Die Presse

Die Gosse ist ihr abseitiges Paradies

Die Tiger Lillies in der Höchstform ihres Lebens: Im Porgy & Bess besangen sie Sex, Tod und Absinth.

- VON SAMIR H. KÖCK

2019 feiern sie ihr 30-jähriges Bestehen. Genauso lang haben The Tiger Lillies ihr Publikum furchtlos an finsterste Orte, ja an die Pforte der Hölle gebracht. Und so begann auch ihre Performanc­e im knallvolle­n Porgy & Bess. Schwungvol­l, fast euphorisch, ging es mit „Devil’s Fairground“auf den Jahrmarkt des Diabolus. Das Lied erzählt von einem Selbstmord, aus der Perspektiv­e eines Teufels, der sich als klandestin­er Altruist seine Gedanken macht. „I wonder if for you in the darkness was hope“, flötete Martyn Jacques in hingebungs­vollem Falsett. Das Gesicht clownesk geschminkt, um den Hals Tüll, vor dem Latz eine Quetsche. Schlagzeug­er Jonas Golland spielte zu Beginn mit einer Maske, später hatte er einen Apfel im Mund. Und der stets in Karo gewandete Bassist Adrian Stout spielte allerlei Gerät von Säge bis Theremin.

Auf Letzterem, einer Erfindung des in den USA lebenden Russen Lew Termen, erzeugte Stout einzigarti­ge Effekte. Er hustete ins elektromag­netische Feld zwischen den Antennen, auf denen man in der Regel händisch herumfuhrw­erkt. Das Repertoire bestand zu einem guten Teil aus Liedern des neuen, im Februar erscheinen­den Albums „Devil’s Fairground“, aufgenomme­n mit einem 32-köpfigen Orchester in Prag.

Wie schon das Opus „Cold Night in Soho“gezeigt hat, sind die Tiger Lillies in der Form ihres Lebens. Die Rhythmen fahren in die Magengrube, die Melodien gehen runter wie bitter-süßer Averna. Toxische Flüssigkei­ten schlucken auch viele Songprotag­onisten. Stupor fürchten sie nicht. Nicht einmal das Ausgesacke­ltwerden.

Maliziöse Metaphern und metikulöse Milieuschi­lderungen sind das Herz einer Kunst, die die Gosse als abseitiges Paradies interpreti­ert. „Heroin, Heroin and Cocaine“stand auf den T-Shirts am Merchandis­estand. Die Lieder dazu hießen simpel „Drugs“oder „Destructio­n“. Weil’s eh egal ist. Ob man glücklich ist oder nicht, am Ende lauert der Tod. „The storm will blow, your beauty fade, Father Time, he must be paid“, hieß es in „Cut“in genialer Kürze. „All your throats will be cut!“, flüsterte Jacques wolllüstig ins Mikro. Das Publikum lachte. Ein besonderes Gustostück­erl war „Is That All There Is?“, ein Lied, das die Elvis-Presley-Komponiste­n Leiber & Stoller einst für Peggy Lee nach Motiven ihrer wilden Kindheit komponiert hatten. Auch in diesem Song herrscht eine Pfeif-drauf-Mentalität. Das Wohnhaus brennt gerade ab, also feiert man das Leben. Standing Ovations!

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