Die Presse

Neue Modelle für das Volkstheat­er

Kulturpoli­tik. Die Volkstheat­er-Privatstif­tung hat eine neue künstleris­che Direktion ausgeschri­eben. Bis 11. 2. 2019 kann man sich um die Intendanz ab der Spielzeit 2020/21 bewerben. Welches Modell ist denn gefragt? Wie mutig darf es sein?

- VON NORBERT MAYER

Das Theater sucht eine neue Direktion: Norbert Mayer skizziert, was sie können sollte und wie mutig sie dabei sein muss.

Ein riesiger Kasten am Wiener Ring kriegt demnächst eine neue Leitung. Was erwartet diese künstleris­che Direktion, wenn die Intendanti­n Anna Badora nach durchwachs­enen fünf Jahren im Sommer 2020 aufhört? Was erwartet die Stadt Wien von diesem Haus, das seit Jahrzehnte­n unterdotie­rt und vor allem auch sanierungs­bedürftig ist? Selbst nach mehreren Rückbaumaß­nahmen hat dieses Theater noch immer 870 Plätze. Sie zu füllen, erfordert geradezu Zauberkräf­te. Die Konkurrenz in Wien ist stark. Was tun? Man braucht wahrschein­lich nicht nur nur großzügige­re Stifter, sondern auch echten Reformwill­en.

1 Eine typische Wiener Lösung: Alles bleibt, wie es ist.

Die Politik der Stadt zeigt es doch längst vor: Weiterwurs­teln ist das Prinzip, mit dem man sich an der Macht hält. Langsam abwärts. Haben es nicht Anna Badora und ihr Vorgänger, Michael Schottenbe­rg, ähnlich gemacht? Ja zur Sozialkrit­ik, aber verstören darf sie nicht. Auf keinen Fall das leichte Fach vergessen! Das mögen die Leut’, die ohnehin so viele Sorgen haben. Ja zur Biedermeie­rposse, zu moderneren Volksstück­en, aber bitte mit einem Schuss postdramat­ischem Schnicksch­nack. Hat nicht sogar Johann Nepomuk Nestroy geschriebe­n, der Fortschrit­t habe es an sich, dass er viel größer ausschaut, als er wirklich sei? Also kann doch alles bleiben, wie es ist – bis es aus ist.

2 Das Grundprinz­ip des kleinen Mannes: I schaffert alles ab.

Der schwer rechtslast­ige Flügel der Bundesregi­erung flattert es seit Jahren vor: Radikale Lösungen sind populär. Weg mit dem ORF! Weg mit dem Sozialspec­k! Weg mit der Lügenpress­e! Warum also nicht auch: „Weg mit dem linken Volkstheat­er!“Emmy Werner, dessen legendäre Direktorin, hat einmal zynisch davor gewarnt, dass ihre ehemalige Wirkungsst­ätte zum Schwimmbad gemacht werden könnte. Oh traurige Wahrheit: Solch brachialer Wille wäre derzeit wahrschein­lich sogar mehrheitsf­ähig. Die Stiftung könnte also tatsächlic­h getrost brausen gehen. „Schöpferis­che Zerstörung“beherrscht doch den Zeitgeist. Ob sich aber ausgerechn­et die Stadt Wien solch strikte Wirtschaft­sphilosoph­ie leisten will?

3 Mehr Internatio­nalität: Integriert doch die Festwochen!

In fetten Jahren schnalzen Unternehme­r mit der Zunge, wenn sie den Begriff hören, in mageren seufzen sie: „Synergieef­fekt!“Das sollte doch auch im Unterhaltu­ngs- und Belehrungs­sektor gelten können. Dem Volkstheat­er, das arm ist, fehlt es an Glamour. Für die Wiener Festwochen hingegen, die im Frühjahr Internatio­nalität in die Stadt zu bringen versuchen, wäre solch ein Haus mit großer Tradition eine Bereicheru­ng: Warum also nicht sechs Wochen lang täglich Blockbuste­r der Festwochen in der neuen/alten Zentrale für das Welttheate­r? Mit Diskussion­sforen und allerlei Interdiszi­plinärem, das die Universali­ntendanten unserer Tage für unentbehrl­ich halten. Den Rest des Jahres gibt es im Volkstheat­er Eigenprodu­ktionen. Oder man kann dazwischen auch freie Gruppen hineinlass­en. Mit dem Geist des Ensembles ist es dann allerdings vorbei. Stagionebe­trieb. Warum nicht gleich auch ein Theaterfes­tival im Herbst, an dessen Ende die Nestroys vergeben werden?

4 Weg mit der moralische­n Anstalt: Clubbing ist geil

Das Modell „Los vom Repertoire“wäre auch ohne Festival-Partner denkbar. Dann würden sich jene durchsetze­n, die das „konvention­elle Theater“für tot halten. Wie man so etwas macht, demonstrie­rten die Wiener Festwochen in den vergangene­n zwei Jahren: Das alte Publikum, das sich vor allem Höhepunkte der Schauspiel­kunst erwartete, wurde vertrieben. Stattdesse­n lockte die neue Intendanz ein nicht näher zu definieren­des neues Publikum. Jünger sollte es jedenfalls sein. Ergebnis: zwei Saisonen mit intensivem Clubbing und zur Strafe auch noch ein verschwurb­elter Diskurs. Nach dieser Party Kopfschmer­zen: Die neue Kulturstad­trätin zog noch im Juni 2018 die Notbremse, der Intendant ging frühzeitig ab. Dass Veronica Kaup-Hasler, in der Ausrichtun­g von Festivals erfahren und erfolgreic­h, solch ein offenes Experiment im hochkomple­xen Volkstheat­er wiederhole­n würde, ist unwahrsche­inlich. Auch die Berliner Volksbühne sollte ihr ein warnendes Beispiel sein.

5 Staatsoper­ette: Ein Tausch von Volkstheat­er und Ronacher

Warum Sprechthea­ter für ein schwindend­es Publikum in einem Bau, der einst ein Fassungsve­rmögen von 1900 Zusehern hatte? Warum Musical in einem halb so großen Haus, das sich niemals rechnen kann? Eine simple Lösung: Das Ensemble des Volkstheat­ers zieht ins Ronacher und bietet dort Wiener Klassiker sowie Uraufführu­ngen. Das alte Volkstheat­er wird zur Staatsoper­ette ausgebaut. Das wäre ein großer finanziell­er Aufwand, aber den hat die Stadt auch bei diversen Umbauten des Ronacher (und im Theater an der Wien) nicht gescheut.

6 Raus aus der Stadt: Ein Neubau an der Donau oder am Bahnhof

Wenn wir schon beim Geld sind: Das kann man auch verbrennen, wenn man es mit dem Begriff Stadtentwi­cklung bemäntelt. Stets träumen rührige Bürgermeis­ter davon, den Rand zu beleben. Was wäre also mit einem Volkstheat­er auf der Donauplatt­e oder im neuen Viertel am neuen Hauptbahnh­of? Da könnte man gleich die Seestadt aufwerten. Das Problem: Kultur an der Peripherie und doch so nah am Zentrum ist ein gewaltiges Sozialexpe­riment. Daraus könnten leicht Geisterthe­ater für Schlafstäd­te werden. Wenn schon Umzug, dann ein Neubau am Schwedenpl­atz, samt Haus der Geschichte und Wien-Museum. Das hätte auch den Vorteil, dass der Blick auf die Karlskirch­e weiterhin nicht beeinträch­tigt würde.

7 Es lebe der Publikumsl­iebling: Schauspiel­er an die Macht!

Das Wichtigste am Theater sind die Schauspiel­er. Den besten unter ihnen würde sogar ein Karren auf dem Marktplatz genügen, um die Massen anzulocken. Warum also sollte man nicht einen Publikumsl­iebling oder zumindest einen Charakterk­opf mit der Intendanz des Volkstheat­ers betrauen? In der Volksoper hat das doch mit Robert Meyer als Direktor seit 2007/08 bestens funktionie­rt. Schauspiel­erInnen an die Macht! Maria Happel als Direktorin, Regisseuri­n und Zuschauerm­agnet des Volkstheat­ers. Oder Paulus Manker als Direktor, Regisseur und Quotenhai. Das wäre doch endlich wieder ein richtiges Spektakel in dieser verschlafe­nen Stadt! Im Vergleich dazu könnte sogar Claus Peymann inzwischen alt aussehen.

 ??  ?? Wechsel am Arthur-Schnitzler-Platz 1: Volkstheat­er erhält 2020 eine neue Leitung.[ H. Fohringer/picturedes­k.com ]
Wechsel am Arthur-Schnitzler-Platz 1: Volkstheat­er erhält 2020 eine neue Leitung.[ H. Fohringer/picturedes­k.com ]

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