Nette Menschen sind wirtschaftlich nicht so erfolgreich, zeigen Studien.
Nette geben beim Verhandeln eher nach. Aber das erklärt nicht ihre Geldprobleme. Freundliche Menschen können mit Geld nicht umgehen, weil es sie nicht interessiert. Liebenswert zu sein, ist ökonomisch ein Unwert. Die Netten verdienen weniger und gehen mit
Im Nordosten Englands liegt die glanzlose Stadt Middlesbrough. Im lieblichen Hügelland des Südwestens erstreckt sich der Distrikt North Devon. Die beiden politischen Bezirke haben fast genau das gleiche Pro-Kopf-Einkommen. Dennoch ist die Rate der Privatkonkurse in North Devon doppelt so hoch wie in Middlesbrough. Dort in Devon sind die Menschen auch viel netter. Und beides hängt, so seltsam es klingen mag und so leid es uns tut, eindeutig zusammen.
Nette Menschen haben es schwer im Leben: Das ist kein Stoßseufzer eines selbst ernannten Altruisten, sondern eine wissenschaftliche Erkenntnis. Sie verdienen weniger, wie eine Reihe von Studien seit Mitte der Nullerjahre gezeigt hat. Sie haben eine schlechtere Bonitätseinstufung, wie man seit sechs Jahren weiß. Zu Recht, wie die US-Psychologin Sandra Matz und ihr britischer Kollege Joe Gladstone nun nachweisen: Wer ein angenehmes Wesen hat, kann schlechter mit Geld umgehen, spart weniger, hat höhere Schulden und gerät deutlich öfter in finanzielle Not. Vor allem kann das Forscherduo erstmals zeigen, warum die Netten ökonomisch schlecht abschneiden. Und das Ergebnis ist durchaus überraschend.
Zunächst aber: Was soll denn das? Ob jemand nett ist, scheint doch eine subjektive Einschätzung zu sein, ein unscharfer Alltagsbegriff, der in seriöser Wissenschaft nichts verloren hat. Aber da irren wir Laien uns: Für Psychologen ist „Agreeableness“ein Konzept, mit dem sie schon lang erfolgreich operieren. Wie empathisch, zartfühlend und bescheiden jemand ist, wie vertrauensvoll und kooperativ er anderen begegnet: Das lässt sich messen, nicht nur in engen Testsituationen, sondern bei richtiger Fragestellung auch in breit angelegten Umfragen. Und dann ist es im Prinzip ein Leichtes, diese „weichen“Daten mit harten Fakten zu Einkommen oder Zahlungsverzügen zu verknüpfen. In der Praxis lauern freilich viele Fal- len – weshalb die beiden Autoren gleich sieben Studien durchgeführt haben, um ihr Ergebnis abzusichern. So hätte natürlich das plakative Beispiel mit den beiden Bezirken für sich genommen keine Aussagekraft. Die höhere Insolvenzquote könnte ja auch mit vielen anderen Faktoren zusammenhängen, wie Unterschiede in der Altersstruktur, dem Bildungsgrad oder den typischen Berufen. Aber vergleicht man, wie in zwei der Studien, Hunderte Bezirke Großbritanniens und Tausende der USA, dann lässt sich der Fluch der Freundlichkeit sauber nachweisen.
Die anderen fünf Untersuchungen beruhen auf individuellen Befragungen, was mehr Rückschlüsse zulässt. Hier musste man sich nur bewusst sein, dass nette Menschen vielleicht auch ehrlichere Angaben zu ihrer finanziellen Situation machen. Deshalb verwendet eine Studie die eingeschränkten, aber dafür ganz objektiven Daten aus Konten und Kreditkartenabrechnungen.
Erst lieb, dann pleite.
Nur Experimente sind keine dabei, womit die Frage der Kausalität offen bleibt: Was ist die Ursache, was die Wirkung? Es könnte ja sein, dass die Leute zuerst in finanzielle Not geraten und dann umgänglicher werden, weil sie auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Dieser Unsicherheit begegnen die Forscher, indem sie auf eine Befragung aus den Achtzigerjahren zurückgreifen. Damals stellte man bei Teenagern fest, wie liebenswürdig sie sind. Und siehe da: Wer damals (schon) nett war, hat heute, als über Vierzigjähriger, eher finanzielle Probleme. Der Zusammenhang ist hier schwächer, weil Menschen sich oft auch ändern, bleibt aber signifikant. Damit wäre die Nettigkeit als Ursache immer noch nicht erwiesen, aber der Verdacht erhärtet sich stark.
Fragt sich nur: Warum tun sich die Netten in Gelddingen so schwer? Bisher war die gängige, aber nie empirisch getestete Erklärung: Sie können sich in Verhandlungen schlechter durchsetzen, geben zu schnell nach. Sie hauen nicht auf den Tisch, sondern lassen sich über denselben ziehen – ob es nun um ihr Gehalt oder die Konditionen eines Kredits geht. Und sie vertrauen oft anderen zu leichtfertig, weil sie selbst so vertrauenswürdig sind. Haben sie deshalb Geldsorgen? Diesen Zusammenhang konnten Matz und Gladstone, zu ihrer eigenen Überraschung, empirisch nicht nachweisen.
Stattdessen bestätigte sich die alternative Hypothese, die sie prüften: Menschen mit angenehmem Wesen messen materiellen Werten eine geringere Bedeutung zu. Sie können mit Geld nicht umgehen, weil es sie einfach nicht interessiert. Deshalb verzichten sie auf Chancen, ihr Kapital zu vermehren, und übersehen Risken, es zu verlieren. Sie geben zu viel Geld aus, sind großzügig, verschenken oder verleihen an Freunde oder Verwandte – bis sie mit leeren Taschen dastehen. Natürlich häufiger dann, wenn sie von vornherein wenig haben. Nette Menschen mit höherem Einkommen machen ökonomisch gesehen die gleichen Fehler, aber bei ihnen fallen sie weniger auf. Sie können sich den nonchalanten Umgang mit Geld leisten.
Wobei ihr Einkommen der Tendenz nach eher aus ererbtem Kapital als aus Arbeit kommt. Denn, wie eingangs erwähnt: Dass die Freundlichen bei Verdienst und Karriere schlechter abschneiden, wurde mehrfach nachgewiesen. Besonders erhellend ist die jüngste der einschlägigen Studien (von 2012), weil sie nach Geschlecht differenziert. Es zeigt sich: Bei Männern rächt sich Nettigkeit weit stärker als bei Frauen. Hier scheint ein neuer Faktor dazuzukommen: Weichherzige Frauen erfüllen ihr traditionelles Rollenbild. Von Männern aber erwartet man, dass sie bei Unstimmigkeiten ihrer Meinung zum Sieg verhelfen. Wer konziliant ist, gilt als Abweichler, den man leise verachtet und nicht nach oben kommen lässt. Im Vergleich erwies sich: Frau zu sein ist nicht selten ein Hindernis für den beruflichen Aufstieg. Freundlich zu sein ist aber ein echter Karrierekiller. Es wäre also höchste Zeit, dass die Gütigen dieser Welt endlich auf die Barrikaden steigen. Aber auch dafür sind sie wohl einfach zu nett.