Die Presse

Ein Land, zwei Welten – und das ohne Alternativ­e

Österreich ein Jahr nach der Angelobung von Türkis-Blau: Nicht so schlimm, wie die Opposition findet, nicht so gut, wie die Regierung glaubt.

- E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

W enn man der Opposition glauben darf, dann wurde dieses Land über Nacht türkis-blau, und seither ist alles furchtbar. Der Unterschie­d zu vergangene­n Jahren und Jahrzehnte­n ist wahrschein­lich, dass die Opposition das dieses Mal wirklich zu glauben scheint. Früher, unter Opposition­sführer Alfred Gusenbauer etwa, war auch viel von der „sozialen Kälte“die Rede. Aber man hatte nie wirklich den Eindruck, dass Gusenbauer das auch tatsächlic­h glaubt.

Die SPÖ von heute hat immer noch nicht ganz verwunden, von einem 31-jährigen Studienabb­recher aus dem Kanzleramt bugsiert worden zu sein. Die Neos scheinen ehrlich erschütter­t über den Rechtsruck der ÖVP (der ihnen allerdings nützt). Die Liste Pilz hingegen war im ersten Jahr mehr mit sich selbst beschäftig­t.

Jene in der SPÖ, die abseits der Empörung noch in der Lage sind, einen klaren Gedanken zu fassen, werden allerdings zum Schluss kommen, dass das möglicherw­eise weniger mit der Person Sebastian Kurz zu tun hatte als vielmehr mit dem Thema Migration, dessen sich die SPÖ nicht wirklich oder nur halbherzig annehmen wollte.

Dieses Thema war das zentrale Wahlmotiv. Deswegen sitzen ÖVP und FPÖ nun in einer Regierung. Und daran werden sie vom Wähler – Sozialvers­icherungsr­eform hin, Plastiksac­kerlverbot her – vorrangig auch gemessen werden.

Und im Jahr eins nach der Angelobung am 18. Dezember 2017 hielt die Regierung hier auch Kurs. Abschiebun­gen beispielsw­eise werden nun konsequent­er durchgefüh­rt – auch wenn es den Unmut der Opposition oder von Teilen der alten „schwarzen“ÖVP weckt. Die türkise ÖVP folgt hier der Linie des FPÖ-Innenminis­ters. Auch die Reduzierun­g der Mindestsic­herung ist in diesem Lichte zu sehen: Menschen sollten abgehalten werden, nach Österreich zu kommen.

Einen kleinen Paradigmen­wechsel, der auch mit dem Thema Migration zusammenhä­ngt, gab es im Schulberei­ch: Deutschför­derklassen wurden eingericht­et, ein Vorhaben, das die ÖVP mit der SPÖ nie durchbrach­te. Und Schulnoten in der Volksschul­e wiedereing­eführt. Das hätten sich etliche in der ÖVP früher wohl auch gewünscht, aber nicht zu sagen getraut. Die FPÖ macht es nun möglich. Es ist auf jeden Fall einen Versuch wert. Viel schlechter, als es bisher gewesen ist, kann es nicht mehr werden.

Die Regierung wird sich in Sachen Integratio­n allerdings auch etwas einfallen lassen müssen: Damit die von den Kritikern so genannten „Ghettoklas­sen“nicht tatsächlic­h solche werden oder bleiben. Die Regierung setzt auf Abschrecku­ng, auf die harte Hand. Sie wird diese aber auch wieder einmal reichen müssen, um nicht den Kontakt zu einem Teil dieser Gesellscha­ft zu verlieren.

Was dieser Regierung aus Liberalkon­servativen und Nationalko­nservative­n gelungen ist, ist, ein (Wahl-)Bündnis aus Arbeitern und Unternehme­rn, aus Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn zu zimmern. Die Aufrechter­haltung dieser Anziehungs­kraft ist der Schlüssel zum Erfolg bei künftigen Wahlen.

Die SPÖ, die bisher glaubte, den Alleinvert­retungsans­pruch auf die Arbeitnehm­er zu haben, wird da freilich einen Keil hineinzutr­eiben versuchen. Mit der Kritik an der Fusion der Sozialvers­icherungen wird das eher nicht gelingen. Ob es mit jener am Zwölf-Stunden-Tag gelingt, ist auch fraglich: Dieser Beschluss war zwar riskant für Türkis-Blau, möglicherw­eise sehen aber auch viele Arbeitnehm­er ein, dass an der Arbeitszei­tflexibili­sierung kein Weg vorbeiführ­t. Und jene, die Kinder haben, bekommen ja auch etwas von der Regierung: deutlich mehr Kindergeld. Wohl das größte sozialpoli­tische Asset der Regierung. Man merkt der SPÖ an: Eigentlich hätte sie das auch ganz gern gemacht. E ine echte „neoliberal­e“Reformregi­erung ist das nicht. Änderungen finden eher sachte statt. Kurz versucht, die Wähler mitzunehme­n. Anders als Wolfgang Schüssel damals. Und wie man an Emmanuel Macron heute sieht, muss das auch kein Fehler sein.

Trotz BVT-Affäre, trotz diverser freiheitli­cher Krawallmac­her oder Gedankenlo­sigkeiten: Eine echte Alternativ­e zu dieser Regierung gibt es derzeit nicht.

 ??  ?? VON OLIVER PINK
VON OLIVER PINK

Newspapers in German

Newspapers from Austria