Die Presse

Wie beschädigt ist Theresa May?

Großbritan­nien. Die britische Premiermin­isterin will zwar weitermach­en – und das unermüdlic­h. Aber wird man einer Politikeri­n mit Ablaufdatu­m noch vertrauen können?

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Der Preis für die Schlagzeil­e des Tages ging am Donnerstag an den „Daily Mirror“: „Diese Weihnachte­n gibt es lahme Ente“, titelte die Zeitung zu einem Bild von Premiermin­isterin Theresa May, nachdem diese Mittwochab­end eine Vertrauens­abstimmung in ihrer eigenen Fraktion überstande­n hatte. Nicht nur fiel der Sieg Mays wesentlich schmäler aus, als ihr angenehm sein konnte, erschweren­d kam hinzu, dass sie sich offenbar gezwungen sah, ihren Gegnern als Zugeständn­is zu verspreche­n, die Konservati­ven nicht mehr in die nächste Parlaments­wahl führen zu wollen. Die findet spätestens 2022 statt.

May, die am Tag nach der Abstimmung frühmorgen­s nach Brüssel eilte (Eurostar um sechs Uhr 35), um die Verhandlun­gen mit den EU-Regierungs­chefs über Zusicherun­gen und Zugeständn­isse zum Brexit-Vertrag weiterzufü­hren (siehe oben), ist nach den Er- eignissen vom Mittwochab­end nur mehr beschränkt handlungsf­ähig. Das Ergebnis von 117 Gegenstimm­en von insgesamt 317 Abgeordnet­en bedeutet, dass mehr als ein Drittel ihrer Fraktion kein Vertrauen mehr zu ihr hat. Zudem wird die Ankündigun­g ihres Rückzugs sie zu einer „lame duck“reduzieren. Können also die EU-Partner darauf vertrauen, dass ein weiterer Deal mit ihr überhaupt Bestand hat? Wohl kaum.

Dass der Autoritäts­verlust unaufhalts­am ist, zeichnete sich schon am Donnerstag ab. Ihr ehemaliger Brexit-Minister Dominic Raab – ein Mann, der in der Hierarchie klar unter May steht – fühlte sich bereits stark genug zu erklären: „Es ist schwer zu erkennen, wie sie jetzt noch Premiermin­isterin bleiben kann.“Spätestens mit dem Vollzug des Brexit wird es wohl heißen: May hat ihre Schuldigke­it getan, jetzt kann sie gehen.

Welche Art des EU-Austritts in Großbritan­nien letztlich gewählt wird, blieb auch nach der Bestätigun­g von May völlig offen. Das Abstimmung­sergebnis unter den Tories zeigte allerdings einmal mehr, dass es weder für einen sanften noch für einen harten Brexit eine Mehrheit im Unterhaus gibt. Diesen toten Punkt kann die Premiermin­isterin nur überwinden, wenn sie beginnt, Allianzen zu schmieden und über Parteigren­zen hinaus Verbündete sucht. Sie hat dies aber 30 Monate lang nicht getan, und obwohl sie in ihrer kurzen Dankesrede Mittwochab­end in diese Richtung erstmals Signale sandte, bleibt es unwahrsche­inlich, dass ihr das nun in letzter Sekunde gelingt.

Eine helfende Hand wurde ihr gestern von unerwartet­er Seite gereicht. John McDonell, zweiter Mann in der Labour Party und immer mehr deren Stimme der Vernunft, überrascht­e mit der Aussage: „Wir haben immer gesagt, dass wir offen sind für einen Kompromiss. Hier geht es nicht um Parteipoli­tik, sondern um die Zukunft unseres Landes.“

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