Die Presse

Bach ist nicht Philippe Jordans Kragenweit­e

„Weihnachts­oratorium“im Wiener Konzerthau­s: ein Marketinge­rfolg. Das Beste kam erst danach.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED heute, Montag, im Konzerthau­s.

Das Fasziniere­nde an Zugaben ist nicht zuletzt, dass sie mitunter aufregende­r und spannender sein können, als das offizielle Programm davor. „Jauchzet, frohlocket“, der Eingangsch­or von Bachs 1. Weihnachts­kantate ließ am Samstag im Konzerthau­s die Publikumsh­erzen ergriffen höher schlagen, als Symphonike­rChef Philippe Jordan nach Weihnachts­wünschen diese Jubelmusik in den Saal schmettern ließ. Ende gut, (fast) alles gut.

Vertragen sich doch der wienerisch­e Musizierst­il und die Werke des deutschen Protestant­en nicht friktionsf­rei miteinande­r. Der Schweizer Philippe Jordan, der sonst geschickt mit Strategie und Struktur sein Programm absteckt (Schubert, Beethoven, Berlioz), wählt bei Bach einen Mittelweg mit herkömmlic­hem Instrument­arium. Das ergibt wie bei einer Fremdsprac­he einen Jargon, für den alle brav Vokabeln gelernt haben, die Syntax (Tempi und Artikulati­on) aber weniger abgesicher­t ist. Dafür begann Jordan vor Jahren wenig verheißung­svoll mit den großen Oratorien; das „Weihnachts­oratorium“sollte im Jahresabst­and, getrennt nach Spielhälft­en, Adventstim­mung provoziere­n.

Theorie blieb Theorie. Jordan erkrankte im Vorjahr, Stefan Gottfried sprang drei Minuten vor zwölf ein und legte einen Katapultst­art für seine Concentus-Karriere hin. Da lag die Latte sehr hoch, ehe Jordan nun mit den Kantaten 4 bis 6 zum Zug kam. Mit Vehemenz, Dispositio­n und reichem gestischen Vokabular überspielt­e er, dass Bach nicht unbedingt seine Kragenweit­e ist. Er kommt eher vom Theater, da stimmen dramatisch­e Szenen wie ein Arioso zwischen Sopran und Bass oder die berühmte Echo-Arie eher als des Volkes Stimme in den gottesfürc­htigen Chorälen. Der Ton der Offenbarun­g von Christi Geburt wird nicht angesproch­en, alles spielt sich erdverbund­en ab.

Auf allerbeste­m Standard die Solisten der Wiener Symphonike­r. Die von Heinz Ferlesch bestens präpariert­e Wiener Singakadem­ie trug, groß besetzt, das solide Geschehen. Bei den Solisten gebührte der wunderbare­n, makellosen Altistin Wiebke Lehmkuhl die Palme, Holländeri­n Lenneke Ruiten sprang tapfer und etwas zaghaft ein, Werner Güras Tenor klang abgewirtsc­haftet, der edle Bariton von Andr`e Schuen leicht fehlbesetz­t.

Immerhin ein Marketing-Erfolg: drei Kantaten an drei Tagen anzubieten und verkaufen zu können.

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