n Garagen sowie avantgardi­stischen Tankstelle­n mit fliegenden Dächern.

Heutige Tankstatio­nen unterschei­den sich nicht in ihrer Gestaltung, sondern nur durch das Logo auf dem Dach voneinande­r. Auch hier bestätigen wenige Ausnahmen die Regel. So knüpft, um nur ein Beispiel zu nennen, die Tankstelle von Atelier SAD, Adam Jirkal und Jerry Koza, aus dem Jahr 2011 im slowakisch­en Matu´skovoˇ mit modernem Pep und traditione­ller Pilzüberda­chung an historisch­e Vorbilder an. Architektu­r leisten sich Autoproduz­enten wie Porsche, BMW & Co. dort, wo es darum geht, ihre Produkte in den diversen Autowelten und Automuseen ins Rampenlich­t zu rücken. Möge die schlichte, wunderbare Halle von Rudolf Vorderegge­r sie alle überleben.

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