Was aus Afrika noch werden kann
Afrika-Forum. Die Bevölkerung wächst stark, die Wirtschaft dafür zu schwach. Aber einige Vorbildländer machen Hoffnung.
Wien. Afrika ist der blinde Fleck im Weltgeschehen. Damit es zum Thema wird, braucht es schon ein mit Staatsgästen bestücktes EU-Afrika-Forum, so wie kommende Woche in Wien. Dabei entscheidet sich auch unsere Zukunft auf diesem Nachbarkontinent. Er ist ein Hoffnungsträger: Keine Weltregion hat mehr Rohstoffe, in keiner wächst die Bevölkerung so schnell, keine ist so jung. Was zugleich eine Bedrohung ist. Denn kein anderer Wirtschaftsraum bleibt so hinter seinen Möglichkeiten zurück. Und das bedeutet: immer noch hohe Armut, viel zu wenig neu dazukommende Jobs und damit steigender Migrationsdruck. Aber dass nichts unausweichlich ist, dass Afrika überraschen kann, zeigen einige Umbrüche, die sich dort gerade vollziehen.
Wie es um die Wirtschaft steht
Da haben sich die Auguren mehr erwartet: Um 2,7 Prozent wächst die afrikanische Wirtschaft heuer. Weil aber die Bevölkerung ähnlich stark zunimmt, stagniert das BIP pro Kopf, so wie im Vorjahr. Immerhin werden die Afrikaner nicht noch ärmer, wie 2016. Damals brachen die Rohstoffpreise ein, die sich seitdem leicht erholt haben. Aber nun zeigt sich ein verblüffender Trend: Gerade die großen, rohstoffreichen Volkswirtschaften Nigeria, Südafrika und Angola kommen nicht vom Fleck. Die Treiber sind nun Staaten, die nicht mit Bodenschätzen gesegnet sind und sich trotzdem prächtig und vor allem kontinuierlich entwickeln: Ruanda, Äthiopien, Elfenbeinküste. Diese „Hotspots“machen Hoffnung. Denn sie zeigen vor, dass ein nachhaltigeres Wachstum möglich ist.
Was die Perspektiven sind
Der Traum von einer raschen Aufholjagd der „afrikanischen Löwen“ist ausgeträumt. Schon in den Boomjahren von 2000 bis 2014, als der Appetit Chinas auf Öl und Erze unerschöpflich schien, zeigten sich die Fallen des rohstoffgetriebenen Wachstums. Die Güter, von seltenen Erden bis Kaffeebohnen, werden nicht in Afrika veredelt, sondern gleich verschifft. Damit entsteht wenig Wertschöpfung vor Ort. Die Folge: Die Wirtschaft wuchs zwar im Schnitt mit über fünf Prozent pro Jahr, aber die Zahl der Arbeitsplätze nur um kümmerliche 0,2 Prozent. Und das in einer Region, in der jede Frau im Schnitt im- mer noch fünf Kinder bekommt. Die gottlob geringere Kindersterblichkeit tut ihr Übriges: Massen an Jugendlichen rücken auf dem Arbeitsmarkt nach. Jedes Jahr müssten (im Schnitt bis 2035) 18 Millionen Jobs entstehen. Tatsächlich sind es aktuell nur drei Millionen. Die Lösung für beides wäre mehr Bildung. Wer lesen und schreiben kann, bekommt weniger Kinder. Wer etwas gelernt hat, ist produktiver. Darin liegt die einzige Chance für den Nachzügler Afrika: Er muss sich in die Wertschöpfungsketten einer globalisierten Wirtschaft einbringen, so wie im vergangenen Jahrzehnt die asiatischen Spätstarter Bangladesch, Vietnam und Kambodscha. Ob das noch zu schaffen ist? Die Vorbildländer geben neuen Anlass für Optimismus.
Warum der Migrationsdruck steigt
Dennoch: Der Migrationsdruck nimmt zu. Was nicht heißt, dass alle nach Europa aufbrechen. Acht von zehn Migranten in Subsahara-Afrika bleiben in der Region. Die meisten versuchen ihr Glück im Nachbarland, wo es besser läuft. Die wirklich Armen können sich eine Flucht nach Europa gar nicht leisten, ihnen fehlen Kontakte, Information und Sprachkenntnisse. Das heißt aber umgekehrt: Bei steigendem Einkommen nimmt der Wille zum Auswandern zunächst sogar zu. Bis zu einer BIP-pro-Kopf-Schwelle von 8000 Dollar, wie der US-Ökonom Michael Clemens errechnet hat. Nur 13 der 55 Staaten Afrikas liegen darüber, viele weit darunter. Aber auch hier könnte Afrika überraschen. Denn politisch hat sich das Gros der Länder stabilisiert. Wo Eigentum gesichert und der Rechtsstaat etabliert ist, lohnt es sich, zu sparen und sich etwas aufzubauen. Vielerorts ist das nun erstmals möglich. Das schafft Perspektiven und einen neuen Grund, nicht zu fliehen. Aber parallel zum Einkommen steigt die Qualifikation. Und so werden für Europa, dem es an Nachwuchs fehlt, legale Arbeitsmigranten aus Afrika künftig langsam attraktiver. Damit die Herkunftsländer nicht durch den Wegzug der Tüchtigsten geschwächt werden, empfehlen Experten eine „zirkuläre Migration“, vergleichbar den Gastarbeitern von einst. Nach einigen Jahren kehren die Migranten mit viel Erfahrung zurück, meist als Chef in ihrem Dorf oder Clan, was die Heimkehr lohnend macht. So könnte die EU ein Ventil für legale Zuwanderung schaffen.
Wie kooperieren?
Aus gutem Grund fordern EU-Staaten also rechtsstaatliche Reformen als Gegenleistung für Investitionen. Aber das empfinden viele Afrikaner als Bevormundung, ja als neue Form des Kolonialismus. Da sind ihnen die Chinesen lieber, die nicht „predigen“und stattdessen Straßen und Häfen bauen – wenn auch mit eigenem Personal und nur, um Rohstoffe außer Landes zu schaffen. Der Ökonom Karl Aiginger plädiert für einen dritten Weg: „Wir müssen staatliches Wohlverhalten fordern, aber bei seiner Ausformulierung und Kontrolle die Afrikaner miteinbeziehen.“Eine solche Einbindung haben die Europäer selbst dankbar erfahren – nach dem Krieg, durch die Amerikaner, bei der Umsetzung des Marshallplans.