Otto Brusattis missmutiger Gang durchs Museum
Das Haus der Geschichte kann allenfalls reflektieren, nicht andere Museen übertreffen.
Das Ungemach beginnt schon beim Ablegen des Mantels, dann führt der Weg durch „etwas leere Hallen“, „links ein leicht stinkendes Cafe“,´ in eine „Flut aus [. . .] Plakaten, Kopien, Dokufilmen und Belehrungen“. Was so beginnt, wird nicht gut enden. Daher am Ende von Brusattis Text ein großes Missverständnis: „,Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918‘. Liebe Leute, wir brechen 2018 doch nicht ins Ungewisse auf, das ist sentimentales Science-Fiction-Geplappere.“
Mag sein, aber mit dem Titel „Aufbruch ins Ungewisse“ist auch nicht 2018 gemeint, sondern 1918, als die eben gegründete Republik nicht wusste, wo ihre künftigen Grenzen liegen, wer dazu gehört und wer nicht, und ob dieser Staat überhaupt lebensfähig sein wird, weswegen eine Mehrheit den neuen Staat gleich wieder abschaffen wollte und für einen Anschluss an Deutschland plädiert hat.
1918 war tatsächlich ein „Aufbruch ins Ungewisse“– aber: Es war ein Aufbruch, sogar ein höchst spannender. Und dieser wird im ersten Saal der Ausstellung dokumentiert mit „Plakaten, Kopien, Dokumentarfilmen und Belehrungen“. Was Brusatti als „Belehrungen“bezeichnet, sind knapp formulierte informierende Schrifttafeln, wie sie in historischen Ausstellungen üblich sind.
Unfair wird Brusattis Kritik jedoch, wenn es ihn „fast zum Heulen bringt“, dass ein Bild von Sigmund Freud fehlt, er aber unerwähnt lässt, dass Freuds Kalender mit Eintragungen aus dem November 1918 zu sehen ist, den die Library of Congress in Washington dem Haus der Geschichte Österreichs (HdGÖ) für diese Ausstellung geborgt hat. Am 12. November notierte Freud: „Republik u. Anschluss an Deutschland – Panik mitgemacht“, was die Vermutung zulässt, dass Freud bei der Ausrufung der Republik dabei gewesen war. Es ist auch kein Bild von Schiele in der Ausstellung, aber ein Brief von ihm an die Mutter, in dem er dieser am 27. Oktober 1918 über den Zustand seiner schwerkranken Frau berichtet: „Ich bereite mich bereits auf das Schlimmste vor.“Edith stirbt am Tag darauf an der Spanischen Grippe, Egon Schiele drei Tage später.
Dieser Brief an die Mutter, unmittelbar vor der Tragödie, ist ein Dokument und gehört in eine solche Ausstellung. Das führt zur Frage, was ein Nationalmuseum – und darum handelt es sich ansatzweise beim HdGÖ – zeigen soll, wenn es ausreichend Platz hat und nicht diese lächerlichen 750 m2, wo vieles zu kurz kommt. Und wenn es daher auch nicht mit 1848 oder 1918 beginnt, sondern weiter zurückgreift. Soll und kann es mit den Kunstmuseen des Landes in Konkurrenz treten?
Das wird es nicht leisten können, selbst wenn es das 50-fache Budget hätte. Es wird reflektieren müssen, was das Land in Kunst, Wissenschaft, Ökonomie, in allen relevanten Feldern bis zum Sport zu leisten vermag, wo es versagt, und welche Folgen das hat. Aber es wird nicht die Aufgaben vorhandener Museen zusätzlich übernehmen können. Das zu fordern, ist unvernünftig.
Brusatti weist auf die Zettelwand am Ende des Raums hin und fragt, „ob man da Postings selbst hinpicken darf oder ob das eine Art von Installation darstellt“. Beides. Hunderte Besucher haben ihre Zettel hingepickt, und daraus ist eine Art von Installation entstanden. Sie haben die gestellte Frage beantwortet: „Wofür lohnt es sich zu kämpfen?“Toleranz, Gerechtigkeit, Frieden werden häufig genannt, aber auch: „Gegen Dummheit.“Und: „Ein größeres HdGÖ!“Passt alles.