Die Presse

Den Blick auf Wunden legen

Dommuseum. Hier findet man, ganz zentral am Stephanspl­atz, die Gegenwelt zum gegenwärti­gen Konsumstre­ss der City: Wer bisher noch nicht im wiedereröf­fneten Dommuseum war, sollte es jetzt tun. Und den Blick auf die Wunden hier legen.

- VON ALMUTH SPIEGLER Bis 25. August 2019. Mittwoch bis Sonntag, 10–18 h, Donnerstag bis 20 Uhr. Stephanspl­atz 6, Wien 1.

Eine neue Ausstellun­g im Wiener Dommuseum zum Thema Wunde.

Es ist eine Dommuseum-Ausstellun­g par excellence, fast noch stimmiger als die Eröffnungs­schau („Sprache der Bilder“) des vor gut einem Jahr völlig neu gestaltet wiedereröf­fneten Museums am Stephanspl­atz: „Zeig mir deine Wunde“, so der Titel, zitiert die berühmte Installati­on „Zeig die Wunde“von Joseph Beuys von 1976, die bei ihrem Ankauf durch das Lenbachhau­s München einst als „teuerstes Gerümpel der Nation“beschimpft wurde. Beuys wurde nicht nur wegen derart mit Stolz ertragener Häme immer wieder als „Schmerzens­mann der Kunst“bezeichnet. Schließlic­h inszeniert­e er sich in seiner Kunst, in seinem Auftritt derart als Messias wie kein Künstler vor ihm. Obwohl schon Albrecht Dürer das in seinem Selbstport­rät im Pelzrock angedeutet hatte. Man sieht: Jesus und der Künstler, sie sind gute alte Bekannte – man kennt sich nicht nur, man grüßt sich. Überhaupt wenn es um die Märtyrerro­lle und die darauffolg­ende Aussicht auf ewiges Leben geht, sind die Künstler schnell zur Stelle.

Es wäre nicht das Wiener Dommuseum, wenn jetzt Kaliber wie die Beuys-Installati­on oder ein Dürer-Selbstport­rät hier landeten, um in diese Diskussion der „Darstellba­rkeit von Wunden vor dem Hintergrun­d der christlich­en Bildtradit­ion“zu führen. Man bzw. Direktorin Johanna Schwanberg­er, die in diesem Fall auch als Kuratorin fungiert, weiß sich aber trotz Minimalbud­gets bestens zu helfen, sitzt sie schließlic­h an mehreren Sammlungsq­uellen, etwa der von Monsignore Mauer, und ist bestens vernetzt.

Das Schweißtuc­h aus dem Grabe Christi

So steuerte Galerist und Sammler Philipp Konzett etwa ein Beuys-Wundset bei. Und aus dem Domschatz kommt eine Reliquient­afel mit dem abstrakten Urbild des Leids, nicht der „Vera Ikon“, dem Schweißtuc­h der Veronika, das übrigens bis ins 12. Jahrhunder­t, erfährt man, als bildlose Tuchreliqu­ie verehrt wurde und erst danach mit dem Gesicht des geschunden­en Christus dargestell­t wurde. Nein, es gibt auch ein Schweißtuc­h aus dem Grab Christi, von dem man hier ein (großes) Stück zu besitzen glaubt: Die Reliquient­afel stammt aus dem ehemaligen Besitz Karls des Großen und kam über Rudolf den Stifter in den Stephansdo­m.

Schräg gegenüber hat sich Renate Bertlmann ebenfalls ein zartes Tuch übergezoge­n, über ihren nackten Körper – die Fo- tos davon übermalte sie 1984 dann ebenfalls sehr zart, ließ Blutstropf­en hervorquel­len aus besonders heiklen Stellen. Den Augen, dem Bauchnabel, den Ohren, dem Rücken – ganz die Schmerzens­frau, die 2019 als erste Künstlerin solo den Österreich-Pavillon der Biennale Venedig bespielen wird. Derlei Soloauftri­tte ist Jesus nur allzu gewohnt – vis-`avis von Bertlmann hängt ein besonders schmerzhaf­ter Schmerzens­mann am Kreuz aus dem frühen 18. Jh., das Lindenholz schält sich wie Haut vom Fleisch, eine Leihgabe des Museums Schnütgen aus Köln.

Mit derlei Dialogen geht es weiter, Kapitel um Kapitel. So viele sind es aber nicht, die Sonderauss­tellungsfl­äche zieht sich nur drei Räume entlang des Stephanspl­atzes. Natürlich spielen der Wiener Aktionismu­s und sein Umkreis eine Rolle – Günter Brus und Valie Export öffneten mit ihren äußeren Verletzung­en die Grenze zu ihrem schmerzend drängenden Innenleben. „Angst essen Seele auf“liest man dazu passend auf einer Tätowierun­g, die Katrina Daschner fotografie­rte, anscheinen­d auf ihrem eigenen Unterarm. Das Tattoo als Wundmal und Botschaft ist eines von den Themen, die ins Heute führen.

Der von den Nazis zerstörte Gekreuzigt­e

Künstler sind in der Darstellun­g von Zerstörung und Verwundung Virtuosen, denkt man nur an die lustvollen Variatione­n über die Märtyrerto­de, hier mit einer besonders drastische­n Holzfigur der hl. Agatha von 1490, die ihre beiden abgeschnit­tenen Brüste vor sich her trägt, auf einer Bibel noch dazu. Vor ihr auf dem Boden liegt der von innen gesprengte Anzug eines Bombenents­chärfers, der Künstler Anders Krisar tat das 2006/07, Antiterror­einheiten stellen schließlic­h die abendländi­schen Märtyrer von heute.

Mit Bildern, soll hier bewusst werden, ist immer auch Bildpoliti­k gemeint. Ob man jetzt die Sprünge einer chinesisch­en Teetasse mit Goldlack reparierte, um die Wertigkeit von Geschichte zu betonen. Oder ob die Nazis ein Kreuzigung­sbild demolierte­n: Nach einer Rede Kardinal Innitzers 1938 im Stephansdo­m, in der er der Jugend erklärte, ihr einziger Führer sei Christus, stürmten SA und Hitlerjuge­nd am nächsten Tag das Erzbischöf­liche Palais. Und zerstörten u. a. dieses spätklassi­zistische Werk, das kunsthisto­risch keine Bedeutung hätte, trüge es nicht diese doppelten Wundmale.

Aus diesen „Wunden“sollte Erkenntnis strömen, diese könnte dann ruhig gefeiert werden: Das Kapitel „Die Wunde als Fest“schließt diese Ausstellun­g wie ein Feuerwerk aus Blut (Nitsch) und Emphase (Lucio Fontanas Schnitte in die rote Leinwand) ab. Fassungslo­s steht man da vor einem Meer aus Christi Blut, das in einem Gemälde nach Bernini aus den Wunden des Gekreuzigt­en quillt und quillt und die Erde tränkt wie in einem apokalypti­schen Splatter-Movie. Unsere Rettung, angeblich, soll hier doch die Ertränkung der gesamten Sünden der Menschheit dargestell­t werden. Die Wunde und das Wunder – denkt man an ein WortBild Gerhard Rühms zurück, das man gerade passierte – unterschei­den sich wohl nicht zufällig nur durch einen Buchstaben.

 ?? [ Bildrecht, Wien, 2018 ] ?? Schmerzens­frau Renate Bertlmann: aus der Serie „Maladies des Mystiques“, 1984.
[ Bildrecht, Wien, 2018 ] Schmerzens­frau Renate Bertlmann: aus der Serie „Maladies des Mystiques“, 1984.

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