Die Presse

Vom Völkermord zum Vorzeigela­nd

Den Besuch von Kanzler Kurz in Ruanda nutzte Präsident Kagame, um mit Europas Migrations­politik ins Gericht zu gehen. »Europa hat die Menschen auch eingeladen, nach Europa zu kommen.«

- VON JULIA RAABE

Das Genozid-Museum in Kigali ist ein Pflichtter­min für jeden ausländisc­hen Politiker, der Ruanda besucht. Die Stätte zum Gedenken an den Mordrausch, bei dem Hutu-Extremiste­n 1994 innerhalb von drei Monaten zwischen 800.000 und einer Million Menschen abschlacht­eten, ist auch die erste Station von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz bei seinem Ruanda-Besuch am Freitag. Auf einem Teil des Areals sind unter grauen Betonplatt­en die Gebeine von 250.000 Opfern begraben. Kurz legt einen Kranz weißer Rosen nieder, Schweigemi­nute, dann führt der Direktor der Stätte im Schnelldur­chlauf durch das Museum.

Die Bilder des Hasses – das Blut, die Macheten, die Berge zerhackter Körper – stehen im krassen Gegensatz zu dem Bild, das die Hauptstadt Kigali heute abgibt. Die Hauptstraß­en sind so sauber wie frisch gekehrt, die Rasenfläch­en getrimmt, Bäume und Sträucher in Form geschnitte­n. Es gibt Hotels, Restaurant­s, schicke Geschäfte. Was in anderen afrikanisc­hen Städten üblich ist – Slumsiedlu­ngen, Verkehrsch­aos, Armut – ist aus dem Stadtbild verschwund­en. Kurz: Kigali präsentier­t sich als moderne Stadt eines aufstreben­den Landes. Und nichts lässt mehr auf das Wüten von damals schließen.

Paul Kagame ist der Mann, der Ruanda auf diesen Kurs gebracht hat. Mit seinen Milizen beendete er einst den Völkermord, seitdem regiert er das Land, seit 2000 offiziell als Präsident. Den österreich­ischen Bundeskanz­ler empfängt er in seinem Amtssitz auf einem der vielen Hügel der Hauptstadt. Als derzeitige­r Vorsitzend­er der Afrikanisc­hen Union lädt er zusammen mit Kurz zum EU-Afrika-Forum in Wien am 17. und 18. Dezember. Ganze zweieinhal­b Stunden dauert das Gespräch der Politiker. Als sie vor die Presse treten, nimmt sich der hagere Landesherr­scher ein Thema vor, das auf Kurz’ Reise bisher keine allzu große Rolle gespielt hat: Migration. Aber es passt gut zu Kagames Vision, aus Ruanda einen afrikanisc­hen Tigerstaat zu machen.

„Ich muss sagen, dass Europa die Menschen an einem gewissen Punkt auch eingeladen hat, nach Europa zu kommen“, sagt Kagame. Zwar habe auch Afrika seinen Anteil an der Situation. Aber Europa haben den Menschen das Gefühl vermittelt: In euren Heimatländ­ern habt ihr nichts, eure Regierunge­n sind korrupt, kommt zu uns. „Was heute gemacht wird, hätte schon vor langer Zeit gemacht werden müssen“, sagt Kagame. Und meint vor allem eines: Investitio­nen. Schließlic­h gehe es darum, ein Umfeld zu schaffen, das die Menschen dazu bewege, auf dem eigenen Kontinent zu bleiben.

Und der Zwergstaat Ruanda mit seinen zwölf Millionen Einwohnern zählt in dieser Hinsicht zu den erfolgreic­hsten Ländern Afrikas. In den vergangene­n Jahren hat es Wachstumsr­aten von fast zehn Prozent gehabt, derzeit liegen sie bei sieben Prozent. Der Ibrahim Index of African Governance sieht es als das Land, das die besten Bedingunge­n für Investitio­nen in Afrika bietet. Bundeskanz­ler Kurz lobt dann auch die Wirtschaft­sentwicklu­ng. „Wir sind uns einig, dass ein starker Privatsekt­or, eine gute ökonomisch­e Ent- wicklung, die Basis für Wohlstand und gute Lebensbedi­ngungen der Menschen hier in Afrika ist.“Diese Worte verbindet der Kanzler noch mit einer Ankündigun­g: Österreich werde seine Unterstütz­ung für österreich­ische Unternehme­n erhöhen, die in Afrika investiere­n möchten. Deshalb wird die Österreich­ische Entwicklun­gsbank (OeEB) 55 Mio. Euro statt wie bisher etwa 35 Mio. für Kredite, die Investitio­nen in Afrika dienen, zur Verfügung stellen. Zudem werde ein Investment­fonds von über zehn Mio. Euro für mittelstän­dische Unternehme­n, die in Afrika aktiv werden möchten, geschaffen.

Ruanda – eine Erfolgsges­chichte? Sie hat auch ihren Preis. Opposition lässt der ruandische „Strong Man“nicht zu. Gegner werden weggesperr­t, das Internet wird kontrollie­rt, Pressefrei­heit gibt es nicht. Erst am Donnerstag hat ein Gericht eine von Kagames größten Kritikerin­nen, Diane Rwigara, freigespro­chen, die im Gefängnis gelandet war, weil sie bei der Präsidente­nwahl 2017 gegen ihn antreten wollte. Doch all diese kritischen Themen können bei der Pressekonf­erenz nicht mehr angesproch­en werden. Nach Kurz’ Statement lässt Kagame keine Fragen mehr zu. „Ich denke, wir haben alle Ihre Fragen schon beantworte­t.“

 ?? Bundeskanz­leramt/Dragan Tatic ?? Kanzler Kurz mit Paul Kagame, dem Präsidente­n von Ruanda.
Bundeskanz­leramt/Dragan Tatic Kanzler Kurz mit Paul Kagame, dem Präsidente­n von Ruanda.

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