Ein Land, zwei Welten – und das ohne Alternative
Österreich ein Jahr nach der Angelobung von Türkis-Blau: Nicht so schlimm, wie die Opposition findet, nicht so gut, wie die Regierung glaubt.
W enn man der Opposition glauben darf, dann wurde dieses Land über Nacht türkis-blau, und seither ist alles furchtbar. Der Unterschied zu vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist wahrscheinlich, dass die Opposition das dieses Mal wirklich zu glauben scheint. Früher, unter Oppositionsführer Alfred Gusenbauer etwa, war auch viel von der „sozialen Kälte“die Rede. Aber man hatte nie wirklich den Eindruck, dass Gusenbauer das auch tatsächlich glaubt.
Die SPÖ von heute hat immer noch nicht ganz verwunden, von einem 31-jährigen Studienabbrecher aus dem Kanzleramt bugsiert worden zu sein. Die Neos scheinen ehrlich erschüttert über den Rechtsruck der ÖVP (der ihnen allerdings nützt). Die Liste Pilz hingegen war im ersten Jahr mehr mit sich selbst beschäftigt.
Jene in der SPÖ, die abseits der Empörung noch in der Lage sind, einen klaren Gedanken zu fassen, werden allerdings zum Schluss kommen, dass das möglicherweise weniger mit der Person Sebastian Kurz zu tun hatte als vielmehr mit dem Thema Migration, dessen sich die SPÖ nicht wirklich oder nur halbherzig annehmen wollte.
Dieses Thema war das zentrale Wahlmotiv. Deswegen sitzen ÖVP und FPÖ nun in einer Regierung. Und daran werden sie vom Wähler – Sozialversicherungsreform hin, Plastiksackerlverbot her – vorrangig auch gemessen werden.
Und im Jahr eins nach der Angelobung am 18. Dezember 2017 hielt die Regierung hier auch Kurs. Abschiebungen beispielsweise werden nun konsequenter durchgeführt – auch wenn es den Unmut der Opposition oder von Teilen der alten „schwarzen“ÖVP weckt. Die türkise ÖVP folgt hier der Linie des FPÖ-Innenministers. Auch die Reduzierung der Mindestsicherung ist in diesem Lichte zu sehen: Menschen sollten abgehalten werden, nach Österreich zu kommen.
Einen kleinen Paradigmenwechsel, der auch mit dem Thema Migration zusammenhängt, gab es im Schulbereich: Deutschförderklassen wurden eingerichtet, ein Vorhaben, das die ÖVP mit der SPÖ nie durchbrachte. Und Schulnoten in der Volksschule wiedereingeführt. Das hätten sich etliche in der ÖVP früher wohl auch gewünscht, aber nicht zu sagen getraut. Die FPÖ macht es nun möglich. Es ist auf jeden Fall einen Versuch wert. Viel schlechter, als es bisher gewesen ist, kann es nicht mehr werden.
Die Regierung wird sich in Sachen Integration allerdings auch etwas einfallen lassen müssen: Damit die von den Kritikern so genannten „Ghettoklassen“nicht tatsächlich solche werden oder bleiben. Die Regierung setzt auf Abschreckung, auf die harte Hand. Sie wird diese aber auch wieder einmal reichen müssen, um nicht den Kontakt zu einem Teil dieser Gesellschaft zu verlieren.
Was dieser Regierung aus Liberalkonservativen und Nationalkonservativen gelungen ist, ist, ein (Wahl-)Bündnis aus Arbeitern und Unternehmern, aus Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu zimmern. Die Aufrechterhaltung dieser Anziehungskraft ist der Schlüssel zum Erfolg bei künftigen Wahlen.
Die SPÖ, die bisher glaubte, den Alleinvertretungsanspruch auf die Arbeitnehmer zu haben, wird da freilich einen Keil hineinzutreiben versuchen. Mit der Kritik an der Fusion der Sozialversicherungen wird das eher nicht gelingen. Ob es mit jener am Zwölf-Stunden-Tag gelingt, ist auch fraglich: Dieser Beschluss war zwar riskant für Türkis-Blau, möglicherweise sehen aber auch viele Arbeitnehmer ein, dass an der Arbeitszeitflexibilisierung kein Weg vorbeiführt. Und jene, die Kinder haben, bekommen ja auch etwas von der Regierung: deutlich mehr Kindergeld. Wohl das größte sozialpolitische Asset der Regierung. Man merkt der SPÖ an: Eigentlich hätte sie das auch ganz gern gemacht. E ine echte „neoliberale“Reformregierung ist das nicht. Änderungen finden eher sachte statt. Kurz versucht, die Wähler mitzunehmen. Anders als Wolfgang Schüssel damals. Und wie man an Emmanuel Macron heute sieht, muss das auch kein Fehler sein.
Trotz BVT-Affäre, trotz diverser freiheitlicher Krawallmacher oder Gedankenlosigkeiten: Eine echte Alternative zu dieser Regierung gibt es derzeit nicht.