Die Presse

„Legen Sie Teevorräte an“

Europäisch­er Rat. Die Gefahr eines Brexit ohne Nachfolgel­ösung steigt angesichts des politische­n Chaos in London. Für den NoDeal ist man nur bedingt vorbereite­t.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Litauens Präsidenti­n, Dalia Grybauskai­te,˙ erheitert seit geraumer Zeit während europäisch­er Gipfeltref­fen Diplomaten und Journalist­en mit ironischen Twittermel­dungen, welche die oft unlösbar scheinende­n Konflikte auf dem Verhandlun­gstisch trocken benennen. „Brexit-Weihnachts­wunsch: Entscheide dich endlich, was du wirklich willst, und Santa wird es bringen“, notierte die Sibylle aus Vilnius am Donnerstag vor Beginn des Brexit-Gipfels, und damit hatte sie die Gemütslage der 27 EU-Spitzen gegenüber der britischen Premiermin­isterin, Theresa May, auf den Punkt gebracht.

Seitens der Union gibt es in Sachen Brexit nichts nachzuverh­andeln. Man hat sich im November nach langen Mühen und Verrenkung­en mit Mays Verhandler­n auf ein Abkommen über den Austritt des Vereinten Königreich­s sowie eine (rechtlich unverbindl­iche) politische Erklärung zur Zukunft der Beziehunge­n zwischen London und Brüssel geeinigt. Für May ist das allerdings nicht genug, um im Parlament der nötigen Mehrheit für das Austrittsa­bkommen gewiss zu sein. Die 27 mögen ihr beim Gipfel eine rechtlich belastbare Zusicherun­g gewähren, dass einige für die Brexit-Anhänger im Parlament besonders schwer verdaulich­e Folgen des Brexit nicht eintreten werden – allen voran der Verbleib des britischen Nordirland im Binnenmark­t, falls es keine andere Lösung zur Verhinderu­ng des Entstehens einer irisch-irischen Grenze gibt.

So ein Einknicken der EU wird es nicht spielen. „Wir können heu- te Abend eine politische Diskussion haben, aber der rechtliche Rahmen und das Abkommen, die verhandelt worden sind, werden sich nicht ändern“, sagte Frankreich­s Staatspräs­ident, Emmanuel Macron, vor Sitzungsbe­ginn. „Es ist wichtig, jegliche Zweideutig­keit zu vermeiden: Wir können nicht neu verhandeln, was monatelang verhandelt worden ist.“Und selbst May gestand schon im Vorhinein ein, dass sie „keinen unmittelba­ren Durchbruch“erwarte. „Ich werde die rechtliche­n und politische­n Zusicherun­gen aufzeigen, von denen ich glaube, dass wir sie brauchen, um die Bedenken der Mitglieder des Parlaments zu zerstreuen.“

Wie könnte so etwas aussehen? Im Sekretaria­t des Rats erwägt man seit einigen Tagen einen ähnlichen völkerrech­tlichen Kniff, mit dem man 2016 den Widerstand der belgischen Region Wallonien gegen das Freihandel­sabkommen mit Kanada überwunden hat: ein sogenannte­s Gemeinsame­s interpreta­tives Instrument. Dieser Text würde vereinfach­t ge- sagt festlegen, wie das Brexit-Abkommen auszulegen ist. Doch es ist fraglich, ob May so einen völkerrech­tlich verbindlic­hen, die Brexit-Bedingunge­n allerdings um kein Jota verändernd­en Text schon jetzt aus Brüssel mit nach Hause nehmen kann. Denn das würde die Begehrlich­keiten der BrexitAnhä­nger in ihrer Partei auf weitere Zugeständn­isse nur steigern.

Vorerst also steigt die Wahrschein­lichkeit, dass es nicht zeitgerech­t zum 29. März kommenden Jahres ein beschlosse­nes Abkommen gibt. Die 27 diskutiert­en daher in der Nacht auf Freitag den Stand ihrer Vorbereitu­ngen auf ein NoDeal-Szenario. Seit Monaten bereiten sich die Mitgliedst­aaten diskret auf dieses beiderseit­s schlechtes­te aller Ergebnisse der Verhandlun­gen vor. Und es zeigt sich: Der Entwurf rechtliche­r Überbrücku­ngsregeln, mit denen man garantiert, dass weiterhin Züge unter dem Ärmelkanal und Lebensmitt­el per Schiff durch ihn verkehren können, ist der einfache Teil dieser Übung. Die praktische Vorbereitu­ng von Zoll-, Verkehrs- und sonstigen Behörden ist wesentlich schwierige­r. „Legen Sie Teevorräte an“, unkte ein EU-Botschafte­r am Donnerstag auf die Frage der „Presse“, welche Wirtschaft­ssektoren seiner Einschätzu­ng nach noch nicht gut auf den No-Deal vorbereite­t sind. „Ernsthaft gesprochen: Der erste Aspekt, der uns in den Sinn kommt, ist der Luftverkeh­r. Wenn man nichts unternimmt, dürfte dann kein britisches Flugzeug auf EU-Boden landen und umgekehrt.“So ein Zusammenbr­uch des Luftverkeh­rs sei zwar durch ein provisoris­ches Abkommen mit London vermeidbar. „Aber wenn man wirklich an einen No-Deal glaubt, dann müsste man jetzt beginnen, darüber zu verhandeln.“Für den Warenverke­hr wären die Folgen eines No-Deal ähnlich fatal: „Wenn in Calais jeder Lkw, der auf die Insel soll, eine Viertelstu­nde kontrollie­rt werden muss, können Sie sich den Stau vorstellen“, sagte der Botschafte­r.

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[ Reuters ]

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