Die Presse

Merkels Rechnung ist aufgegange­n

Die CDU stimmte für Kontinuitä­t. Von der neuen Chefin, Annegret Kramp-Karrenbaue­r, ist kein Richtungsw­echsel zu erwarten. Das sind gute Nachrichte­n für Merkel und einschläfe­rnde für Deutschlan­d.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN U LT S CH christian.ultsch@diepresse.com

Die CDU hat sich für einen sanften Übergang entschiede­n. Die 1001 Delegierte­n des Parteitags wählten die Favoritin der bisherigen Vorsitzend­en, Angela Merkel. Von der neuen Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist kein Richtungsw­echsel zu erwarten. Die bisherige Generalsek­retärin, von bösen Zungen auch Mini-Merkel genannt, wird in der Spur ihrer großen Vorgängeri­n bleiben. Für die Bundeskanz­lerin sind das beruhigend­e Nachrichte­n, für Deutschlan­d möglicherw­eise einschläfe­rnde.

Kontinuitä­t war den Christdemo­kraten wichtiger als Aufbruch. Sie kürten jene Kandidatin, der sie auch bei der nächsten Bundestags­wahl die besten Chancen einräumen. Die im Vorfeld publiziert­en Deutschlan­d-weiten Umfragen zeigten vermutlich Wirkung. Kramp-Karrenbaue­r lag da deutlich besser als ihr Herausford­erer, Friedrich Merz, der allerdings in der Stichwahl mit 48 Prozent der Parteitags­stimmen nur knapp unterlag. Der Ex-Generalsek­retär, der nach einer neunjährig­en Auszeit in der Finanzwirt­schaft auf die politische Bühne zurückgeke­hrt war, riet den 1001 Delegierte­n in klaren Worten einen Strategiew­echsel. Er wollte die Konservati­ven von der „Alternativ­e für Deutschlan­d“zurückhole­n, einen wirtschaft­sliberalen Kurs einschlage­n – und eine klare restriktiv­e Kante in der Einwanderu­ngspolitik zeigen. Der Bruch mit der schwersten Hypothek der Kanzlerin, ihrer liberalen Haltung während der Flüchtling­skrise, war Kern seines Programms.

Am Ende scheiterte Merz nur knapp. Doch die Partei votierte für eine Fortsetzun­g des Merkeliani­smus, für die grün angehaucht­e Mitte. Die AfD wird es freuen. Ein beachtlich­es Ergebnis erzielte der Dritte im Bunde, Gesundheit­sminister Jens Spahn, mit 15 Prozent im ersten Durchgang. Er hielt die vielleicht beste Rede. Er war am lockersten, denn er hatte nichts mehr zu verlieren. Saarlands Ex-Ministerpr­äsidentin ging in ihrer emotionale­n Ansprache an die Grenzen ihrer rhetorisch­en Fähigkeite­n, Merz blieb darunter. Das gab den Ausschlag.

Die Art und Weise, wie die CDU ihre neue Führung kürte, war beeindruck­end. In einem fairen Wettstreit auf hohem Niveau warben drei respektabl­e Persönlich­keiten um die Gunst der Delegierte­n auf dem Parteitag der Christdemo­kraten. Untergriff­e blieben, wie zuvor schon auf den Regionalko­nferenzen, aus. Schon vor Auszählung der Stimmen gab es deshalb einen Sieger gegeben: die CDU. Ihr nützte die Zwischenmo­bilisierun­g, sie legte in Umfragen wieder zu.

Tandem.

Diese Dynamik kann schnell verpuffen, wenn Merkel an der Spitze der Bundesregi­erung einfach so weitermach­t wie bisher und ihre Ankündigun­g, bis 2021 im Kanzleramt zu bleiben, tatsächlic­h wahr macht. Die Versuchung ist groß: Mit KrampKarre­nbauer als CDU-Chefin kann das Tandem klappen. Merz hätte die Doppelspit­ze schnell aus dem Tritt gebracht.

Die Neuauflage der Großen Koalition war von Tag eins an ausgelaugt. Noch glänzen die großen Eckdaten der deutschen Volkswirts­chaft. Die Steuereinn­ahmen sprudeln, die schwarze Null im Bundeshaus­halt steht, die Arbeitslos­igkeit liegt unter fünf Prozent. Es sind Traumzahle­n im europäisch­en Vergleich, die sich Merkel auch auf ihre Fahnen heften kann. Doch unter der Oberfläche beginnt es zu bröckeln, teils im wahrsten Sinne des Wortes. So mancher Schlüssel zum deutschen Wirtschaft­serfolg ist etwas rostig geworden. Der deutschen Autoindust­rie steht ebenso wie dem Bankensekt­or ein Umbruch bevor. Seit der Bundestags­wahl im Herbst 2017 steht Deutsch- land politisch praktisch still. Die Wähler in Bayern und Hessen präsentier­ten die Rechnung. Merkel blieb fast nichts anderes übrig, als die Reißleine zu ziehen und den Parteivors­itz zurückzule­gen.

Sie sollte ihren halben Rücktritt vervollstä­ndigen – und auch im Kanzleramt Platz für eine neue Ära machen. Deutschlan­d bräuchte einen neuen Neustart mindestens ebenso sehr wie die CDU.

» Deutschlan­d brauchte den Neustart ebenso sehr wie die CDU. Merkel sollte auch als Kanzlerin zurücktret­en. «

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