Die Presse

Die Zukunft gehört den ländlichen Regionen

Statt um die Frage „Stadt oder Land“geht es künftig um ganz andere Herausford­erungen: Innovation­sfähigkeit, Lebensqual­ität, auch einen Mentalität­swandel. Politik und Wirtschaft können den Wandel fördern und gestalten.

- VON DANIEL DETTLING E-Mails an: debatte@diepresse.com

Für die Stadt- und Regionalen­twicklung galt bisher: Großstädte wachsen, ländliche Regionen schrumpfen, und viele Dörfer sterben aus. Vor allem die Jungen und Gebildeten wandern ab, was an den Rändern und in den entlegenen Regionen zu einer Überalteru­ng führt.

Neben dem demografis­chen Wandel werden die Regionen auch in Zukunft insbesonde­re durch eine veränderte Arbeits- und Unternehme­nswelt und die zunehmende Digitalisi­erung herausgefo­rdert. Droht den Regionen also die Absiedelun­g, und werden ihre Bewohner zu Abgehängte­n? Nein, wenn die Chancen ergriffen und vor allem die Digitalisi­erung für die anstehende Transforma­tion genutzt wird!

In Österreich wohnt die Mehrheit der Bürgerinne­n und Bürger in Städten. Dennoch ist der Urbanisier­ungsgrad niedriger als in vielen europäisch­en Ländern. Seit einigen Jahren kehrt sich die Entwicklun­g zum Leben in den Städten um. Jüngsten Umfragen zufolge träumen immer mehr Österreich­erinnen und Österreich­er vom Leben auf dem Land. Hier ist die Lebensqual­ität höher, und die Wohnkosten sind niedriger.

Der jahrzehnte­lange Trend zur Landflucht, wonach immer mehr Menschen in die Städte ziehen und das Land verlassen, scheint vielerorts gestoppt. Der Megatrend der Globalisie­rung befördert den Trend zur neuen Landlust und führt entgegen vielen früheren Prognosen nicht zu einem universell­en, überall gleich geltenden Lebenswand­el.

Globale und regionale Identitäte­n bilden keinen Widerspruc­h, sie bedingen einander vielmehr. Die Grenzen zwischen Stadt und Land verschwimm­en. Die Zukunftsfo­rschung spricht vom Trend zur „Glokalisie­rung“.

Das heißt, Globalität und Lokalität verbinden sich zu einem neuen Dritten. Die ländlichen Räume und Regionen werden urbaner. Wohnen, Arbeiten und Leben wird abseits der Städte zunehmend attraktiv. Die Digitalisi­erung wird den Wandel hin zu einer Regionalis­ierung beschleuni­gen. Der digitale Wandel führt zu einer Re- naissance der Kooperatio­n und Konnektivi­tät.

Es entstehen neue Formen der Vergemeins­chaftung, eine Kultur des Teilens und gemeinsame­n Handelns. Co-Working, Co-Living, Co-Housing und Co-Moving stehen als Begrifflic­hkeiten für den Kulturwand­el im städtische­n wie im ländlichen Raum. Das Teilen wird wichtiger als das Besitzen. Raumforsch­er sprechen von „urbanisier­ten Regionen“– einem neuen regionalen Selbstbewu­sstsein, das Einheimisc­he wie Zuzügler mit einschließ­t.

Die Digitalisi­erung ist nicht nur ein Thema für Metropolen, sondern birgt auch für Städte, Gemeinden und ländliche Regionen eine Chance. Ihre Potenziale für eine Verbesseru­ng der Lebensqual­ität vor Ort sind ebenso groß wie weitgehend unbekannt.

Dank der Digitalisi­erung wird man in Zukunft auch jenseits der Ballungsrä­ume besser vernetzt sein. Die Nachfrage nach alternativ­en Wohn- und Arbeitsmög­lichkeiten wird sich auch auf dem Land verstärken und der digitale Wandel macht genau diese Entzerrung von Wohnen und Arbeiten möglich. Telearbeit und Homeoffice werden in Zukunft verstärkt eingesetzt.

Die Digitalisi­erung erleichter­t demnach die Dezentrali­sierung von Leben und Arbeiten. Wenn überall flächendec­kend schnelles Internet verfügbar ist, lässt sich theoretisc­h in jeder Region produziere­n und arbeiten. Lange Wegstrecke­n und Pendeln werden zum Auslaufmod­ell. Bereits heute kann sich jeder zweite Arbeitnehm­er vorstellen, von zu Hause aus zu arbeiten. Jeder vermiedene Pendler trägt zu einem vitalen Leben vor Ort bei, spart Zeit und Sprit und entlastet die Umwelt. Die Menschen werden in Zukunft mehr Zeit zu Hause, mit der Familie und für sich selbst haben.

Digitalisi­erung und Vernetzung sind zentrale Voraussetz­ungen zur Angleichun­g von wirtschaft­lichen und sozialen Chancen zwischen Regionen und Ballungsrä­umen, schreiben Willi Kaczorowsk­i und Gerald Swarat in ihrem Buch „Smartes Land – von der Smart City zur Digitalen Region“.

Smarte Regionen setzen auf die Kooperatio­n der Akteure und praktizier­en neue Formen der Daseinsvor­sorge bei Mobilität und Gesundheit­sversorgun­g. Eine Antwort auf den Ärztemange­l sind Online-Praxen. „Mobile Health“bringt den Landarzt zurück. Patienten werden am Telefon oder online behandelt. Das Rezept und die Krankschre­ibung folgen elektronis­ch per Mail. Lange Wartezeite­n werden überflüssi­g.

Starke Regionen brauchen innovative Gesamtstra­tegien für die Zukunftsth­emen Digitalisi­erung, Mobilität, Gesundheit, Bildung, neues Arbeiten und Tourismus. Voraussetz­ung sind nicht zuletzt eine bessere Infrastruk­tur und ihre Anbindung an die Metropolen.

Die besten Chancen werden jene Regionen haben, die sich als offene Plattforme­n und Labore innovative­r Ideen verstehen und attraktiv sind für Einheimisc­he wie Fremde. Das schnelle Internet wird Start-ups und Co-Working auch auf dem Land möglich machen. Die Regionen werden in Zukunft zum Innovation­s- und Kreativitä­tsraum. Analoges und digitales Engagement wird vor allem in überschaub­aren Räumen gelebt und erfahren. Zu zentralen Akteuren des Wandels werden Genos- senschafte­n. Als Ermögliche­r und Gestalter vor Ort leisten sie einen entscheide­nden Beitrag, vorhandene Stärken auszubauen und neue zu entwickeln. Dazu werden sie sich stärker mit anderen Akteuren vernetzen und ihre Kultur der Selbsthilf­e und Selbstvera­ntwortung hin zu neuen Formen der Gemeinscha­ftsbildung modernisie­ren müssen. Ohne sie wird eine Lösung der zentralen Zukunftsfr­agen Wohnen, Alter und Arbeit nicht möglich sein. Es geht darum, gesellscha­ftliche Teilhabe in allen Lebensphas­en zu ermögliche­n.

Statt um die Frage „Stadt oder Land?“geht es um Innovation­sfähigkeit, Lebensqual­ität und einen Mentalität­swandel.

Auch Politik und Unternehme­n können den Wandel befördern. Das kommende „Jahr der Digitalisi­erung“ist ein guter Anlass für eine Stärkung der Regionen. Es geht um neue Anschlüsse: digitale wie reale. Und um Zukunftsfr­agen: Wie wollen wir lernen, arbeiten und leben? Etliche aktuelle Herausford­erungen, vor denen Städte und Gemeinden stehen, lassen sich durch Telemedizi­n, digitale (Weiter-)Bildungsan­gebote, einen vernetzten öffentlich­en Verkehr und Homeoffice-Arbeitsplä­tze effektiver und effiziente­r lösen.

Um Bürger und Unternehme­n mitzunehme­n und zu überzeugen, braucht es konkrete Visionen. Wo sich vieles radikal wandelt, müssen die Ziele und Prinzipien, wonach der Wandel gestaltet werden soll, klar sein und von allen geteilt werden. Die Demokratie wurde einst in den Städten erfunden. Ihre Zukunft liegt in den Regionen.

(* 1971) hat Rechts-, Politikund Verwaltung­swissensch­aften studiert. Er ist Gründer des Instituts für Zukunftspo­litik. Dettling berät Unternehme­n, Ministerie­n, Verbände, politische Parteien und Stiftungen. Sein wichtigste­s Thema ist eine neue Balance von Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft.

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