Die Zukunft gehört den ländlichen Regionen
Statt um die Frage „Stadt oder Land“geht es künftig um ganz andere Herausforderungen: Innovationsfähigkeit, Lebensqualität, auch einen Mentalitätswandel. Politik und Wirtschaft können den Wandel fördern und gestalten.
Für die Stadt- und Regionalentwicklung galt bisher: Großstädte wachsen, ländliche Regionen schrumpfen, und viele Dörfer sterben aus. Vor allem die Jungen und Gebildeten wandern ab, was an den Rändern und in den entlegenen Regionen zu einer Überalterung führt.
Neben dem demografischen Wandel werden die Regionen auch in Zukunft insbesondere durch eine veränderte Arbeits- und Unternehmenswelt und die zunehmende Digitalisierung herausgefordert. Droht den Regionen also die Absiedelung, und werden ihre Bewohner zu Abgehängten? Nein, wenn die Chancen ergriffen und vor allem die Digitalisierung für die anstehende Transformation genutzt wird!
In Österreich wohnt die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Städten. Dennoch ist der Urbanisierungsgrad niedriger als in vielen europäischen Ländern. Seit einigen Jahren kehrt sich die Entwicklung zum Leben in den Städten um. Jüngsten Umfragen zufolge träumen immer mehr Österreicherinnen und Österreicher vom Leben auf dem Land. Hier ist die Lebensqualität höher, und die Wohnkosten sind niedriger.
Der jahrzehntelange Trend zur Landflucht, wonach immer mehr Menschen in die Städte ziehen und das Land verlassen, scheint vielerorts gestoppt. Der Megatrend der Globalisierung befördert den Trend zur neuen Landlust und führt entgegen vielen früheren Prognosen nicht zu einem universellen, überall gleich geltenden Lebenswandel.
Globale und regionale Identitäten bilden keinen Widerspruch, sie bedingen einander vielmehr. Die Grenzen zwischen Stadt und Land verschwimmen. Die Zukunftsforschung spricht vom Trend zur „Glokalisierung“.
Das heißt, Globalität und Lokalität verbinden sich zu einem neuen Dritten. Die ländlichen Räume und Regionen werden urbaner. Wohnen, Arbeiten und Leben wird abseits der Städte zunehmend attraktiv. Die Digitalisierung wird den Wandel hin zu einer Regionalisierung beschleunigen. Der digitale Wandel führt zu einer Re- naissance der Kooperation und Konnektivität.
Es entstehen neue Formen der Vergemeinschaftung, eine Kultur des Teilens und gemeinsamen Handelns. Co-Working, Co-Living, Co-Housing und Co-Moving stehen als Begrifflichkeiten für den Kulturwandel im städtischen wie im ländlichen Raum. Das Teilen wird wichtiger als das Besitzen. Raumforscher sprechen von „urbanisierten Regionen“– einem neuen regionalen Selbstbewusstsein, das Einheimische wie Zuzügler mit einschließt.
Die Digitalisierung ist nicht nur ein Thema für Metropolen, sondern birgt auch für Städte, Gemeinden und ländliche Regionen eine Chance. Ihre Potenziale für eine Verbesserung der Lebensqualität vor Ort sind ebenso groß wie weitgehend unbekannt.
Dank der Digitalisierung wird man in Zukunft auch jenseits der Ballungsräume besser vernetzt sein. Die Nachfrage nach alternativen Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten wird sich auch auf dem Land verstärken und der digitale Wandel macht genau diese Entzerrung von Wohnen und Arbeiten möglich. Telearbeit und Homeoffice werden in Zukunft verstärkt eingesetzt.
Die Digitalisierung erleichtert demnach die Dezentralisierung von Leben und Arbeiten. Wenn überall flächendeckend schnelles Internet verfügbar ist, lässt sich theoretisch in jeder Region produzieren und arbeiten. Lange Wegstrecken und Pendeln werden zum Auslaufmodell. Bereits heute kann sich jeder zweite Arbeitnehmer vorstellen, von zu Hause aus zu arbeiten. Jeder vermiedene Pendler trägt zu einem vitalen Leben vor Ort bei, spart Zeit und Sprit und entlastet die Umwelt. Die Menschen werden in Zukunft mehr Zeit zu Hause, mit der Familie und für sich selbst haben.
Digitalisierung und Vernetzung sind zentrale Voraussetzungen zur Angleichung von wirtschaftlichen und sozialen Chancen zwischen Regionen und Ballungsräumen, schreiben Willi Kaczorowski und Gerald Swarat in ihrem Buch „Smartes Land – von der Smart City zur Digitalen Region“.
Smarte Regionen setzen auf die Kooperation der Akteure und praktizieren neue Formen der Daseinsvorsorge bei Mobilität und Gesundheitsversorgung. Eine Antwort auf den Ärztemangel sind Online-Praxen. „Mobile Health“bringt den Landarzt zurück. Patienten werden am Telefon oder online behandelt. Das Rezept und die Krankschreibung folgen elektronisch per Mail. Lange Wartezeiten werden überflüssig.
Starke Regionen brauchen innovative Gesamtstrategien für die Zukunftsthemen Digitalisierung, Mobilität, Gesundheit, Bildung, neues Arbeiten und Tourismus. Voraussetzung sind nicht zuletzt eine bessere Infrastruktur und ihre Anbindung an die Metropolen.
Die besten Chancen werden jene Regionen haben, die sich als offene Plattformen und Labore innovativer Ideen verstehen und attraktiv sind für Einheimische wie Fremde. Das schnelle Internet wird Start-ups und Co-Working auch auf dem Land möglich machen. Die Regionen werden in Zukunft zum Innovations- und Kreativitätsraum. Analoges und digitales Engagement wird vor allem in überschaubaren Räumen gelebt und erfahren. Zu zentralen Akteuren des Wandels werden Genos- senschaften. Als Ermöglicher und Gestalter vor Ort leisten sie einen entscheidenden Beitrag, vorhandene Stärken auszubauen und neue zu entwickeln. Dazu werden sie sich stärker mit anderen Akteuren vernetzen und ihre Kultur der Selbsthilfe und Selbstverantwortung hin zu neuen Formen der Gemeinschaftsbildung modernisieren müssen. Ohne sie wird eine Lösung der zentralen Zukunftsfragen Wohnen, Alter und Arbeit nicht möglich sein. Es geht darum, gesellschaftliche Teilhabe in allen Lebensphasen zu ermöglichen.
Statt um die Frage „Stadt oder Land?“geht es um Innovationsfähigkeit, Lebensqualität und einen Mentalitätswandel.
Auch Politik und Unternehmen können den Wandel befördern. Das kommende „Jahr der Digitalisierung“ist ein guter Anlass für eine Stärkung der Regionen. Es geht um neue Anschlüsse: digitale wie reale. Und um Zukunftsfragen: Wie wollen wir lernen, arbeiten und leben? Etliche aktuelle Herausforderungen, vor denen Städte und Gemeinden stehen, lassen sich durch Telemedizin, digitale (Weiter-)Bildungsangebote, einen vernetzten öffentlichen Verkehr und Homeoffice-Arbeitsplätze effektiver und effizienter lösen.
Um Bürger und Unternehmen mitzunehmen und zu überzeugen, braucht es konkrete Visionen. Wo sich vieles radikal wandelt, müssen die Ziele und Prinzipien, wonach der Wandel gestaltet werden soll, klar sein und von allen geteilt werden. Die Demokratie wurde einst in den Städten erfunden. Ihre Zukunft liegt in den Regionen.
(* 1971) hat Rechts-, Politikund Verwaltungswissenschaften studiert. Er ist Gründer des Instituts für Zukunftspolitik. Dettling berät Unternehmen, Ministerien, Verbände, politische Parteien und Stiftungen. Sein wichtigstes Thema ist eine neue Balance von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.