Eine gar nicht künstliche Intelligenz
Porträt. Lisa Seacat DeLuca ist mit 400 Patenten die erfolgreichste Erfinderin in der Geschichte von IBM. Dazu vierfache Mutter, Sportskanone und Kinderbuchautorin. Wie geht das?
Normale Menschen gehen einmal in der Woche laufen, spielen Karten oder treffen sich am Stammtisch. Lisa Seacat DeLuca hat im Schnitt einmal pro Woche eine ziemlich geniale Idee, die sie zum Patent anmeldet. Das summiert sich: auf aktuell 600 Anträge, von denen die Patentämter schon 400 bewilligt haben. Was die IBMMitarbeiterin zur erfolgreichsten Erfinderin in der Geschichte des Technologiekonzerns macht. Gut, zwei männliche Kollegen haben noch mehr Trophäen im Schrank, aber diese sind schon viel älter als die 36-Jährige. Außerdem ist das mit dem Erfinden für sie nur „eine nette Wochenendbeschäftigung“.
DeLuca hat ja auch einen Alltagsjob: Sie leitet eine Gruppe, die sich mit Internet-der-Dinge-Anwendungen beschäftigt. „Als Vollzeiterfinderin hätte ich fünfmal mehr Patente“, sagt sie und lacht. Nicht auftrumpfend, eher leicht linkisch und verlegen.
Es gibt ja auch noch anderes als die Arbeit. Am College, an dem sie Computerwissenschaft studierte, galt DeLucas zweite große Leidenschaft dem Basketball. Weil ihr das nicht reichte, spielte sie außerdem noch Volleyball. In beiden Disziplinen schoss sie ihre Mannschaft zu Siegen. Heute hat die Amerikanerin andere Prioritäten: vier Kinder. Zweimal bekam sie Zwillinge. Erst Buben, dann Mädchen, die beiden älteren sind jetzt sechs. Die neugierigen Fragen, die ihr der Nachwuchs stellt, haben sie angeregt, zwei Kinderbücher zu schreiben.
So viel Aktivität und Erfolg in jungen Jahren lässt sich natürlich gut präsentieren. Weshalb sie zwischendurch noch als Role Model für weibliche Softwareingenieure um die Welt reist, von einer Konferenz zur anderen.
Wer jetzt zu lesen aufhören will, weil man sich vor der Größe anderer so klein fühlt: Ein wenig erklären lässt sich das alles schon. DeLuca arbeitet von zu Hause aus, umringt von ihren digitalen Spielereien und einem 3-D-Drucker. Sie lebt in Baltimore, zusammen mit ihrem Ehemann Stephen, einem Genetiker. Ihr IBM-Team schaltet sie in Videokonferenzen hinzu. Die Kollegen sind über die halbe Welt verstreut. Einer sitzt in Indianapolis, ein anderer in Austin, ein dritter im irischen Dublin, dazu noch die Entwickler in Indien. Während der Arbeitsstunden schaut das kolumbianische Aupair-Mädchen auf die Kinder, ge- gen Abend übernimmt die Mutter das familiäre Kommando. Auch haben Erfinder es heute leichter: Über Internetplattformen schätzen sie vorab das Potenzial ihrer Ideen ab. Mögliche Nutzer testen, bewerten und regen Verbesserungen an. Damit hat der spätere Patentantrag gleich bessere Chancen.
Aber aus welchen nie versiegenden Quellen sprudelt die Kreativität? DeLuca singt das Loblied der Landeier. Sie wuchs in Montana auf, in einer einsamen Gegend, „der nächste Nachbar wohnte Meilen entfernt“. Da blieb ihr und ihren Geschwistern gar nichts anderes übrig, als „aus nichts etwas zu schaffen, das Spaß macht“. Geschichten erzählen, in Fantasiewelten spielen – „so habe ich angefangen, kreativ zu denken“. Und deshalb achtet sie heute darauf, dass ihre Kinder nur begrenzte Zeit mit Mobilgeräten verbringen. Sie sollen „ihre Einbildungskraft nutzen“. Die Wunderfrau wirkt selbst so gar nicht wie ein Nerd,
(36) ist eine USamerikanische Erfinderin, die für IBM arbeitet. Die Softwareingenieurin hat 600 Patente eingereicht, von denen schon 400 erteilt wurden. Sie leitet ein Team, das sich mit der Nutzung von Sensordaten in Gebäuden beschäftigt. Die vierfache Mutter und Kinderbuchautorin hielt vor Kurzem auf einer IBM-Konferenz in Wien einen Vortrag. der ständig am Computer hockt und Programmzeilen einhämmert, auch wenn sie das „oft genug macht“. Aber die Problemstellungen findet sie im Alltag, im Gespräch, auf sozialen Netzwerken.
Etwa ein Sicherheitsthema: Viele Besitzer von Android-Handys entriegeln ihr Gerät, indem sie auf einem Punktegitter ein fixes Muster nachzeichnen. Aber fettigschmutzige Finger hinterlassen mit der immer gleichen Bewegung am Bildschirm eine Spur, die ein Dieb leicht erkennen kann. Die Abhilfe: Das Muster ändert sich jedes Mal, aber ohne dass der Nutzer umlernen muss. Schlau, was?
Mit ihrem Team optimiert DeLuca gerade das Zusammenleben in Bürogebäuden. Das Smartphone piepst, wenn die Schlange in der Kantine kurz genug ist. Sensoren im Besprechungsraum erkennen, ob ein Meeting stattfindet, und sorgen nur dann für Wärme oder Kühlung. Hinter all dem steckt der laufend dazulernende Supercomputer Watson, das künstliche Hirn von IBM. Er erweist sich sogar als wirksame Waffe gegen Wilderer, die es in südafrikanischen Reservaten auf Nashörner abgesehen haben. Man hat dort Sensoren an Beutetiere wie Zebras und Gazellen montiert, um ihre Bewegungen zu studieren. Der selbstlernende Algorithmus erkannte, wie diese Tiere ausei- nanderstieben, wenn ein Löwe auftaucht, und dass sie in anderer Form flüchten, wenn Wilderer mit Hubschraubern landen. Nun läutet der Alarm rechtzeitig, bevor sich die illegalen Jäger an die Nashörner herangepirscht haben.
„So löst Technologie Probleme, die es schon immer gab und bei denen sie sonst keine Rolle spielt“, schwärmt DeLuca. Anders als viele Tech-Freaks glaubt sie nicht an eine durchdigitalisierte ScienceFiction-Zukunft: „Unser Leben wird in 50 Jahren nicht viel anders aussehen als heute.“Der Erfindertrend ziele nicht darauf ab, dass wir noch öfter auf Bildschirme glotzen, sondern seltener. Keine App erinnert uns künftig daran, dass es draußen regnet, sondern „der Regenschirm in der Diele färbt sich rot“. Die Grenzen zwischen digitaler und analoger Welt verschwimmen. Das nimmt Ängste: „Technologie wird uns nur erlauben, mehr Zeit mit unserer Familie zu verbringen“. Was auch eine Patentkönigin gut gebrauchen kann.