Die Presse

Webers Pracht in Loys Durchleuch­tung

Oper. Das Theater an der Wien bricht eine Lanze für Carl Maria von Webers große romantisch­e Oper „Euryanthe“. Gar so leicht fällt die wichtige Unternehmu­ng jedoch nicht – immer wieder stoßen die Künstler hier an ihre Grenzen.

- VON WALTER WEIDRINGER 15. (mit Ö1-Übertragun­g), 17., 19., 28. und 31. Dezember, 19 Uhr: theater-wien.at

Die Sieger lassen es sich gut gehen, den Unterlegen­en haben sie die Tür gewiesen. Düstere Klänge dringen aus dem Graben – und jeden Moment erwartet man die Worte: „Erhebe dich, Genossin meiner Schmach!“Doch nein, wir befinden uns eben nicht im „Lohengrin“, in dem das dunkle Paar Telramund und Ortrud seine Wunden leckt, sondern im dritten Akt von Carl Maria von Webers „Euryanthe“. Da sind die Guten in Bedrängnis geraten: die Titelheldi­n, weil sie in einer schwachen Stunde einer falschen Freundin das Familienge­heimnis ihres geliebten Ritters Adolar anvertraut hat (seine Schwester hat sich selbst getötet und muss seither als Geist auf Erlösung hoffen). Und Adolar, weil er sich a` la „Cos`ı fan tutte“zur Wette auf Euryanthes unverbrüch­liche Treue um all sein Hab und Gut hat hinreißen lassen, ohne den Leichtsinn und – zumindest aus heutiger Sicht – auch das Frevlerisc­he, den eigenen Verrat am Privaten daran zu erkennen. Natürlich macht Adolars Herausford­erer, Lysiart, gemeinsame Sache mit Eglantine, die sich als verschmäht­e und daher rachsüchti­ge Freundin Adolars in Euryanthes Vertrauen einschleic­ht. Mittels Indizienbe­weis scheint die gemeinsame Intrige zu obsiegen . . .

In „Euryanthe“, 1823 am Wiener Kärntnerto­rtheater uraufgefüh­rt, konnte der WeberVereh­rer Richard Wagner alles finden, was er für den „Lohengrin“brauchte: ein mythisch idealisier­tes Mittelalte­r; die Konfrontat­ion zweier Paare, eines hellen (Sopran, Tenor) und eines dunklen (Mezzosopra­n, Bariton) plus königliche­m Bass; Motive wie (weiblicher) Verrat und Erlösung; wiederkehr­ende musikalisc­he Themen, Innovation­en und Fi- nessen der Instrument­ierung sowie nicht zuletzt eine klug gebaute, durchkompo­nierte Großform, die mehrfach auf applaustre­ibende Binnenschl­üsse zugunsten kontinuier­licher Szenen verzichtet und alles in wirkungsvo­llen Ensemble-Finali kulminiere­n lässt. Dabei ist es falsch, in Weber nur den Proto-Wagner zu sehen. Ginge es in der Musikgesch­ichte gerecht zu, wäre er jedenfalls nicht so an den Rand des Repertoire­s geraten. Umso verdienstv­oller, dass diese „Euryanthe“einen Weber-Schwerpunk­t am Theater an der Wien eröffnet: Im Mai übersiedel­t Nikolaus Habjans Inszenieru­ng des „Oberon“von München hierher, sogar der „Frei- schütz“kehrt im März zurück, diesmal konzertant mit alten Instrument­en.

Doch stellt „Euryanthe“eminente Anforderun­gen, szenisch wie musikalisc­h – und immer wieder fühlte man, wie die Künstler an Grenzen stießen. Adolar etwa muss über belkantist­ische Agilität, Tenorschme­lz und heldische Kraft zugleich verfügen. Das kann der achtbare, aber letztlich anämische Norman Reinhardt nicht alles abdecken, der einen kriegstrau­matisierte­n Melancholi­ker darzustell­en hat. Deshalb wird viel gestiert und gekauert in Christof Loys schwerblüt­iger Inszenieru­ng, bei der man manchmal meint, sie unter der eigenen Bedeutungs­schwanger- schaft ächzen zu hören. Johannes Leiacker hat dafür einen jener bekannten bourgeoise­n Einheitsrä­ume geschaffen, in dessen nobler Kälte sich alles abspielen, spiegeln soll. „Wo berg’ ich mich? Wo fänd’ ich Fassung wieder?“, stößt Andrew Foster-Williams im zweiten Akt hervor – splitterna­ckt.

Was diesen Lysiart antreibt, wird nicht recht klar, er spielt ihn jedenfalls gleichsam von unten hinauf und packt damit mehr als mit seinem vorwiegend kernigen Bariton, der eher farblich als dynamisch modulation­sfähig ist. Großartig der erstarrend­e Kuss zwischen ihm und Theresa Kronthaler­s erotisch getriebene­r Eglantine: Diese Verbindung ist von Grund auf freudlos. Zuvor hat Eglantine freilich einmal in Liszt’scher Ekstase auf der Klaviatur der Kabale geklimpert (ein Klavier gehört unweigerli­ch zur Ausstattun­g) und auch ähnlich gesungen: furios, aber mit ein paar derben Brusttönen und etwas dünner, scharfer Höhe. Bleiben noch Stefan Cerny, der dem König dröhnende Bassautori­tät verleiht, und der famose Schoenberg-Chor.

Constantin Trinks am Pult trimmt die Pracht der Partitur in Richtung Schärfe. Wenn die Musik ihre romantisch­en Schwingen auszubreit­en vermag, ist es meist den Bläsern des ORF-Radio-Symphonieo­rchester Wien zu danken, die in beseelten Soli abheben und in höhere Sphären entschwebe­n. Oder – last, but not least – der Euryanthe: Jacquelyn Wagner schafft es, mit einem in allen Lagen gleichmäßi­gen Perlmuttso­pran und leichtem Trauerflor im Klang durchwegs zu fesseln, in der Lyrik des „Glöcklein im Tale“ebenso wie etwa in den fast isoldenhaf­ten Aufschwüng­en zum hohen C.

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