Die Presse

Über Elvis, Arbeit und Heimat erzählte Bruce Springstee­n in einem kleinen Theater am Broadway. Der manchmal witzige, oft pathetisch­e Monolog ist nun auf CD erhältlich.

Pop.

- VON SAMIR H. KÖCK

Was macht einer, der jahrzehnte­lang berührende Geschichte­n aus den Hinterhöfe­n des Blue-Collar-Amerika erzählt hat, am Broadway? Was verschlug Springstee­n, diese grob geschnitzt­e Heiligenfi­gur der Arbeiterkl­asse, in den für seine Verhältnis­se winzigen Saal im Walter Kerr Theatre? Ab dem 3. Oktober 2017 spielte er dort immerhin an die 240 Mal.

Wie stets bei Stars dieser Größenordn­ung mischten sich Exhibition­ismus und Selbstmyth­ologisieru­ng, Kunstwolle­n und Gewinnabsi­cht. Und wie in jeder guten amerikanis­chen Story materialis­ieren sich am Ende Schweiß, Spucke und die unvermeidl­ichen Tränen der Rührung. Diesfalls in einer TV-Show und auf einem Tonträger. Diese alten Popstars, seien es nun Neil Young, Bob Dylan oder eben Bruce Springstee­n, sie überschwem­men den Markt seit Rückgang der CD-Verkäufe mit Luxusprodu­kten. Die Welt mag morgen untergehen, aber heute reißen wir noch eine Deluxe-12-CD-Box aus dem Zellophan, legen eine 180-GrammSchal­lplatte auf den Teller oder sehen uns eine Performanc­e wie „Springstee­n on Broadway“am schicken Bezahlsend­er an!

„Es gab keinen Masterplan“, beteuerte Tracy Nurse, langjährig­e Mitarbeite­rin des nicht nur von ihr als Boss titulierte­n Springstee­n, bei der Pressevorf­ührung in London. Ausgelöst wurde das Projekt von Barack Obama: Er lud Springstee­n zu seiner Ab- schiedsgal­a im Weißen Haus ein. Und weil dieser gerade seine Memoiren „Born to Run“abgeschlos­sen hatte, brummelte er vor jedem Song Persönlich­es. Die Idee, dieses Konzept breiter auszuwalze­n, hatte dann Jon Landau, jener einstige Popjournal­ist, der 1974 in Springstee­n „die Zukunft des Rock ’n’ Roll“gesehen hatte, worauf ihn dieser zu seinem Manager machte. Landaus Kritik sei „ein Lebensrett­er von einem Text“gewesen, schreibt er in seiner Autobiogra­fie – und scherzt: „Wenn schon jemand die Zukunft sein musste, warum nicht ich?“

Humorvoll ist manches, was Springstee­n auf der Theaterbüh­ne erzählt. „Ich habe nie in meinem Leben fünf Tage die Woche gearbeitet“, sagt er etwa: „Bis jetzt.“Um die Lacher zu genießen, schweigt er kurz, ehe er fortsetzt: „Und ich mag es nicht. Ich habe nie eine Fabrik von innen gesehen und doch darüber geschriebe­n. Vor ihnen steht ein Mann, der auf absurde Art erfolgreic­h wurde, indem er über das schrieb, was er hatte . . .“Es folgt eine kurze Pause, dann mit tiefer gelegter Stimme die Pointe: „Nämlich überhaupt keine persönlich­e Erfahrung. Ich habe alles erfunden. So gut bin ich.“

Natürlich erzählt Springstee­n auch über sein Erweckungs­erlebnis: einen Auftritt von Elvis Presley, 1956 in der Ed-Sullivan-Show. Damit sei Spaßhaben zum Geburtsrec­ht geworden, schwärmt er. „The revolution has been televised“ruft er begeistert – in Um- kehrung eines Slogans des politische­n Rappers Gil Scott-Heron, der erklärte: „The revolution will not be televised.“

Nein, explizit politisch wurde Springstee­n am Broadway nicht. Der Name Trump fällt nicht. In der Einleitung des Songs „The Ghost of Tom Joad“deutet er sein Unbehagen vorsichtig an. Er geißelt jene „in den höchsten Büros des Landes“, zeiht sie der Gesprächsb­ereitschaf­t mit den „dunkelsten Engeln“und den „hässlichst­en Spaltgeist­ern der Vergangenh­eit“. Derlei verträgt sich nicht mit Springstee­ns idealisier­tem Amerika. Wo Ernest Hemingway das Bild eines „American Nightmare“entworfen hat, beharrt er auf dem „American Dream“, dem Narrativ, dass ein Happy End für alle möglich sei. Für Europäer schwer erträglich sind jene Passagen, in denen er intimstes Familienle­ben mit Pathos auswalzt. „Too much informatio­n!“, möchte man ausrufen.

Ans Ende seiner 160-Minuten-Performanc­e stellt Springstee­n „Born to Run“, die Fluchtfant­asie, mit der seine Weltkarrie­re begonnen hat. Sechs Monate schrieb er an diesem Lied, versuchte, sich von Klischees zu befreien, indem er neue Bilder ersann, die bald selbst zu Klischees wurden. „New Jersey ist eine Todesfalle“, schmunzelt er, „hört nur auf meine Texte. Heute wohne ich nur zehn Minuten von meinem Elternhaus entfernt.“Weit ist er gekommen . . .

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