130 oder 140 km/h? Kaum Folgen
Tempolimit. Die Untersuchung zur Tempoerhöhung legt nahe, nicht primär Pkw in die Pflicht zu nehmen.
Pkw sind nicht das Hauptproblem, wenn es um den CO2- und Stickoxidausstoß geht.
Für Durchreisende aus Polen sind Verkehrsschilder, die eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h anzeigen, kein ungewohnter Anblick: In dem Land gilt auf Autobahnen generell Tempo 140.
Eine große Ausnahme in Europa, wo 130 Stundenkilometer (vielfach auch weniger, ausgenommen der Sonderfall Deutschland mit 130 als „Richtwert“) das höchste der Gefühle darstellen. So auch in Österreich – mit insgesamt 120 Straßenkilometern in Niederund Oberösterreich als prominenter Ausnahme und medialer Sommeraufreger.
Seit August darf auf ausgewählten Streckenabschnitten der Westautobahn etwas kräftiger auf die Tube gedrückt werden. Das „Pilotprojekt Tempo 140“gilt als Herzensangelegenheit von Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ), der die Ergebnisse einer begleitenden, vom Autobahnbetreiber Asfinag in Auftrag gegebenen Studie vor zwei Wochen vorstellte. Sie weisen eine nur minimale Zunahme der relevanten Emissionen aus und entkräften Sicherheitsbedenken, sind insgesamt also kaum geeignet, die diesbezüglichen Ambitionen des Ministers zu bremsen. Eine Ausweitung von Tempo 140 gilt als wahrscheinlich. Wann, wo, wie – die Debatten finden derzeit politisch statt, nicht zuletzt mit dem Umweltministerium unter Elisabeth Köstinger (ÖVP).
Hauptverursacher nicht betroffen
Doch welche Erkenntnisse ziehen Fachleute aus dem Konvolut an Daten, das die Studie zutage gefördert hat? Während das Monitoring Lärm (plus 0,6 Dezibel) und Sicherheit (bislang keine im Zusammenhang mit der Tempoerhöhung stehenden Unfälle registriert) weiterläuft, hat Ernst Pucher, Professor an der TU Wien, seine Begleituntersuchung Luftschadstoffe abgeschlossen.
Der Kraftfahrzeugexperte ließ mobile Messstationen aufstellen, schickte zehn für den Bestand repräsentative, mit On-BoardLaboren ausgestattete Fahrzeuge verschiedener Abgasnormen – Diesel, Benziner, leichte Nutzfahrzeuge, bis zum schweren Lkw – ins Rennen. Dass die Zunahme der Kohlendioxid- und Stickoxidemissionen insgesamt so gering, eben „minimal“mit ein bis zwei Prozent ausgefallen ist, liegt vor allem an deren Quellen. Der Schwerverkehr nimmt in den Diagrammen der Studienergebnisse eine gewichtige Rolle ein – und Lkw sind mit ihren höchstzulässigen 80 km/h von der Tempoerhöhung gar nicht be- troffen. Die Daten, so Pucher, zeigten im Detail, woher die Emissionen tatsächlich stammen. Fazit: „Wenn Pkw ein paar km/h schneller fahren – in Summe merkt man das fast gar nicht.“
In Fokus stehen dagegen schwere Lkw und leichte Nutzfahrzeuge, die zusammen trotz kleineren Anteils am Verkehrsaufkommen verglichen mit Pkw den größten Teil des Schadstoffausstoßes ausmachen. Das, so Pucher, müsste nicht sein: „Wir haben die notwendigen Technologien – nur sollten sie auch in Betrieb sein und müssten kontrolliert werden.“Die Abgasreinigung vieler Nutzfahrzeuge befinde sich im Realbetrieb nicht auf dem Stand der Technik oder Gesetzeslage. Doch gerade bei Nutzfahrzeugen haben die Abgase einen vielfachen Effekt. Pucher: „Wenn nur die Abgasreinigung der Lkw so betrieben würde, wie sie gesetzlich vorgeschrieben ist, dann könnten wir uns alle Diskussionen über Emissionen im Straßenverkehr sparen.“
Pucher hofft ganz unumwunden, dass weitere Tempo-140-Stücke dazukommen, „auf Schnellstraßen fährt man dann auch schnell“. Dies wäre ohnehin nur auf gut ausgebauten Abschnitten der Fall, dort, wo ein höheres Durchschnittstempo überhaupt möglich sei. Exzessiv wurde oder wird Hofers 140er-Angebot nicht genutzt: Auf den freigegebenen Abschnitten nahm das gefahrene Tempo im Schnitt um 2,9 (NÖ) und 3,4 km/h (OÖ) zu. Das große Verkehrsaufkommen, die hohen Fahrleistungen – das spiele sich ganz woanders ab, „nahe den Ballungsräumen, morgens auf der Wiener Südeinfahrt und auf der Tangente“. Und „wie schnell man dort steht“, so Pucher, „weiß man ja“.
Nach „langsamer, langsamer, noch langsamer“habe sich das Mantra der Verkehrspolitik umgedreht – in Richtung Beschleunigung. Pucher: „Es geht um die Frage, wie wir als Binnenland das bodennahe Verkehrsaufkommen in Zukunft bewältigen wollen.“Wo höheres Tempo angesichts des Verkehrsaufkommens illusorisch sei, dort hieße beschleunigen „ausbauen, investieren“, so der Experte.
In Österreich haben Autobahnen und Schnellstraßen einen Längenanteil von zwei Prozent am Straßennetz. Auf knapp 120 dieser 2233 Kilometer darf an zwei Streckenabschnitten in Oberund Niederösterreich seit August bis zu 140 km/h schnell gefahren werden. Laut Studie stieg das gefahrene Tempo im Schnitt um 2,9 bis 3,4 km/h.