EuGH öffnet London Tor zum Verbleib in der EU
Großbritannien. Das Parlament könnte auch über einen Verbleib in der EU entscheiden. Laut EU-Gericht kann der Austrittsantrag bis Ende März zurückgezogen werden.
Luxemburg/Wien. In einer Eil-Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Abgeordneten des britischen Unterhauses eine weitere Möglichkeit geschaffen, über den Austritt aus der EU zu entscheiden. Neben einem Ja oder einem Nein zum 600 Seiten zählenden Austrittsvertrag wäre auch ein gesamter Rückzug des Austrittsantrags möglich. Die Entscheidung, die auf eine Anfrage des obersten schottischen Zivilgerichts zurückgeht, brachte am Montag die britische Regierung unter Druck. Denn im Unterhaus gibt es eine knappe Mehrheit von Abgeordneten, die lieber in der EU verbleiben würden, als einen mehr oder weniger guten Austritt akzeptieren zu müssen.
Theoretisch könnte eine Mehrheit der britischen Abgeordneten die Regierung ohne neues Referendum dazu zwingen, den Austrittsantrag nach Artikel 50 des Unionsvertrags wieder zurückzuziehen. Denn die Abstimmung zur EU-Mitgliedschaft im Juni 2016 war nicht bindend. Allerdings wäre das Übergehen des Volkes politisch schwer zu rechtfertigen.
Laut der EuGH-Entscheidung kann Großbritannien einseitig entsprechend der dafür vorgesehenen verfassungsrechtlichen Prozedur den am 29. März 2017 übermittelten Antrag wieder ohne Konsequenzen zurückziehen. Andere EU-Mitgliedstaaten könnten dies nicht aufhalten. Allerdings wäre das nur innerhalb der im EU-Vertrag für den Austritt vorgesehenen zweijährigen Frist bis 29. März 2019 möglich. Sollte eine britische Regierung da- nach beschließen, in die EU zurückzukehren, müsste sie einen neuerlichen Beitrittsantrag stellen.
Die obersten EU-Richter begründeten ihre Entscheidung unter anderem mit dem Grundgedanken der Union, die europäische Integration – also den Zusammenhalt der europäischen Staaten – zu stärken. Laut Aussendung der Richter wäre es „inkonsequent im Sinne der EU-Verträge, die eine immer enger werdende Gemeinschaft der Europäer vorsehen“, sollte ein Mitgliedsland in irgendeiner Weise davon abgehalten werden, entsprechend seiner demokratischen Regeln den Austrittsantrag wieder zurückzuziehen.
Schwieriger Weg zurück
Neben den zu erwartenden innenpolitischen Turbulenzen wäre auch das Prozedere eines Rückzugs schwierig. So müsste das Unterhaus zuerst die Regierung per Beschluss aufrufen, das Austrittsgesuch zurückzuziehen. Danach müsste es den eigenen Beschluss rückgängig machen, wonach die Gültigkeit des EU-Rechts mit 30. März 2019 endet. Für all dies bräuchte es eine ausreichende Mehrheit.
Das aus politischen Gründen unausweichliche Referendum würde zudem nicht mit Sicherheit für einen Verbleib in der EU ausgehen. Derzeit sind laut mehreren Umfragen zwar rund 52 Prozent der Briten für einen Exit vom Brexit. Ähnliche Prognosen gab es aber bereits vor der Abstimmung am 23. Juni 2016. Damals entschieden sich letztlich 51,9 Prozent der Wähler für einen Austritt aus der Gemeinschaft.