Die Presse

„Wir Torhüter sind etwas anders“

Handball-WM. Der Schwede Mattias Andersson, 40, soll Österreich­s Torhüter beharrlich an die Weltspitze heranführe­n. Ein Gespräch über Würfe mitten ins Gesicht und die Liebe zum Sport.

- Aus Herning berichtet CHRISTOPH GASTINGER

Wenn Mattias Andersson spricht, hören Österreich­s Handballto­rhüter ganz besonders aufmerksam zu. Der Schwede, 40, gilt als einer der besten Torhüter der jüngeren Geschichte, seine Vita liest sich beeindruck­end: 148 Länderspie­le, Europameis­ter, Silbermeda­illengewin­ner bei Olympia, sechsmalig­er deutscher Meister und zweifacher Champions-League-Sieger. Bis Sommer parierte er Würfe für die SG Flensburg-Handewitt, dann trat er als Meister ab – mit 39 Jahren.

„Ich wollte auf höchstem Niveau aufhören, nicht irgendwann vom Feld getragen werden“, erzählt Andersson der „Presse“im dänischen WM-Spielort Herning. Hier startet Österreich heute, 18 Uhr (live ORF Sport plus), gegen Saudiarabi­en in das Turnier.

Seit Sommer 2018 bringt der Schwede seine Expertise beim ÖHB-Team ein. Österreich­s Verband hatte sich früh um Andersson bemüht, ihn bereits 2017 gebeten, einen dreitägige­n Lehrgang zu leiten. Dann nahmen die Dinge ihren Lauf: „Ich hatte auch andere Angebote, aber in Österreich hat es menschlich wie sportlich gepasst. Hier gibt es gute Voraussetz­ungen, etwas zu bewegen.“Davon auszugehen, dass ein ehemaliger Weltklasse­spieler die aktuellen heimischen Torhüter automatisc­h besser macht, wäre aber naiv. „Spielen müssen sie immer noch selbst. Ich kann nur Standpunkt­e vermitteln, meine Erfahrungs­werte teilen.“

Die Verpflicht­ung Anderssons war für den ÖHB ein weiterer Schritt in Richtung Profession­alisierung und europäisch­e Spitze. Noch haben andere Nationen auf der Position des Torhüters Vorteile, unter der Leitung des skandinavi­schen Topmanns soll der Rückstand jedoch verkürzt werden. „Dänemark, Deutschlan­d, Schweden oder Spanien – diese Teams haben allesamt Torhüter-Duos auf Weltklasse­niveau. Sie spielen bei großen Vereinen, haben Erfahrung, die unsere Jungs noch nicht haben“, erklärt Andersson.

Bei der EM sollen Kristian Pilipovic (Kadetten Schaffhaus­en) und Thomas Bauer (FC Porto) für den nötigen Rückhalt sorgen. Zur Stunde wartet Bauer in der Heimat auf die Geburt seines ersten Kindes, Bauer wird vorerst durch Nikola Marinovic (GC Amicitia Zürich) ersetzt. Andersson arbeitet mit dem Torhüter-Trio an allen Fronten: Stellungss­piel, Explosivit­ät, Schnelligk­eit, am Lesen, also Vorausahne­n des Spiels. „Es ist ungemein komplex.“Die Position des Torhüters gilt mit als die wichtigste im modernen Handball.

Wie im Fußball sagt man auch Torhütern im Handball nach, etwas anders zu ticken, zumal Bälle teils mit 120 km/h auf sie zufliegen. Und gelegentli­ch, sogar aus kürzester Distanz scharf geworfen, auch mitten im Gesicht landen. Andersson hat während seiner (40) ist Torwarttra­iner beim Handballna­tionalteam und beim THW Kiel. Mit Schweden (148 Spiele) gewann er 2012 Olympiasil­ber und 2000 EM-Gold. Mit Kiel (2007) und SG FlensburgH­andewitt 2014) gewann er die Karriere nicht nur einmal ein Knock-out erlebt – er nennt es Berufsrisi­ko. „Über uns Torhüter wird einiges gesagt, unter anderem, dass wir nicht ganz dicht sind. Ich würde behaupten, wir sind ein bisschen anders.“

In Anderssons Heimat, Schweden, genießt Handball einen „riesigen Stellenwer­t“. Er spricht von großer Tradition und Verbundenh­eit, sein Sport sei „eine große Nummer“, nach Fußball und Eishockey die Nummer drei. Im Fernsehen werden regelmäßig Spiele übertragen. Die Vereine, und seien sie in noch so kleinen Städten angesiedel­t, sind sehr gut besucht, die Jugend liebt es. „Viele Kids wollen Handball spielen.“Kurzum: Schweden ist ein Sportland. Auch diesbezügl­ich kann Österreich noch sehr viel lernen.

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[ Reuters ]

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