Erwachsenenschutz: Brinek ortet Defizite bei Qualitätssicherung
Interview. Volksanwältin Gertrude Brinek zieht ein halbes Jahr nach dem Übergang von der Sachwalterschaft zum Erwachsenenschutz eine erste Zwischenbilanz: Sie sieht eine „gute Dynamik“, vermisst aber Verbesserungen bei der Auswahl von Anwälten und Notaren
Zum Jahreswechsel ist es genau ein halbes Jahr her, dass das neue Erwachsenenschutzgesetz in Kraft getreten ist: Unterstützung statt Bevormundung ist das Motto der Neuregelung, mit der die alte Sachwalterschaft – zumindest begrifflich – abgelöst worden ist. Gertrude Brinek, als Volksanwältin eine der treibenden Kräfte hinter der Reform, zeigt sich im Interview mit der „Presse“überzeugt, dass das Gesetz im öffentlichen Bewusstsein gut angekommen sei. Defizite ortet Brinek noch bei der Qualitätssicherung von Anwälten und Notaren, die vor allem im städtischen Bereich vielfach die Aufgabe der Vertretung hilfsbedürftiger Menschen übernehmen.
Mit der Reform wurde eine feinere Abstufung zwischen der ganz autonomen Vorsorgevollmacht und der neuerdings auf drei Jahre befristeten gerichtlichen Erwachsenenvertretung (der bisherigen Sachwal- terschaft) geschaffen. Damit soll die Vertretung auf das jeweils unbedingt Erforderliche beschränkt bleiben, um die Betroffenen nicht zu entmündigen. „Das beginnt damit, sich in einer guten Dynamik zu etablieren“, sagt Brinek. „Ich hoffe, dass wir diesen Drive nicht verlieren und dass es nicht einen Rückfall gibt im Bewusstsein nach dem Motto: Das hat alles nur einen neuen Namen, und in Wirklichkeit ist nichts dahinter.“
Kein „großes Aufschreien“
Die befürchtete Personalnot bei den Erwachsenenschutzvereinen, die derzeit die bestehenden Sachwalterschaften auf ihre Notwendigkeit überprüfen („Clearing“), sei nicht eingetreten. Von 132 vorgesehenen neuen Stellen seien derzeit nur 13 offen. Auch bei den Gerichten dürfte die zusätzliche Arbeit bewältigbar sein: „Ein großes Aufschreien höre ich nicht, aber es kann schon sein, dass es punktuell zu Mehrarbeit kommt.“
„Was ich gerne verfolgen werde, ist die Frage der Auswahl der ,besonders qualifizierten Rechtsanwälte und Notare‘.“Nur diese Freiberufler sollen befugt sein, mehr als 15 Vertretungen zu übernehmen (einzelne Kanzleien haben mehrere hundert inne). „Wir müssen bedauerlicherweise sagen, dass wir 99,9 Prozent der Beschwerden – und das sind bisher hunderte im Jahr gewesen – über Vertretungen haben, die von Anwälten gemacht werden.“
Für Brinek sind die Qualitätskanzleien noch nicht genug sichtbar. Sie vermisst auch die Offenlegung eines transparenten Beschwerdeverfahrens, wie es die Anwälte in Aussicht gestellt hätten. „Das gehört dazu, wenn ein Anwalt eine versprochene Qualität nicht bietet.“Da dies auch ein Punkt war, auf den die Parlamentsparteien einhellig großen Wert gelegt hätten, werde sie, Brinek, die Entwicklung bis zum ersten Jahresbericht genau verfolgen. Selbst mit einer perfekten Umsetzung des Erwachsenenschutzgesetzes kann aber punkto Fürsorge für alte Menschen noch nicht alles getan sein. „Wir werden älter, wir werden hilfsbedürftiger, wir werden auch dementer: Da muss ich dieses Eingeständnis lernen, welche Art von Hilfe ich brauche.“Brinek will von den Bundes- ländern, dass sie jeweils eine Stelle schaffen, die im Bedarfsfall das Geschick hilfsbedürftiger Personen in die Hand nehmen. „Die Schnittstelle Soziale Fürsorge/Sozialarbeit kann nicht in einem modernen Erwachsenenschutzrecht untergehen, bei dem sich dann um die eigentlichen Dinge keiner annimmt.“